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Brasada – Folge 24

Nigger-Bill

In dieser Folge der halbdokumentarischen Serie Brasada wird ein Thema behandelt, das gerade in unserer Zeit wieder aufmerksam verfolgt wird: Stichwort Fremdenfeindlichkeit.

Sollte sich dieser oder jener Leser also bei der folgenden Geschichte an gewissen Begriffen oder Sätzen stören, so sei erwähnt, dass dies alles mit den Augen jener Zeit zu sehen ist. Die nächste Folge entstammt nicht der Fantasie des Autors, sondern hat sich in dieser oder ähnlicher Art tatsächlich zugetragen und gibt nur die Stimmung jener Zeit wieder. Dazu möchte ich anmerken, egal was über Cowboys erzählt wird, ein Rassenproblem gab es damals unter ihnen nie.

Was für sie zählte, war die Persönlichkeit eines Mannes, nicht seine Hautfarbe.

30 Prozent aller Cowboys waren übrigens Farbige.

***

»Hier drin stinkt´s!«

In Dunn´s Saloon wird es augenblicklich totenstill.

Schlagartig verstummt das Stimmengemurmel der wenigen Gäste und auch das Klirren der Gläser und Flaschen erstirbt. Ungläubig starren die Anwesenden auf den knochigen Farmer, der am linken Ende der Theke am Tresen lehnt und andächtig in sein Glas und auf den darin enthaltenen kläglichen Rest von Ingwerbier blickt.

Martin Dunn runzelt ungehalten die Stirn, während er auf den Mann zugeht.

»Wie meinst du das, Ike?«, fragt er dabei.

»So wie ich es gesagt habe. Hier stinkt´s.«

Suchend blickt sich Dunn in seinem Saloon um, während er hörbar durch die Nase schnüffelt. Schließlich schüttelt er den Kopf und mustert den Farmer eingehend.

Ike Wilson ist ein hagerer, knochig wirkender Farmer mit blutunterlaufenen Augen und einer großen rotvioletten Nase, wie sie fast immer bei Männern zu finden ist, die dem Schnaps im Übermaß zusprechen. Grauschwarze, speckig glänzende Haare fallen über den Kragen seines verwaschenen Hemdes. Seine Füße stecken in klobigen Militärstiefeln und auch die zerschlissene Hose stammt noch aus einer Zeit, als die Armee der Konföderation noch existierte.

»Du musst dich irren, ich kann hier nirgendwo etwas erkennen, was stinken sollte.«

»Aber ich«, sagt Ike und macht ein paar Schritte zum Ausgang hin.

Dabei ist deutlich zu erkennen, dass er sein linkes Bein nachzieht. Schließlich bleibt er direkt neben den Schwingtüren des Saloons stehen und deutet mit dem Zeigefinger seiner Rechten auf einen Mann, der dort an einem schmalen Tisch sitzt.

»Der Gestank kommt von hier. Verdammt Martin, seit wann werden in deinem Saloon Nigger bedient?«

Auf Martin Dunns Stirn erscheint eine steile Zornesfalte, während der Salooner schnaubend die Hände in die Hüften stemmt.

»Was soll der Scheiß, Ike? Der Mann ist hier Gast wie jeder andere auch. Er hat seinen Drink und den Teller mit Bohnen bezahlt und er macht im Gegensatz zu anderen Leuten keinen Ärger. Deshalb ist es mir egal, ob er rot, grün oder schwarz ist, kapiert?«

»Wenn das deine Ansicht über Nigger ist, dann tut es mir leid. Schätze, das war wohl das letzte Mal, dass du mich hier als Gast gesehen hast.«

Der Mann an dem schmalen Tisch hat inzwischen seinen Hut in den Nacken geschoben und mustert nun beide, Dunn wie Wilson eingehend.

»Ist schon okay, Leute«, sagt er schließlich. »Ich wollte sowieso gerade gehen.«

Dabei bleckt er seine weißen Zähne, die in seinem ebenholzschwarzen Gesicht hervorstechen wie ein Pferd mit drei Beinen in der Mainstreet von Tascosa.

Aber noch bevor er aufstehen kann, kommt von der Theke her plötzlich ein weiterer Mann an seinen Tisch. Er stellt eine bauchige Flasche und zwei Gläser auf die Tischplatte, zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich ungefragt neben den Neger.

