Es muss nicht immer Tarzan sein
Eine nicht ganz ernst gemeinte Abhandlung über Dschungelhelden, Comics und Zeitgeist
Die Einführung
Über die Geschichte des Comics ist viel geschrieben worden, darunter auch einige wissenschaftliche Studien. Der Grund dafür dürfte wohl in der ungeheuren Vielfalt dieser bunten Bilderwelt zu suchen sein und daran, dass Comics an kein Genre gebunden sind.
Familienfreundliche Unterhaltung, Slapstick und Abenteuer gehören ebenso dazu wie Western, Fantasy oder Science-Fiction. Nicht zu vergessen die Hardcorelinie und die sogenannten U-Comics, die sich sehr intensiv mit dem Thema Horror und Sex beschäftigten. Darüber reden wir aber besser einmal in einer stillen Stunde.
Denn außer meiner Frau reagiert auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien sehr sensibel bei diesem Thema.
Gewisse Verleger können ein Lied davon singen, von der Bundesprüfstelle, nicht von meiner Frau, aber lassen wir das.
Es konnte also nicht ausbleiben, dass eine comicverliebte »Spätlese« wie ich irgendwann auch seinen Senf zu diesem Thema abgeben würde. Aber keine Angst, ich habe nicht die Absicht, Sie als Leser dieser Zeilen mit einer weiteren staubtrockenen Abhandlung zu langweilen, die vollgestopft ist mit nichts anderem als der Anhäufung nackter Zahlen oder irgendwelchen wissenschaftlichen Ergüssen, die sich sowieso kein Mensch merken kann.
Dieser Artikel versucht deshalb nicht, noch einen weiteren Überblick über die verschiedenen Richtungen im Comic zu geben, sondern hat gezielt nur das Abenteuergenre im Auge und hier im speziellen die Helden des Dschungels.
Vordergründig scheint es in diesem Metier eigentlich nur einen zu geben: Tarzan.
Aber wer bereit ist, etwas genauer nachzuforschen, wird schon bald auf einen wahren Kosmos stoßen, in dem sich unzählige muskelbepackte Helden, leicht geschürzte Frauen, naive Kinder und nichtmenschliche, teilweise zum Brüllen komische Vertreter dieser Spezies tummeln.
Wer also Interesse hat, kann mich gerne auf meinem Streifzug durch die Dschungelcomics begleiten.
Die Anfänge
Als am 27. August 1912, also vor etwas mehr als einhundert Jahren, in dem amerikanischen Pulp-Magazin »The All-Story« zum ersten Mal Edgar Rice Burroughs Geschichte Tarzan of the Apes veröffentlicht wurde, ahnte noch niemand, dass der Autor mit seinem Dschungelhelden eine Abenteuerfigur erschaffen hatte, die selbst heute immer noch nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat.
Zusammen mit Conan und Zorro gehört Tarzan unzweifelhaft zu den Urvätern des Actiongenres. Ihre Abenteuer sind bis heute legendär. Dabei war es vor allem Tarzan, der bis vor wenigen Jahren noch in den Medien allseits präsent war.
Die erste Verfilmung des Stoffes flimmerte bereits 1918 mit Elmo Lincoln als Titelheld über die Leinwand. Bis 1998 sollten beinahe einhundert weitere folgen, wobei die Filme mit Jonny Weissmüller, Lex Barker und Gordon Scott als Hauptdarsteller bis in unsere Zeit hinein sowohl die bekanntesten als auch die erfolgreichsten sind.
Dazu gab es diverse Fernsehserien, von denen vor allem jene mit Ron Ely als Tarzan gerade hierzulande überaus beliebt war.
Gleichzeitig wurde im Fahrwasser dieser Filme fast jeder Buchladen, Supermarkt oder Kiosk von einer wahren Flut an Comicadaptionen überschwemmt. Die Anfänge waren in Amerika, wo Tarzan-Comics ab 1920 seitenweise in den Zeitungen abgedruckt wurden. Nach dem Krieg gab es in Westeuropa fast in jedem Land mindestens einen Verlag, der derartige Comics vertrieb. Alleine in Deutschland erschienen von 1952 bis 1958 im Mondial/Pabel Verlag 170 Comicausgaben von Tarzan. 1959 bis 1961 folgten 62 Großbände im Walter Lehning Verlag und von 1965 bis Juli 1976 erschienen zunächst im BSV, dann im Williams- und zuletzt im Rechtverlag insgesamt 209 weitere Abenteuer des Dschungelhelden.
