Brasada – Folge 18
»Bosque Grande!«, sagt Ben Allison ehrfurchtsvoll und zügelt sein Pferd.
Lee Marlowe nickt zustimmend. Inzwischen hat auch er die Gruppe weit ausladender Cottonwood-Bäume erkannt, die da vor ihnen den Lauf des Rios Pecos säumen. Dahinter zeichnen sich deutlich die weißen Adobelehmmauern der gewaltigen Ranch ab.
Ihr Besitzer, John Simpson Chisum, ist zwar jetzt schon ein bemerkenswerter Mann und diese Ranch, die sein Lebenswerk ist, über die Grenzen des Landes hinaus bekannt, dennoch ahnt keiner der beiden, dass dieses Anwesen und sein Besitzer schon bald noch berühmter werden sollen.
Allerdings geschieht dies erst in zwei Jahren. Dann, wenn gewisse Dinge ihren Lauf nehmen, die später als Lincoln County Krieg in die Geschichte eingehen werden.
Im Moment hat ihr Besuch aber einen anderen Grund.
Dieser ist so wichtig, dass sich auf Bosque Grande heute mindestens zwanzig Rancher aus der umliegenden Gegend einfinden werden. Auch die Drei Balken ist dabei, vertreten durch Ben Allison und Lee Marlowe. Spielkarten haben entschieden, dass Big Bill Baker zu Hause bleiben muss, um auf die Ranch aufzupassen. Alle drei waren nämlich begierig darauf, diese legendäre Ranch zu besuchen und Bill hat verloren. Er wird zwar noch Jahre später behaupten, dass diese Karten gezinkt waren und Ben und Lee werden sich deshalb immer wieder wissend angrinsen, aber das ändert nichts daran, dass sie es jetzt sind, die Bosque Grande betreten werden, während Bill zu Hause bleiben muss. Denn noch steht das Gesetz in der Brasada auf wackligen Beinen und niemand kann es sich erlauben, Haus und Hof mehr als einen Tag unbewacht zu lassen.
Auch Chisums Ranch gleicht einer Festung.
Bosque Grande ist viereckig angelegt und von einer Mauer umgeben, die mehr als mannshoch ist. Überall in dem Mauerwerk sind Schießscharten eingelassen und im Norden und Osten des Anwesens stehen auf den Wachtürmen sogar Sechspfünderkanonen.
Als Ben und Lee ihre Pferde auf die Gebäude zu lenken, erkennen sie rechts davon die Körper von drei Männern, die an den weit ausladenden Ästen der Cottonwoods leblos im Wind baumeln.
»Netter Empfang«, meint Lee lakonisch.
Allison bleibt einen Kommentar schuldig, allerdings wird sein Gesicht immer nachdenklicher.
Wenig später zügeln sie ihre Pferde vor dem Haupthaus der Ranch. Noch bevor sie dann von ihren Pferden steigen, werden sie von einem halben Dutzend Peones umringt, die allesamt in weiße Leinenkleider gehüllt sind. Man versorgt ihre Pferde und geleitet sie in das Ranchhaus.
Als sie schließlich im Wohnzimmer stehen, kommen beide nicht mehr aus dem Staunen heraus. Zwar haben auch sie aus ihrem Anwesen, das einst nur ein in die Erde gegrabenes Loch war, ein ansehnliches Zuhause geschaffen, aber das, was sie hier sehen, lässt ihre Augen so groß wie Spiegeleier werden. Hier gibt es nichts als Luxus, Prunk und Verschwendung.
In der Empfangshalle des Wohnhauses hängen ausgebreitete Büffelfelle, alte Indianerwaffen und spanische Degen und Musketen an den Wänden. Drei wuchtige, handgeschmiedete Kleiderständer, an denen Besucher ihre Jacken und Hüte hängen können, und eine Deckenlampe, die aus einem weit ausladenden Hirschgeweih besteht, vervollständigen die Einrichtung in dem Eingangsbereich. Im Wohnzimmer selber gibt es kostbare Kristallglasvitrinen, in denen teures Porzellan und schweres Tafelbesteck aus massivem englischen Silber ausgestellt sind. Schränke und Sekretäre aus Mahagoni und Sitzmöbel aus japanischem Kirschbaumholz und handgefertigtem Büffelleder vervollständigen die Einrichtung. Auf dem Boden liegen Bären- und Pumafelle und die Wände sind mit Gobelins aus dem alten Europa verziert.
