Brasada – Folge 23
Es ist bereits kurz nach fünf, als die Nachmittagskutsche über die Mainstreet von Tascosa rollt. Doktor Henry Hoyt, Bill Baker, der Townmarshal, und Dunn, der Salonbesitzer, blicken sich vielsagend an.
»Die Kutsche hat über eine Stunde Verspätung. Bin mal gespannt, was uns Frenchy zu erzählen hat«, sagt Baker.
Seine Freunde nicken zustimmend, während er den hölzernen Vorbau von Dunn´s Saloon hinabsteigt und langsam auf das Stationshaus der Wells Fargo Company zugeht. Dort bringt Frenchy, der Kutscher, soeben die vier Gespannpferde der wuchtigen Concord zum Stehen. Dabei lehnt er sich auf dem Wagenbock zurück, flucht und legt sich mächtig in die Gespannzügel. Die Pferde trotten zwar noch ein paar Schritte weiter, aber dennoch kommt die Kutsche genau neben der Eingangstür der Station zum Halten.
»Willkommen in Tascosa, der Perle des Panhandles«, kreischt Frenchy. »Wir haben eine halbe Stunde Aufenthalt, dann geht es weiter nach Fort Bascom. Wer will, kann sich solange die Füße vertreten oder in Dunn´s Saloon einen Kaffee trinken.«
Nach diesen Worten klettert er auf das Wagendach, schlägt eine staubige Plane zurück und löst die Knoten einiger Lederriemen, mit denen mehrere Gepäckstücke auf der Kutsche festgebunden sind.
»Hallo Frenchy, du bist heute ziemlich spät dran. Gab es irgendwelchen Ärger?«
Frenchy, der eigentlich Pierre Dumont heißt und dessen Vorfahren aus New Orleans stammen, rollt mit den Augen.
»So könnte man es auch ausdrücken«, antwortet er schließlich seufzend und lässt eine große Tasche aus buntem Teppichstoff zielsicher auf den Sidewalk fallen. Danach folgt eine kleine, dann eine etwas größere und schließlich noch eine ganz große Kiste, dann einige Hutschachteln, ein Kleidersack und nochmals eine Tasche. Als er dann auch noch damit beginnt, eine große Holztruhe loszubinden, die man mit Seilen am Kutschende festgebunden hat, schiebt Bill seinen breitkrempigen Texashut in den Nacken und starrt ihn ungläubig an.
»Was gibt das denn? Soviel Gepäck auf einem Haufen sah ich das letzte Mal, als Stonewall Jackson mit seinen Jungs losgezogen ist, um den Yankees in den Arsch zu treten.«
»Das war mit Sicherheit angenehmer als das hier«, seufzt Frenchy.
Bevor Big Bill weitere Fragen stellen kann, ertönt aus dem Innern der Kutsche eine schrille Stimme.
»Können Sie nicht aufpassen, Sie Tölpel?«
Jäh wird der Wagenschlag aufgerissen und eine zierliche Frauengestalt schält sich umständlich aus der Kutsche. Ihr grün kariertes Stoffkleid und ihre leuchtenden roten Haare bilden eine Mischung, die Bill Baker unwillkürlich den Atem anhalten lassen.
Heiliger Rauch, denkt er, was für eine Frau.
Als er dann auch noch in ihre grünen Augen blickt, die ihn mit einem forschenden und zugleich abweisenden Blick mustern, ist es um ihn geschehen. Er bemerkt nicht, dass nach ihr noch zwei andere Passagiere aus der Kutsche kommen und sich Frenchy sozusagen aus dem Staub macht. Er sieht nur noch diese Frau, die für ihn so schön, so bemerkenswert und verlockend ist, dass er es nicht in Worte fassen kann.
Die Frau baut sich neben der Kutsche auf, stemmt die zierlichen Hände in ihre Wespentaille und mustert mit blitzenden Augen das Gepäck und dann den Kutscher, der sich plötzlich eingehend auf der anderen Wagenseite mit seinem Zuggeschirr beschäftigt.
»Sie sind wohl verrückt geworden? Der Inhalt dieser Kisten, die Sie da wie Unrat in den Staub werfen, ist unersetzlich.«
Bei diesen Worten zuckt Frenchy unwillkürlich zusammen und wirft einen misstrauischen Blick auf das Gepäck.