Der grandiose Erfolg dieser oftmals banalen und einfach gestrickten bunten Heftchen beruhte im Wesentlichen auf dem Zeitgeist jener Jahre, in denen die Comics ihre Blüte erlebten. Es war die Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Menschen hatten genug von Blut, Tod und Elend und sehnten sich wieder ein Stück heile Welt herbei. Mit der durch den Krieg bedingten Familienverwaisung und dem völligen Verlust von Werten und Autorität ist es auch zu erklären, warum auch dem Heimatfilm in diesen Jahren solch ein Erfolg beschieden war.
Während die Älteren mitfieberten, wenn es um die Schicksale von Bergpfarrern, Förstern oder Landärzten ging, träumte die Jugend von Abenteuern in fernen Ländern, von Indianern, Piraten, Rittern und rasenden Reportern. In einer Zeit, in der Internet und Gameboy noch als Science-Fiction in weiter Ferne lagen und sich die Freizeitevents auf Freibad, Fußball spielen, Kirmes und gelegentliche Kinobesuche beschränkten, waren es gerade die Comics, die der Jugend eine Flucht aus der tristen Nachkriegswelt bescherten.
Das Fernsehprogramm bestand damals lediglich aus zwei Sendern, die Filme wurden in Schwarz-weiß ausgestrahlt und spätestens um Mitternacht gab es im TV nur noch Schnee oder das Testbild zu sehen. An manchen Feiertagen war das sogar schon früher der Fall.
Nur so ist es zu erklären, wie manche in Deutschland erschienenen Comicserien eine wöchentliche Auflage von bis zu 180 000 Exemplaren zustande brachten.
Aber jetzt genug gelabert, ich merke, dass ich allmählich abschweife, deshalb zurück zum eigentlichen Thema.
Einen Tarzan kennt auch ohne mein Zutun selbst heute noch fast jedes Kind. Viel interessanter ist daher, wie eingangs schon erwähnt, der Blick auf die etwas unbekannteren Vertreter des Dschungelkönigs, sozusagen die zweite Garnitur der Helden.
Außer Burroughs gab es noch so einige Autoren, die ähnliche Protagonisten erschaffen hatten. Obwohl ihre Namen nicht so bekannt waren, sind sie dennoch mehr als nur eine Erwähnung wert. Mit den Abenteuern ihrer Protagonisten lieferten sie nicht nur spannende, sondern teilweise auch überraschend gute Unterhaltung ab.
Den Anfang machte Lee Falk, als er 1936 mit großem Erfolg seinen Superhelden The Phantom erschuf. Sie wissen schon, jenen muskelbepackten Schöngeist, der in einer Totenkopfhöhle im Dschungel unter Pygmäen lebte und mit einem Ring mit Totenkopfsymbolen per K.-o.-Schlag Verbrecher und Bösewichte markierte. Mit seinem dunkelvioletten Kostüm und der schwarzen Augenklappe wäre er heutzutage garantiert die Attraktion einer jeden Parade am Christopher Street Day gewesen.
Der zweite im Bunde erblickte 1939 das Licht der Welt und nannte sich Ka-Zar. Der gute Mann gehört somit zu den ältesten Dschungelheldenkreationen aus dem Hause Marvel. Allerdings kam diese reine Tarzankopie, die laut literarischer Vorgabe im bürgerlichen Leben David Rand hieß, nicht über drei Abenteuer hinaus. Seine Freunde waren übrigens Zar der Löwe und Trajah der Elefant; Tarzan, Cheetah und Jane lassen grüßen.
Was danach folgte, war eine Welle absoluter Frauenpower.
Jerry Iger entwarf 1938 für ein Magazin der Jumbo Comics Sheena, die erste weibliche Dschungelheldin der Comicgeschichte.
Die Abenteuer dieser leicht geschürzten, blonden Dschungelamazone zogen nicht nur eine Reihe von Filmen und Fernsehadaptionen nach sich, sondern inspirierten auch den Zeichenkünstler Frank Chi Jahre später zu einer Neufassung unter dem Namen Shanna the She-Devil, allerdings mit solch gewagten Bildern, dass Marvel selbst die Originalzeichnungen zensierte. Dennoch ist das Interesse an der jungen Dame auch heute noch ungebrochen.