Heiliger Rauch, überlegt Lee Marlowe, sicherlich kann man für die Kosten jedes einzelnen hier ausgestellten Möbelstücks einen Cowboy mitsamt seiner Familie mindestens ein halbes Jahr lang ernähren. Allein die Glasvitrine mit dem Tafelsilber dürfte so viel wert sein wie die ganze Drei Balken. Weiter kommt er mit seinen Überlegungen über diesen Reichtum nicht, denn ständig strömen neue Gäste in das Haus.
***
Die Versammlung findet also im Wohnzimmer statt, denkt Lee, als immer mehr hartgesichtige Männer in den Raum kommen. Beinahe drei Dutzend Männer stehen oder hocken schließlich vor dem großen Kamin und hören zu, was Chisum ihnen zu sagen hat. Ben Allison sitzt auf einer Bank neben Leigh Dyer, dem Besitzer der T-Anchor Ranch, ihnen gegenüber lehnt Lucian Scott, der Herrscher der Lone-Star-Ranch an der Wand. Lee selber befindet sich in Gesellschaft einiger Small Rancher.
»Herzlich willkommen, Männer«, beginnt nun Chisum. »Zunächst einmal möchte ich mich für euer zahlreiches Erscheinen bedanken. Es tut mir leid, dass ich euch als Begrüßung drei Gehenkte präsentieren muss, aber diese Hurensöhne haben gestern versucht, mein Vieh zu stehlen. Ich habe nichts dagegen, wenn einer meiner Männer, den ich im Winter auf Grubline schicke, eine Kuh beiseiteschafft, aber bei dreihundert Rindern hört auch bei mir der Spaß auf. Ich werde die drei zur Abschreckung eine Woche hängen lassen, damit jeder sehen kann, was passiert, wenn man mein Vieh stiehlt. Das ist auch der Grund, warum ich euch hergebeten habe.«
»Damit erzählst du uns nichts Neues, John. Das Land ist voll von diesem Gesindel«, gibt Dyer zu bedenken. Dabei wirkt sein Gesicht ziemlich sorgenvoll.
Chisum nickt bedächtig. »Das ist richtig, Leigh. Allerdings nimmt der Viehdiebstahl inzwischen Dimensionen an, die uns alle in den Ruin treiben werden. Das sind keine hungrigen Schollenbrecher oder irgendwelche umherziehenden Indianer mehr, die sich hier und da ein Rind in die Tasche stecken. Das ist schon organisierter Viehdiebstahl und dahinter stecken nur die Comancheros.«
»Woher willst du das so genau wissen?«, ruft einer der Anwesenden dazwischen.
»Mein Vormann hat erst letzte Woche in den Cap Rocks ein Camp von ihnen entdeckt. Zwanzig Mann, zweitausend Rinder und jedes dieser Longhorns hatte ein anderes Brandzeichen. Es wird Zeit, dass man endlich etwas gegen sie unternimmt.«
»Solange sie dem Militär aber ständig irgendwelche Weiße zurückbringen, die von den Indianern verschleppt wurden, wird das die Army nicht besonders gerne sehen. Hat nicht einer von ihnen erst letzten Monat sogar eine Bande Waffenschmuggler hochgehen lassen?«, weiß ein anderer zu berichten.
»Pah!«, empört sich Lucian Scott. »Drei zahnlose, alte Greaser mit einer Handvoll spanischer Musketen im Gepäck. Das waren keine Waffenschmuggler, die armen Schweine mussten lediglich als Bauernopfer herhalten. John hat schon recht, wenn er behauptet, dass man den Comancheros endlich mal eine Lektion erteilen sollte.«
»Und wie stellt ihr euch das vor?«, will ein anderer Mann wissen.
