Comic-Legenden – Teil 1
Als der belgische Comiczeichner Willy Vandersteen und sein Angestellter Karel Verschuere 1952 daran gingen, eine Comicserie um einen Farmersohn namens Andy Cayoon und dessen Colliehündin Bessy zu konzipierten, ahnte keiner der Beteiligten, dass sich diese Heftchen im Laufe von drei Jahrzehnten mit fast eintausend Ausgaben zu einem wahren Kult entwickeln sollten.
Zunächst wurde der Comicstrip in der belgischen Zeitung La Libre Belgique veröffentlicht, bevor jener Verlag mit den drei Zinnen diese Serie in sein Programm übernahm. Eigentlich als Lückenbüßer für die Comiczeitschriften Pony und deren Nachfolger Felix gedacht, entwickelte sich Bessy im Bastei-Verlag ziemlich rasch zu einem grandiosen Selbstläufer.
1965 erschienen die Geschichten als eigenständige Heftromanserie mit einer heute nahezu unglaublichen Startauflage von 220 000 Exemplaren.
Zunächst im vierwöchigen Erscheinungsrhythmus wurde rasch auf ein zweiwöchiges und ab Band 58 auf wöchentliches Erscheinen umgestellt. Als dann auch noch der bekannte Westernmaler und international anerkannte Kinoplakatdesigner Klaus Dill, der hier im Geisterspiegel schon einmal Hauptperson eines Artikels war, sich der Titelbilder für die Serie annahm, war der Siegeszug von Bessy nicht mehr aufzuhalten. Jedes Titelbild war ab sofort ein kleines Kunstwerk für sich, die Geschichten zwar schlicht gestrickt, aber dennoch genau auf den jugendlichen Leser von damals zugeschnitten.
Was 1965 mit Band 1 »Das Geheimnis der sieben Feuer« begann und damals 70 Pfennige kostete, endete erst zwei Jahrzehnte später als Band 992 mit dem Titel »Duell der blitzenden Klingen«.
Inzwischen ist Bessy zur Legende geworden, und manch einer, der die Heftchen damals sammelte und sie aus was für Gründen auch immer dem Müll, jüngeren Verwandtschaftsangehörigen oder wem sonst überlassen hatte, beißt sich heute wahrscheinlich vor Wut, diese nicht behalten zu haben, in den Allerwertesten. Für die ersten zehn Originalbände zum damals stolzen Preis von insgesamt sieben Mark legt der Comicsammler von heute laut deutschem Comic Guide bei einem Zustand 1 bis dreitausend Euronen auf den Tisch, und das ohne mit der Wimper zu zucken. (Zustand 1 = Ein neuwertig wirkendes, nahezu fehlerfreies Heft, das nur den einen oder anderen Kleinstfehler z. B. kleiner Einriss im mm-Bereich, Knick, angelaufene Klammern besitzen darf. Diese dürfen aber nicht auf den ersten Blick auffallen und den hervorragenden Gesamteindruck des Heftes stören.)
Zugegeben, besonders tiefgründig waren die Geschichten nie, obwohl auch hier Ausnahmen die Regel bestätigten. Dennoch gab es weder zuvor noch danach eine Comicserie mit derart langer Laufzeit und einem solchen Erfolg. Selbst Legenden wie Comanche oder Lieutenant Blueberry können hier nicht mithalten. Eigentlich schade, dass es Bessy nicht mehr gibt. Aber im Zeitalter des Internets, des E-Books und des Handys ist aus der einstmaligen Größe der Comicunterhaltung leider ein Relikt vergangener Tage geworden. Der vertraute wöchentliche Gang zum Kiosk, um die neueste Ausgabe zu erstehen, ist ebenso zur Geschichte geworden wie die sonntäglichen Serien aus der Flimmerkiste a la Bonanza oder Rauchende Colts. Wenngleich Bessy nicht unbedingt hochgeistige Literatur war, ist diese Serie dennoch ein Stück Zeitgeschichte, an die es sich zu erinnern lohnt.
Andy Cayoon, seine Hündin Bessy und ihre Freunde Ronny und Schneller Hirsch in einem Atemzug mit Lederstrumpf, Old Shatterhand oder Huckleberry Finn zu nennen ist keineswegs vermessen. Die Geschichten eines jungen Mannes, der immer wieder teils durch Zufall, teils durch eigenes Zutun Verbrechern oder wilden Tieren in die Quere kommt, sind auch heute noch ein gern konsumierter Lesestoff. Die Abenteuer der drei? oder die der fünf Freunde oder der neuerdings erscheinenden Wolf-Gäng zeigen, wie es geht. Deshalb muss ich an dieser Stelle die Verantwortlichen jenes Verlages mit den drei Zinnen kritisieren. Ich bin sicher, hätte man damals die Zeichen der Zeit erkannt und Bessy ins Moderne übertragen, die Serie würde es heute noch geben. So aber wurde die Thematik nach ein paar halbherzigen Versuchen zum Thema Umweltschutz leichtfertig verschenkt.
Dass an der Serie auch heute noch Interesse besteht, zeigen Comicbörsen und diverse Flohmärkte. Hier lassen auch Lasso, Silberpfeil und Ehapas Westernlegenden grüßen, aber keine Angst, der Geisterspiegel vergisst keinen. Bereits in absehbarer Zeit wird an dieser Stelle über weitere Legenden der Comicwelt zu lesen sein.
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