»Was ist da drin, Goldbarren?«, fragt er vorsichtig. »Schwer genug dafür sind diese Dinger ja.«
»Bücher!«
Diese Antwort bewirkt, dass dem Kutscher die Kinnlade fast bis auf den Boden fällt.
»Bü … Bücher?«, fragt er entgeistert.
»Natürlich, was dachten Sie denn? Diese Bücher benötige ich schließlich, um meinen Beruf auszuüben. Mein Name ist Miss Abigail Dimsdale, ich bin die neue Lehrerin hier.«
Während sie weiterredet, mustert sie Frenchy erneut. Ein leichter Anflug von Verachtung liegt dabei in ihrem Blick.
»Wie wäre es, wenn Sie sich jetzt um mein Gepäck kümmern, anstatt hier Maulaffen feilzuhalten? Ich wohne übrigens in der Pension von Mrs. Baker.«
Nach diesen Worten hebt sie eine der Taschen hoch und steuert zielstrebig ihre Unterkunft an, während der Kutscher beinahe schmerzvoll sein Gesicht verzieht.
»Himmel!«, schwärmt Bill, indes er ihr nachblickt. »Was für eine Frau!«
»Von wegen Frau, Furie wäre wohl treffender. Nur wegen ihr habe ich mich verspätet. Du glaubst gar nicht, mit was für Anliegen die mir auf den Geist ging. Diese Madame kommt direkt aus dem Osten und hält uns hier alle für Hinterwäldler. Die hat Haare auf den Zähnen, Bill. Ich glaube, mit der werden wir noch jede Menge Ärger bekommen.«
***
Pierre Dumont soll recht behalten.
Kaum hat die Frau die Mainstreet überquert, gibt es auch schon die ersten Schwierigkeiten. Es beginnt damit, dass die neue Lehrerin sehr stolz und selbstbewusst den hölzernen Gehsteig entlang auf Ma Bakers Pension zuläuft. In einer Rinderstadt wie Tascosa sind diese aber nicht besonders breit und mit ihrem wallenden Kleid und der Reisetasche benötigt sie viel Platz. Die Bürger der Stadt, die um diese Zeit unterwegs sind, treten höflich zur Seite. Die Männer grüßen respektvoll und heben ihre Hüte an, die Frauen nicken ihr freundlich entgegen. Aber dann öffnen sich die doppelten Flügelschwingtüren eines angrenzenden Saloons und drei hartgesichtige Gestalten treten sporenklirrend ins Freie. Es ist offensichtlich, dass sie alle mehr oder weniger betrunken sind.
Beim Anblick der heraneilenden Lehrerin beginnt es in ihren Augen gierig zu funkeln und beinahe gleichzeitig überzieht ein schmieriges Grinsen ihre unrasierten Gesichter. Der vorderste von ihnen zieht seinen Hut und verbeugt sich derart theatralisch vor der Frau, dass es schon wieder lächerlich wirkt.
»Hallo, mein schönes Kind, wohin des Weges?«, fragt er mit einer Stimme, die regelrecht vor Schmalz trieft, indes sich seine Begleiter brüllend vor Lachen auf die Schenkel klopfen.
Im Gesicht der jungen Lehrerin zuckt kein Muskel, als sie unbeirrbar ihren Weg fortsetzt. Nur ihre Augen scheinen Blitze zu versprühen und ihre Stimme klingt wie gesprungenes Glas, als sie antwortet.
»Das geht Sie gar nichts an, Sie unverschämter Kerl. Gehen Sie mir aus dem Weg oder ich sorge dafür, dass Sie ziemliche Schwierigkeiten bekommen werden.«
Das Grinsen im Gesicht des Mannes ist plötzlich wie weggewischt. Statt einer Antwort geht er auf Abigail Dimsdale zu, packt sie grob an den Armen und bringt sein Gesicht sehr nahe vor das ihre.