»Am Rio Hondo gibt es ein ganzes Dorf voll mit diesen Hurensöhnen. Zwei Wagen mit Kerosin beladen und zwanzig oder dreißig zu allem entschlossene Männer sollten genügen, um diese Blase endgültig aus dem Land zu fegen.«
Jeff Miller, ein Small-Rancher vom Brazos, hebt nun die Hand und meldet seine Bedenken an. »Gibt es in dieser Siedlung nicht auch Frauen und Kinder?«
»Natürlich«, entgegnet Chisum grollend. »Dort gibt es sogar jede Menge von denen. Frauen, die kleine Comancheros gebären und großziehen, damit die Kinder später einmal den Gefangenen Fleischfetzen aus dem Körper beißen oder auf ihre Schultern klettern, wenn man die armen Teufel an den Haaren aufgehängt hat. Wenn du ihnen in die Hände fällst, schlagen dir die Weiber lachend Speerdornenbüsche zwischen die Beine, während dir ihre ach so niedlichen Kinder Brandpfeile ins Gesicht schießen. Verdammt Miller, seit wann machst du dir Sorgen um Comancheroweiber und deren Bälger?«
»Weil es Sünde ist, was wir vorhaben. Wenn wir das Dorf angreifen, wird es nicht ausbleiben, dass auch Frauen und Kinder getroffen werden. Damit ist es Mord an Wehrlosen, egal, wie man es betrachtet.«
»Nenne es, wie du willst. Wenn du möchtest, gehe ich gerne zur Beichte, aber erst, nachdem ich diese Sünde begannen habe«, grollt Chisum und macht eine herrische Handbewegung, mit der er jedermann deutlich zeigt, dass für ihn dieses Thema nun erledigt ist.
Abrupt wendet er sich um.
»Genug jetzt, Maria hat ein vorzügliches Mahl für euch zubereitet. Deshalb esst und trinkt, soviel ihr könnt, und spart verdammt noch mal nicht mit dem Wein.«
***
Als das silberne Band des Rios Pecos vor den Männern auftaucht, ist es kurz vor Sonnenaufgang. Chisums Männer lenken zwei hochbeladene Wagen durch den Fluss, der an dieser Stelle kaum mehr als drei Inchs tief ist. Den Wagen folgen weitere zweiundzwanzig zu allem entschlossene Männer. Mit ihnen reiten auch Ben Allison und Lee Marlowe. Als der Reitertrupp seine Pferde auf einem kakteenbewachsenen Hügelrücken zügelt, geht gerade die Sonne auf. Die ersten Strahlen der Morgendämmerung tauchen die unter ihnen liegenden Hütten in zinnoberrotes Licht. Alle Gespräche sind nun verstummt, jeder weiß, was er zu tun hat. Während die Reiter das Dorf der Comancheros weiträumig umzingeln und die mit Kerosin beladenen Wagen in Position bringen, ist es die Aufgabe von Lee, die Wachen auszuschalten.
Bedächtig steigt er vom Pferd, zieht seine Jacke aus und nimmt den Hut ab. Dann blickt er sich noch einmal um und ist im nächsten Augenblick in der rauen Felslandschaft verschwunden.
Das Ganze ist für ihn denkbar einfach.
In dem Dorf leben mindestens einhundert Männer, Frauen und Kinder und deshalb kommt keiner der beiden Wachposten auch nur im Entferntesten auf die Idee, dass dieses Dorf jemals angegriffen werden könnte. Dementsprechend ist also ihre Wachsamkeit. Lautlos schleicht sich Lee an den ersten Posten heran und schlägt ihn nieder, bevor er Alarm geben kann. Geduckt geht er die zweite Wache an, und bevor der Mann auch nur auf drei zählen kann, ist er schon bewusstlos, gefesselt und geknebelt.
