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Brasada – Folge 8

Todesweg

Der neue Tag beginnt mit klirrendem Frost.

Kalter, fauchender Wind fegt von Norden her durch das Land. Ben Alison erschauert, obwohl er in der warmen Küche direkt neben der Feuerstelle steht, während er aus dem Fenster sieht.

Es ist inzwischen früher Mittag, und das ganze Land wirkt wie mit Zuckerguss überzogen.

Die Sonne steht fast senkrecht über dem mit Neuschnee bedeckten Panhandle. Sie taucht die Schneedecke in solch gleißendes Licht, dass Ben Allison die Augen zukneift, nachdem er mehrere Minuten die Umgebung beobachtet hat.

»Verdammt«, flucht er. »Wenn das so weiter geht, besteht die Brasada im Frühjahr nur noch aus erfrorenen Rindern und Cowboys, die Eiszapfen sind.«

»Jetzt mal den Teufel nicht an die Wand, sondern setz dich hin und iss mit«, sagt Lee.

Er nimmt die Kanne mit Kaffee und schenkt die drei verbeulten Becher bis zum Rand voll, während Big Bill das Essen auf den Tisch bringt. Es gibt Sour Doughs, also Sauerteigbrötchen, Frijoles und eben jenen Kaffee, der sogar Tote aufschreien lässt.

Nach dem Essen werfen sie ihr Geschirr in die Spülwanne, und während Big Bill diese mit heißem Wasser auffüllt, wagt Ben erneut einen Blick nach draußen.

»Ich denke, dass mit den Brushrindern war wirklich eine gute Idee von uns. Ich kenne keine andere Sorte von Longhorns, die diese Kälte so wegsteckt. Littlefield, Dyer und Scott werden im Frühjahr wahrscheinlich eine ziemliche Menge ihrer verweichlichten Rinder aus den Büchern streichen müssen.«

Inzwischen ist Lee Marlowe neben den weißblonden Texaner getreten und deutet mit seinem Zeigefinger nach Osten. »Anscheinend gibt es da draußen aber noch andere, denen die Kälte offensichtlich nichts anhaben kann.«

»Wie meinst du das?«

»Sieh nach Osten, wir kriegen Besuch.«

Ben Allison blickt nach links und zuckt zusammen.

***

Ein Mann kommt auf das Haupthaus der Drei Balken zu.

Er kommt zu Fuß. Es hat den Anschein, als ob er alles, was er besitzt, bei sich trägt.

Er hat sich seinen Sattel über die Schultern gehängt, einen Wollschal vor das Gesicht gebunden und außer einer Jacke aus Pumafell noch eine dicke, bunt gemusterte Indianerdecke um den Oberkörper gewickelt.

Er läuft langsam, beinahe schwankend, aber das ist auch kein Wunder. Denn er ist sicher schon einige Zeit zu Fuß unterwegs, und der Sattel, den er mitschleppt, wiegt gewiss vierzig Pfund. Er selber ist aber nur mittelgroß und auch nicht sonderlich schwer. Er erinnert eher an einen kleinen, mageren Wildkater.

Während dieser hagere, krummbeinige Mann am Creek entlang läuft und auf das Haus zusteuert, beginnt Big Bill damit, erneut Kaffee aufzubrühen.

Als der Besucher dann die Tür hinter sich schließt und mit klammen Fingern Schnee und Eis aus dem Gesicht wischt, überzieht Big Bills Gesicht ein breites Grinsen.

»Hallo Steve!«, sagt er wissend. »Was treibt dich hier in die Gegend? Soll ich deinen Namen auch auf unseren Kochtopf schreiben oder hast du inzwischen genug von der Futterstrecke?«

Der Mann, den Big Bill Steve nennt, lässt neben dem Küchentisch seinen Sattel zu Boden fallen und nimmt seinen Hut vom Kopf.

»Genug von der Futterstrecke?«, fragt Steve, schüttelt den Kopf und lacht zynisch auf. »Deine Witze waren auch schon mal besser, Big Bill.«

Bill Baker nickt verstehend.

Er weiß, das Grubline reiten ein verdammt hartes Brot ist. Wer von den Cowboys, die ja fast alle über den Winter ohne Arbeit sind, während der Viehsaison keine ungebrandeten Rinder beiseiteschaffen konnte oder einen Winterjob in der nächsten Stadt abbekommen hat, der muss sich ziemlich langmachen, um die kalte Jahreszeit zu überleben. Oder eben die Futterstrecke abreiten. Es gibt nämlich dann nur noch die Möglichkeit, es mit einem Bank- oder Postkutschenüberfall zu versuchen, um über die Runden zu kommen. Manche treten über den Winter auch in die Armee ein, obwohl sie wissen, dass Uncle Sam sie mindestens für vier Jahre mit Haut und Haaren frisst. Wenn sie dann im Frühjahr den Uniformierten den Rücken kehren und versuchen, sich wieder ins Buch einer Ranch einzuschreiben, werden sie als Deserteure verfolgt. Ob Fahnenflüchtiger oder Gesetzloser, eine Menge Männer kommen so jeden Winter auf den Todesweg.