»Du sorgst hier für gar nichts, mein Täubchen. Sonst wird der gute Jack nämlich ziemlich böse und legt dich übers Knie. Und jetzt gib mir gefälligst einen Kuss, vielleicht überlege ich mir danach, ob du dann weitergehen kannst.«
Obwohl Abigail dem Mann hoffnungslos unterlegen ist, kommt dieser nicht in den Genuss eines Kusses. Mit aller Kraft tritt die zierliche Lehrerin mit der Spitze ihres Stiefels gegen das Schienbein von Jack. Der höllische Schmerz treibt ihm das Wasser in die Augen und er lässt die Frau augenblicklich los, während er auf einem Bein über den Gehsteig hüpft und dabei jault wie ein liebeskranker Coyote in der Brasada. Dann ist Bill Baker heran und donnert ihm den Lauf seiner Schrotflinte auf den Kopf. Der Mann hat es nur seinem dicken Filzhut zu verdanken, dass sein Schädel nicht zertrümmert wird. So verdreht er lediglich die Augen und kracht zu Boden. Seine beiden angeheiterten Kameraden weichen fluchend zur Seite.
»Zur Hölle Baker, musst du gleich so zuschlagen? Jack wollte sich mit der Kleinen doch nur einen Spaß erlauben.«
Baker hebt den Lauf seiner Waffe und spannt knackend beide Hähne.
»Diese Kleine ist zufällig die neue Lehrerin von Tascosa. Man hat sie extra aus dem Osten hergeholt, damit sie den Kindern hier Lesen, Rechnen und Schreiben beibringt. Denn nur wer diese Dinge beherrscht, wird, im Gegensatz zu euch Affen, im Leben auch etwas erreichen. Mit der macht ihr euch keinen Spaß, sonst werde ich ziemlich unangenehm. Geht das in eure besoffenen Köpfe hinein, oder muss ich es euch erst mit meiner Shot-Gun einhämmern?«
***
Obwohl in der Zwischenzeit bereits neunzehn Tage vergangen sind, hat es immer noch den Anschein, als ob Miss Abigail Dimsdale und das Leben in der Brasada wohl nie zueinander finden werden. Immer wieder bringt sie die Bürger von Tascosa in Verlegenheit, wenn sie in der Öffentlichkeit ihre Abneigung gegen Waffen verlauten lässt, sich am Wochenende um die Frauen und Kinder im Mexikanerviertel kümmert oder über den Mangel gewisser Errungenschaften der Zivilisation klagt, die in den Städten des Ostens schon längst Selbstverständlichkeit sind.
Als Big Bill am Morgen des zwanzigsten Tages ihrer Ankunft sein Büro verlässt, bemerkt er aus den Augenwinkeln heraus, wie die Lehrerin den Mietstall betritt.
Heiliger Rauch, denkt er bestürzt. Was will diese Frau bei Jeff Norman? Sie kann doch mit Pferden soviel anfangen wie eine Kuh mit einer Muskatnuss. Sie will doch nicht etwa …
Als Bill am Mietstall eintrifft, sind seine schlimmsten Befürchtungen längst Wahrheit geworden. Abigail Dimsdale hockt auf dem Wagenbock eines zweisitzigen Buggys wie das sprichwörtliche Huhn auf der Stange. Es ist ihr deutlich anzusehen, dass sie mit dem Gewirr aus Zaumzeug und Zügeln völlig überfordert ist und es scheint, als hätte sich diese Unsicherheit auch schon auf das Pferd übertragen. Ihr nervöses Gezerre am Zügelleder lässt die eingespannte Pintostute zusehends unruhiger werden.
»Was soll das, Jeff?«, zischt Baker. »Wie kommst du dazu, dieser Frau ein Pferd und einen Wagen anzuvertrauen?«
Der griesgrämig aussehende Mietstallbesitzer mustert ihn irritiert.
»Wieso nicht? Wie du vielleicht weißt, ist das Unterstellen und Verleihen von Pferden nun mal mein Geschäft.«
»Außerdem habe ich Mister Norman darum gebeten«, mischt sich die Lehrerin in den Disput der Männer ein, während sie ungelenk mit den Zügeln hantiert.