Danach richtet sich Lee Marlowe auf und winkt den anderen zu.
Als sich die Texaner der Siedlung nähern, halten jetzt fast alle Sharps-, Spencer- oder Winchestergewehre in den Händen. Das ist auch gut so, denn während sie die ersten Häuser passieren, wankt aus einer der Hütten eine gichtgekrümmte, zahnlose Alte mit einem leeren Wassereimer in der Hand. Noch bevor die Männer um Chisum reagieren können, hallt ihr schrilles Kreischen ohrenbetäubend durch den Morgen.
Einen Moment später ist in dem Comancherodorf die Hölle los. Gewehre und Revolver beginnen zu hämmern, Schreie gellen durch den Morgen und als die mit Kerosin beladenen Wagen in die vordersten Häuser des Dorfes krachen, ist das Chaos perfekt.
***
Es ist dann zwei Tage später, als sich Ben Allison und Lee Marlowe wieder auf dem Rückweg zur Drei Balken befinden. Ihr Ritt verläuft ziemlich still, die ganze Zeit über sprechen die Freunde kaum ein Wort. Irgendetwas scheint die beiden zu bedrücken.
»Verdammte Scheiße!«, unterbricht Lee schließlich das endlose Schweigen. »Auch wenn es Comancheros waren, so kann man mit Menschen nicht umspringen.«
Ben Allison zügelt sein Pferd und mustert seinen Sattelpartner überrascht. »Was regst du dich denn so auf? Du hast doch genauso wie alle anderen auch dabei mitgemacht.«
»Beim Kampf Mann gegen Mann ja, aber nicht beim Anzünden ihrer Hütten und beim Schießen auf Frauen und Kinder.«
Allison spuckt ärgerlich zu Boden und schenkt seinem Sattelpartner danach einen verständnisvollen Blick. »Du hast recht, damit ist Chisum eindeutig zu weit gegangen. Aber damit muss er klarkommen. Wir haben uns nichts vorzuwerfen, schwerbewaffnete Comancheros oder Frauen und Kinder sind nun mal zwei paar Stiefel und wir haben uns nur an die Bewaffneten gehalten. Also vergessen wir besser dieses Geschehen und widmen uns lieber wieder unseren eigenen Problemen. Ich denke, Big Bill wird uns mehr als nur ein Loch in den Bauch fragen.«
Lee Marlowes Gesicht wird nun von einem breiten Grinsen verzogen. »Vor allem dann, wenn ihm jemand erklärt, wie unsere Abstimmung vonstattenging.«
»Sei bloß ruhig«, erwidert Allison. »Oder hast du etwa Lust, das unserem Riesenbaby genauer zu erklären?«
Während sie grinsend wieder zurück auf ihre Heimatweide reiten, geschehen im Land ein paar Dinge, die für die Comancheros weitreichende Folgen haben werden. Inzwischen ist nämlich auch die Regierung auf ihr Treiben aufmerksam geworden und so kommt es, dass sich die Texas-Ranger für die Comancheros zu interessieren beginnen. Unter dem Kommando von Captain John B. Jones heftet sich das Frontier-Bataillon an ihre Fersen. Zudem beschäftigt sich jetzt auch Colonel MacKenzie intensiver mit ihnen, um endlich ihren Waffenhandel mit den Comanchen zu unterbinden. 1874, also noch im gleichen Jahr, in dem die hier geschilderten Ereignisse geschehen sind, zwingt MacKenzie einen der bekanntesten der Comancheros zur Beendigung seiner Karriere. Als Jose Piedad Tafoya, um dem Strick zu entgehen, seine Geschäfte aufgibt, ist dies ein schwerer Schlag für die Comancheros, von dem sie sich nicht mehr erholen. Bereits ein Jahr danach spielen sie keine allzu große Rolle mehr in diesem Land. Nur noch vereinzelt treten sie als Indianerhändler, Waffenschieber oder Schmuggler in Erscheinung.
Copyright © 2010 by Kendall Kane