»Mein Name ist Marlowe, Lee Marlowe. Darf ich Sie zu einem Drink einladen, Mister …«

»Potter, William Potter«, erwidert der andere. »Das ist nett von Ihnen, aber ich möchte hier keinen Ärger machen.«

Statt einer Antwort mustert Lee den Farmer Ike Wilson, der die beiden jetzt ungläubig und mit offenem Mund beobachtet.

»Lass uns in Ruhe, Ike. Der Krieg ist seit mehr als sieben Jahren vorbei und ich glaube kaum, dass Mister Potter etwas dafür kann, das dir die Yankees bei Bull Run die Hüfte zerschossen haben.«

»Das ändert nichts an der Tatsache, das er ein gottverdammter Nigger ist. Solche Leute haben in Tascosa nichts zu suchen.«

»Das behauptest du, aber zum Glück bestimmen andere Leute, wer in der Stadt bleiben darf und wer nicht.«

Verächtlich verzieht Wilson das Gesicht.

»So kann nur einer daherreden, der den Yankees in den Arsch kriecht. Ich hätte nie gedacht, dass es in Texas Männer ohne Rückgrat gibt. Kein Wunder, dass wir den Krieg verloren haben.«

»Über solche Ansichten kann ich nur den Kopf schütteln. Weißt du was, Ike, irgendwie tust du mir leid.«

Während sich Wilson wutschnaubend umdreht und aus dem Saloon stampft, füllt Marlowe ungerührt die beiden Gläser mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit aus der bauchigen Tonflasche. Nach dem ersten Schluck Whisky streckt der Schwarze Lee die Rechte entgegen.

»Eigentlich heiße ich ja William, gute Freunde dürfen aber auch Nigger-Bill zu mir sagen.«

***

Zwei Flaschen, viele Stunden und etliche Meilen später zügeln die beiden ihre Pferde im Vorhof der Drei Balken. Inzwischen hat sich die Dunkelheit wie ein schwarzes Tuch über das Land gelegt. Nachdem sie endlich aus dem Sattel gekommen sind, bereitet es ihnen gewisse Schwierigkeiten, die Tiere im Stall zu versorgen und anschließend das Wohnhaus zu betreten.

Aber wer hätte diese nicht, mit einem Dutzend Gläser Whisky im Bauch?

»Pssst!«, macht Lee Marlowe, während er die Lippen spitzt und den Zeigefinger seiner Rechten auf den Mund legt.

Dabei ist er in etwa so leise wie eine Geschützbatterie im Einsatz bei Bull Run. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Ben Allison plötzlich unvermittelt hinter ihnen auftaucht. Sein Gesicht wirkt verschlafen, seine Haare stehen in allen Richtungen vom Kopf ab und er ist nur mit seinem rostroten Unterzeug bekleidet. Dafür hält er aber in der Rechten einen schussbereiten Navy-Colt.

»Ich denke mal, für heute reicht es«, sagt er knapp.

»Wer … wer ist das denn?«, stottert William.

»Ben, Ben Allisch … hupps … Allischon«, antwortet Lee lallend.

Mehr kann er nicht sagen, denn jetzt handelt Allison. Er schubst Lee unsanft in dessen Schlafgemach und dirigiert Potter in das leer stehende Zimmer ihres ehemaligen Sattelpartners Big Bill.

»Legt euch hin und schlaft, denn die Nacht ist verdammt kurz. Morgen früh wartet eine Menge Arbeit auf uns.«

Er hat sein Bett noch nicht erreicht, als die beiden bereits eingeschlafen sind. Ihr Schnarchen hallt überlaut durch das Haus und bevor Ben ebenfalls die Augen schließt, hofft er inständig, dass sie nicht alle Balken auf der Ranch zersägen.

***

Der Morgen danach ist grausam.

Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als Ben die beiden mit einem Eimer kaltem Wasser weckt, welches aus dem tiefen Schacht des Ranchbrunnens stammt. Danach gibt es Kaffee, Eier, Speck sowie Sirup und Sauerteigbrötchen. Alles Dinge, die normalerweise zu einem herzhaften Frühstück dazugehören. Nur heute scheint es so, als ob gewisse Leute Schwierigkeiten damit haben, das auch im Magen zu behalten.