»Wo ist eigentlich dein Pferd?«, will Bill dann wissen. »Du und dein Schecke waren doch immer unzertrennlich.«

Cooper zuckt mit den Schultern. »Ein Präriehundebau hat unsere Verbindung leider etwas abrupt unterbrochen. Das verdammte Loch lag versteckt unter Neuschnee und deshalb habe ich es zu spät gesehen.«

»Das tut mir leid für dich. Der Schecke war ein ausgezeichnetes Stück Pferdefleisch.«

»Was soll ich jammern?«, sagt Steve Cooper. »Es ist nun mal so, wie es ist, und jeder Winter ist irgendwann einmal zu Ende.”

Dann macht er sich gierig über die Sour Doughs und die Frijoles her, und weil Big Bill bei diesem Bohnengericht eine Menge Knoblauch und Chilischoten mitgekocht hat, bekommt Steve nicht nur wegen der Wärme in der Küche einen feuerroten Kopf.

»Hölle!«, krächzt er schließlich, als er den letzten Rest Bohnen mit dem Brot auf dem Teller zusammenschiebt und das Ganze dann mit einem Schluck Kaffee hinunterspült. »Deine Frijoles heben selbst den ältesten Mann noch in den Sattel.”

Big Bill lacht, Lee Marlowe grinst und schenkt Kaffee nach, nur Ben Allison scheint sich über die Anwesenheit des Mannes nicht so recht freuen zu können.

Er kennt Steve Cooper, in dem dünn besiedelten Panhandle kennt fast jeder jeden, und eigentlich ist dieser Cooper kein Mensch, dem man mit Misstrauen begegnen muss. Dennoch spürt Allison, dass hier etwas nicht stimmt.

Cooper blickt immer wieder misstrauisch auf. Er reibt sich ständig übers Gesicht und seine Augen zucken nervös hin und her. Ben Allison ist selbst einmal die Futterstrecke geritten und kann zwei und zwei zusammenzählen. Durch seine Menschenkenntnis und langjährige Erfahrung glaubt er allmählich zu wissen, was hier falsch läuft.

»Was hast du angestellt?«, fragt er deshalb plötzlich.

***

Big Bill, der gerade in der Feuerstelle Holz nachlegt, zuckt erschrocken zusammen. Ja, man kann sagen, dass er mit dem Holzscheit in der Hand vor dem Küchenherd förmlich zur Salzsäule erstarrt. Auch Lee Marlowe fällt das Grinsen fast aus dem Gesicht.

»Was meinst du damit?«

»Keine Ausreden!«, sagt Ben.

Steve Cooper nickt.

Es ist nun offensichtlich, dass er weiß, dass man ihn ertappt hat.

»Verdammt«, sagt er schließlich. »Ich hatte nicht mehr viele Möglichkeiten, ich wäre sonst verhungert.«

Hilfe suchend sieht er zu Baker und Marlowe.

»Was hätte ich denn tun sollen? Das Geld in der Bank von Mobeetie ist versichert und es hat weder Tote noch Verletzte gegeben.«

»Wie viel?«, fragt Allison nur.

»Achttausend Dollar«, antwortet Cooper und die Männer halten den Atem an.

»Ein Cowboy verdient fünfundzwanzig im Monat. Was zur Hölle willst du mit achttausend?«

Bevor Cooper antworten kann, kommt Hufschlag auf. Bill, Lee und Ben hören die Geräusche des herannahenden Pferdes und dann das Repetieren eines Gewehres, weil es durchgeladen wird.

»Komm raus!«, ruft eine entschlossene Stimme.

Die Männer zucken erneut zusammen.

Sie kennen Sheriff Willingham. Dieser Mann kennt keine Gnade. Manche Leute behaupten sogar, er hätte vor Jahren seinen eigenen Bruder vor Gericht gebracht.

»Komm raus!«, ruft Willingham wieder.

Steve Cooper blickt sich um. Dann senkt er den Kopf und zuckt mit den Schultern. Er weiß, dass er am Ende seines Weges angelangt ist.

»Wenn mein Pferd nicht in diesen verdammten Bau getreten wäre, hätte ich diesen Sternschlepper schon längst abgehängt. Was wollt ihr nun tun? Kann ich auf eure Hilfe zählen?«

»Sorry«, sagt Ben Allison. »Aber das musst du alleine mit dem Sheriff ausmachen.«

Cooper schluckt trocken. »Verdammt, dieses Jahr scheine ich mit meinem Winterjob kein Glück zu haben«, sagt er heiser, reißt seinen Colt aus dem Halfter und rennt nach draußen.

»Bleib hier!«, schreit Big Bill noch, aber da krachen schon die Schüsse.

***

Als die Männer aus dem Haus kommen, liegt Steve Cooper auf dem Rücken. Seine zerrissene Hemdbrust ist blutüberströmt. In seinen weit aufgerissenen Augen spiegelt sich der kalte Texashimmel. Der Sheriff tritt mit seinem rauchenden Gewehr an den Toten.

»Verdammt, er hatte doch keine Chance. Warum hat er das nur getan?«

»Solange die Rancher im Winter die Namen der Cowboys aus ihren Büchern streichen, wird es immer wieder Männer wie Cooper geben, die den Todesweg reiten«, sagt Allison.

Als er es gesagt hat, kann er nicht verhindern, dass eine große Bitterkeit in ihm aufsteigt.

Copyright © 2009 by Kendall Kane