»Es wird Zeit, dass ich mir das umliegende Land etwas genauer ansehe, schließlich lebe ich schon seit fast drei Wochen hier und bin noch nicht einmal über die Stadtgrenze hinausgekommen.«
»Da hast du es«, sagt Norman. »Außerdem verstehe ich deine Aufregung nicht. Molly ist das zahmste Pferd, das ich habe, mit der würde sogar meine Großmutter zurechtkommen.«
Damit ist für ihn alles gesagt. Ärgerlich wendet sich der Mietstallbesitzer ab, um seinen weiteren Geschäften nachzugehen und genau dabei geschieht es.
Niemand vermag später zu sagen, ob es eine Laune des Schicksals oder einfach nur Zufall war. Jedenfalls wendet sich Norman abrupt ab, übersieht dabei einen Wassereimer, stolpert und rudert mit den Armen. Dabei wischt er mit seinen umherfuchtelnden Händen eine Kerosinlampe zu Boden, die provisorisch mit einem Nagel an einem Stallpfosten befestigt war. Die Lampe fällt genau vor den Hufen von Molly zu Boden und ihr Glas zerbricht klirrend auf dem harten Stallboden.
Dann geht alles sehr schnell.
Das Klirren und Scheppern der Lampe ist sozusagen der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das ohnehin schon nervöse Tier wird durch das plötzliche Auftauchen der Lampe und dem Geräusch von splitterndem Glas endgültig zum Wildpferd. Ruckartig setzt sich das Pferd mit einem schrillen Wiehern in Bewegung. Während das Tier mitsamt dem Wagen wie ein Pfeil durch das offene Stalltor schießt, wird Abigail vom Bock geschleudert und wirbelt wie eine willenlose Gliederpuppe durch die Luft. Der Aufprall auf dem Boden ist hart und treibt ihr die Luft aus den Lungen. Sie hört noch, wie Jeff Norman fluchend hinter dem Gespann herjagt, und sieht, wie sich Bill zu ihr hinabbeugt. Dann wird es dunkel um sie herum.
***
Als sie wieder zu sich kommt, liegt sie auf dem Bett in ihrem Hotelzimmer und hat einen kalten Umschlag auf der Stirn. Neben ihr steht Doktor Hoyt und befühlt mit der Rechten ihren Puls, während er stirnrunzelnd auf die vernickelte Taschenuhr blickt, die er in seiner Linken hält.
»Alles klar?«, fragt Hoyt, nachdem Abigail die Augen aufgeschlagen hat. Dabei lässt er ihre Hand los und steckt seine Uhr wieder ein.
Instinktiv will die Frau nicken, was ihr aber augenscheinlich nicht bekommt. Sie verzieht ihr Gesicht und legt eine Hand stöhnend auf das feuchte Tuch auf ihrer Stirn.
»Mein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich platzen.«
Der Doktor nickt wissend.
»Dieses Gefühl hat man bei einer Gehirnerschütterung immer. Trotzdem haben Sie noch Glück gehabt. Bei ihrem Sturz hätten Sie sich auch das Genick brechen können. Zum Teufel, warum mieten sie sich auch ein Pferd mit Wagen, wenn Sie nicht damit umgehen können?«
Die Frau dreht den Kopf zur Seite, damit der Doktor nicht sehen kann, wie sich ihre Augen langsam mit Tränen füllen. Als er keine Antwort auf seine Frage bekommt, verlässt Hoyt wortlos das Zimmer. Damit bleibt Abigail Dimsdale allein zurück. Sie beginnt nachzudenken, während ihre Tränen allmählich versiegen.
Auch wenn es ihr zunächst schwerfällt, versucht sie sich zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in Tascosa in das Denken der Menschen in diesem Land hineinzuversetzen.
Schon bald wird ihr bewusst, was für ein Dummkopf sie bisher war.
Als der Doktor eine halbe Stunde später wieder das Zimmer betritt, hält er in der einen Hand ein Glas Wasser und in der anderen einen Löffel mit einem weißen Pulver.
»Hier!«, sagt er knapp. »Nehmen Sie das, danach werden Sie sich besser fühlen.«
Abigail Dimsdale schüttelt den Kopf.
»Behalten Sie Ihr Pulver und erklären Sie mir lieber, was ich falsch gemacht habe.«
Zuerst denkt Hoyt, dass er sich verhört hat, aber nach einem weiteren Blick in die grünen Augen der jungen Frau weiß er um den Ernst ihrer Worte.