Nach einem missmutigen Blick auf seinen Teller entschließt sich Lee, dass sein Frühstück heute nur aus Kaffee bestehen wird, ganz anders hingegen William Potter. Nachdem dieser mit seinem Brötchen auch den letzten Rest Eigelb von seinem Teller gewischt hat, besitzt er doch tatsächlich die Stirn, Ben nach einem Nachschlag zu fragen. Das ist für Lee zu viel. Wie eine Kanonenkugel schießt er durch die Tür und kotzt sich, während Ben in der Küche grinsend drei weitere Eier in die Pfanne schlägt, hinter dem Haus die Seele aus dem Leib.

Eine Stunde später, es ist kurz vor Sonnenaufgang, weiß Ben Allison über alles Bescheid. Er weiß nun, dass William Gideon Potter ein umherziehender Cowboy ist, der aufgrund seiner Hautfarbe im Osten Schwierigkeiten hatte, einen Job zu finden. Die Lassonarben auf seinen Handrücken zeigen Ben aber, dass er tatsächlich etwas von Sattelarbeit versteht. Außerdem kennt er nun die Geschichte mit Ike Wilson und die Sache mit dem von Lee spendierten Whisky.

Als William von sich aus erklärt, für die Gastfreundschaft, die Schlafstelle und das Frühstück einen Tag umsonst auf der Drei Balken zu arbeiten, ist für Ben und Lee rasch klar, das Potter der neue Mann auf der Ranch sein wird. Auch wenn sie beide noch Schwierigkeiten damit haben, dass er darauf besteht, von ihnen Nigger-Bill genannt zu werden.

***

Es ist dann vier Wochen später, als der Cowboy William Potter wieder zurück zur Drei Balken reitet. Er hat in den letzten beiden Tagen beinahe vierzig Stunden im Sattel verbracht. In dieser Zeit hat er aus dem Dornenbuschland heraus sechzehn halbwilde Rinder in einen Blindcanyon getrieben und dessen Ausgang mit einem Zaun aus Kakteen und Palo-Verde-Stämmen verschlossen. Er ist zerschlagen, müde und hungrig und will jetzt einfach nur noch nach Hause. Bei dem Gedanken an die Drei Balken verzieht er wehmütig das Gesicht. Es tut verdammt gut, ein Zuhause zu haben, denkt er, und er spürt, dass die Zeit seines ruhelosen Umherziehens wohl vorbei sein wird, zumindest für eine lange Zeit.

Aber bevor er die Ranch erreicht, hält das Schicksal für ihn noch ein hartes Stück wirklichen Lebens bereit.

Zuerst entdeckt er am Horizont drei, vier dunkle Punkte, die in immer engeren Kreisen über eine bestimmte Stelle im Land fliegen.

Zopilote!

Etwa eine halbe Stunde später sieht er einen Steinwurf voraus ein dunkles Etwas, dessen Konturen sich deutlich im ockerfarbenen Sand der Brasada abzeichnen. Er reitet darauf zu und erkennt ein Pferd, das mit aufgedunsenem, prall gespanntem Leib in der Sonne liegt. Es ist gewiss schon seit mehreren Stunden tot. Es wurde erschossen und als William den seltsam abgewinkelten rechten Vorderlauf sieht, an dem die Knochen spitz aus dem Fell herausragen, weiß er, dass dieses Tier in einen Präriehundebau getreten ist. Der Besitzer konnte nicht mehr für sein Pferd tun, als es mit einer schnellen Kugel von seinen Qualen erlösen.

Er hat die Wasserflasche und das Gewehr aus dem Scabbard mitgenommen und seine Fußspuren führen nach Osten. Ohne zu zögern folgt William der Fährte, denn er weiß um die Not des Unbekannten. Zu Fuß und nur mit einer Wasserflasche ausgerüstet ist für einen Menschen die Chance, in diesem Teil der Brasada den Tag zu überleben, nicht größer als die eines Schneeballs auf einer glühenden Herdplatte.

Zwei Meilen später verlaufen die Fußspuren bereits nicht mehr in einer geraden Linie durch den Sand sondern im Zickzack. Außerdem ist zu erkennen, dass die Person verletzt sein muss. An den Abdrücken erkennt William deutlich, dass sie das linke Bein nachzieht. Nach einer weiteren Meile findet er ein Gewehr und kurz darauf sieht er links von sich eine leere Wasserflasche im Sand liegen.

Am Nachmittag sieht er dann den Mann vor sich. Er liegt mit dem Gesicht nach unten im Dreck. William Potter zügelt sein Pferd, nimmt den Wassersack vom Sattelhorn und geht auf die Gestalt zu, die vergeblich versucht, kriechend vorwärts zu kommen. Er wälzt den Mann auf den Rücken und zuckt zusammen.

Obwohl sich in dem von der Sonne verbrannten Gesicht die Haut in handtellergroßen Fetzen löst und darunter bereits das rohe Fleisch zu sehen ist, erkennt William Potter den Mann sofort.

Es ist niemand anderes als Ike Wilson, der Bürgerkriegsveteran aus Tascosa, der anscheinend nichts mehr auf der Welt hasst als Schwarze.

***

Seine aufgesprungenen Lippen bewegen sich kaum und doch versteht William seine Worte.

»Wasser … um Himmels willen … geben Sie mir Wasser.«

Einen Moment lang zögert Potter und niemand kann es ihm verübeln.

Wilson hat ihn schlimm beleidigt, jeder andere Mann in der Brasada hätte darauf mit der Waffe in der Hand geantwortet. Aber Potter ist nicht jeder andere, er hat ein Gewissen, trotz der Verachtung, die ihm seine Mitmenschen entgegenbringen. Deshalb schraubt er den Wassersack auf und lässt das kostbare Nass über Wilsons Mund rinnen. Der Mann schluckt, hustet und trinkt, saugt mit jeder Faser seines Körpers das lebensrettende Wasser auf. Als er schließlich den Wassersack zurückgibt und erschöpft die Augen schließt, ist dieser zur Hälfte leer.

»Warum tun Sie das für mich?«, fragt er schließlich mit brüchiger Stimme.

Der Schwarze zuckt mit den Schultern.

»Vielleicht, weil ich ein Narr bin, oder vielleicht, weil ich mit der Bibel erzogen wurde, die da sagt, liebe deinen Nächsten und hilf ihm in der Not. Ich weiß es nicht.«

Wilson, in den nun allmählich das Leben wieder zurückkehrt, hebt darauf seinen Kopf und mustert den Schwarzen eingehend. Dabei legt sich ein nachdenklicher Ausdruck auf sein von der Sonne verbranntes Gesicht.

»Und wie geht es jetzt weiter?«, will er schließlich wissen.

Statt einer Antwort packt ihn Potter an den Schultern und setzt ihn in den Sattel. Dann nimmt er schweigend die Zügel in die Hand und läuft mit seinem Pferd und dem immer noch geschwächten Wilson zu Fuß den Weg zurück, den er gekommen ist.

»Du bist verrückt«, krächzt Wilson, nachdem sie die erste Meile hinter sich gebracht haben. »Du hast sie ja nicht mehr alle, du verrückter Nigger.«

Potter erwidert darauf nichts, er bleckt nur seine Zähne wie ein Wolf.

Es ist in der Tat ein fast wahnwitziges Unternehmen, auf das sich Potter da eingelassen hat. In diesem sonnenverbrannten Teil der Brasada herrschen selbst am Nachmittag immer noch Temperaturen von über vierzig Grad. Bis zur Drei Balken und damit zur nächstgelegenen Wasserstelle sind es noch fast zwanzig Meilen und sie haben nur ein Pferd und eine halb gefüllte Wasserflasche für diesen Weg. Diese Menge reicht bei der Strecke normalerweise kaum dazu aus, um das Pferd ausreichend zu versorgen. Was also sollen die Männer trinken, um in diesem Glutofen zu überleben?

***

Es ist dann spät am Abend, als die Männer der Drei Balken Zeugen eines merkwürdigen Schauspiels werden. Zuerst erkennen sie nur ein Pferd, das mit hängendem Kopf auf den Hof der Ranch stolpert. Dann werden im Schein der Kerosinlampen zwei abgerissene, staubbedeckte Gestalten sichtbar, die sich am Schweif des Tieres festhalten und hinter dem Tier her torkeln. Immer wieder versucht eine der Gestalten, die niemand anderes als William Potter ist, die andere aufzumuntern, damit diese etwas mithelfen kann, auf den Füßen zu bleiben. Diese andere Gestalt zieht deutlich das linke Bein nach.

Keiner der beiden verliert später je ein Wort darüber, was draußen in der sonnenverbrannten Brasada geschehen ist, aber es muss etwas passiert sein, das diese Männer zusammengeschweißt hat. Seit diesem Tag reden sich Ike und William mit dem Vornahmen an. Von nun an zählt der Mann, der hinter dem Namen steht, nicht mehr die Herkunft oder die Hautfarbe.

Copyright © 2010 by Kendall Kane