In der kurzen Zeit seiner Abwesenheit hat die Lehrerin offensichtlich eine tief greifende Wandlung durchlebt. Mit einem Grinsen im Gesicht legt er die Arznei zur Seite und setzt sich zu ihr ans Bett. Dann beginnt er mit seinen Erklärungen. Mit einfachen, dennoch treffenden Worten beschreibt er das Land und die Menschen, die darin leben. Als er zwei Stunden später ihr Zimmer wieder verlässt, weiß er, dass die Stadt noch lange an der neuen Lehrerin ihre Freude haben wird. Es war anscheinend erst ein Schlag auf den Kopf nötig, damit sie das Wesen und die Eigenheiten der Brasada begreifen kann.
Aber jetzt hat Abigail Dimsdale verstanden, worauf es im Westen ankommt.
Sie zeigt es bereits eine Woche später und darüber lacht man in Tascosa noch Jahre danach.
***
Es ist ein ungewöhnlich heißer Spätsommertag, als vier Reiter der letzten Treibherdenmannschaft der Saison brüllend und kreischend ihre Pferde vor Martin Dunn´s Saloon zügeln. Diese Männer sind voller Staub, schweißbedeckt und halb verdurstet. Das Einzige, was sie jetzt noch nach monatelangem knochenbrechendem Rindertreiben interessiert, sind ein kühles Bier, eine schöne Frau und ein weiches Bett.
Sie gleiten aus dem Sattel, klopfen sich mit dem Hut den Staub aus den Kleidern und sind gerade im Begriff den Saloon zu betreten, als nebenan aus dem Store Miss Abigail Dimsdale mit ihrem Wochenendeinkauf den Laden verlässt.
Sofort verstummen die Cowboys.
Die Lehrerin macht keine drei Schritte, als sie auch schon von den Männern umzingelt ist. Furcht kriecht in Abigail Dimsdale hoch, nur zu frisch sind ihre Erinnerungen an die erste Begegnung mit Männern aus diesem Land. Aber diesmal ist alles anders, diesmal sind es keine betrunkenen Burschen, die sich ihr in den Weg stellen, sondern richtige Cowboys. Männer, denen Geld und Erfolg nichts, aber Ehre, Selbstachtung, Hilfsbereitschaft und Würde alles bedeuten. Als sie erfahren, dass sie einer Lehrerin den Weg versperren, bitten sie Abigail ein Gedicht vorzutragen oder ihnen eine Geschichte zu erzählen, bevor sie sich in den Saloon stürzen.
Diese Männer sind gewiss allesamt wilde Burschen, die auf dem Trail tagtäglich ihr Leben riskieren, wenn sie gegen Indianer, Schlangen, Banditen und halbwilde Rinder kämpfen. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb sind sie besonders den schönen Künsten zugetan und es gibt für sie keine bewegenderen Momente, als den Worten einer gebildeten und belesenen Frau zuzuhören.
Die Lehrerin zögert nur einen Moment.
Seit ihrer Unterhaltung mit Doc Hoyt weiß sie genau, was nun zu tun ist. Es muss nicht immer eine Waffe oder unbändige Kraft sein, um die Menschen in diesem Land für sich zu gewinnen. Man kann dies auch mit Witz und Schlagfertigkeit vollbringen.
Darum erzählt sie den Männern nun wortreich, wie sie ihren rechten Arm während den Wirren des Bürgerkrieges verloren hat. Urplötzlich wird es still, alle Cowboys hängen beinahe andächtig an ihren Lippen. Geduldig hören die Männer zu, bis einer von ihnen ungehalten bemerkt: »He Miss, was erzählen Sie da eigentlich? Sie haben doch Ihren Arm noch.«
Abigail Dimsdale lächelt, bevor sie antwortet.
»Natürlich, aber was glaubt ihr, wie lange es gedauert hat, bis der nachgewachsen ist?«
Einen Moment lang ist es geradezu unheimlich still, aber dann hallt ein Lachen durch die Stadt, das selbst die gemauerten Wände der Texas National Bank bis in ihre Grundfeste erschüttert.
Copyright © 2010 by Kendall Kane