Kein Wunder, welcher normale Mann blickt schon züchtig zur Seite, wenn sich vor seinen Augen ein Knackarsch durch den Urwald schiebt, der leidlich nur mit einem Leopardenfelltanga verhüllt ist?
Es folgten Serien wie Jana of the Jungle, Loma the Jungle Queen von James ›Jim‹ Mooney, Luana oder Rima the Jungle Girl von W. Hudson und unzählige weitere, die vom Inhalt und der Aufmachung allerdings so mies waren, dass heute kein Hahn mehr danach kräht.
Absatzschwierigkeiten hatte zunächst keine dieser Serien zu befürchten. Die nach dem Krieg in Europa stationierten amerikanischen Soldaten eröffneten den Verlagen dort ungeahnte Märkte.
Die europäische Variante
Der wichtigste, also kommerziell erfolgreichste westeuropäische Pedant zu diesen Dschungelhelden kam zunächst aus Italien und hieß Akim, der Sohn des Dschungels. Augusto Pedrazza als Zeichner und Roberto Renzi als Autor erschufen einen Helden, der deutliche Parallelen zu Tarzan aufwies. Ab 1953 erschienen seine Abenteuer auch in Deutschland. Da die Geschichten aber teilweise brutaler waren, als es der Zeitgeist im Deutschland der damaligen Jahre erlaubte, wurde diese Serie mit der Ausgabe Nr. 78 schließlich dauerindiziert. Heutzutage würden die Gründe dafür jedermann nur ein mitleidiges Lächeln entlocken. Aber damals war diesen selbst ernannten Moralwächtern sogar ein flüchtiger Kuss ein Dorn im Auge.
Der Lehning-Verlag, der die Serie in Deutschland vertrieb, reagierte kurzerhand.
Hansrudi Wäscher, bis heute wohl der produktivste Zeichner der deutschsprachigen Comicszene, führte die Serie in gemäßigter Form weiter. Aber Akim brachte dem Verlag auch weiterhin keine Fortune. Als die Italiener erkannten, mit welchem Erfolg die Serie in Deutschland lief, pochten sie solange auf ihr Urheberrecht und ihre Lizenzen, bis der Lehning-Verlag die Serie schließlich entnervt einstellte.
Akim wurde bereits eine Woche nach seinem abrupten Ende durch eine Nachfolgeserie namens Tibor ersetzt. Gleiches Konzept, gleicher Held, gleiches Aussehen und was am wichtigsten war: gleicher Erfolg.
Die Italiener schäumten vor Wut, während sich Tibor in Deutschland zu einem der gefragtesten Dschungelhelden in der Comiclandschaft mauserte.
Er sollte nicht der letzte bleiben.
Mit Nizar schickte Wäscher bald darauf einen zweiten Urwaldhelden ins Rennen.
Andere Autoren mit Serien wie Korak, Tarzans Sohn, Kuma oder Bomba der Dschungelboy sollten folgen.
Dazu kamen zwei Protagonisten aus Amerika, deren Abenteuer ganz gezielt auf eine erwachsene Leserschaft zusteuerten.
Die Rede ist hier von Congo Bill, einem der ersten Helden aus der DC Comicschmiede, der es zu Filmehren gebracht hat, und Thun´da.
Diese wohl bekannteste aller Tarzan-Epigonen wurde 1952 von Frank Frazetta erschaffen. Der 2010 verstorbene Zeichner war einer der bekanntesten und einflussreichsten Fantasy- und Science-Fiction-Illustratoren seiner Zeit. Sein Stil wurde oft kopiert, aber nie erreicht.
Zu diesen allesamt ziemlich actionlastigen Dschungelhelden gesellten sich nach und nach auch kindgerechte Adaptionen.
Über die billig daher geschluderten Heftchen, die manche Verlage in der Hoffnung, sich auch ein Stück vom Erfolgskuchen aus dem Dschungel abschneiden zu können, in Massen auf den Markt warfen, werde ich aus Prinzip nicht eingehen. Diese Dinger waren zum Teil unterste Schublade und nur darauf ausgerichtet, den Kids das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Dass es auch anders ging, zeigen nachfolgende Beispiele.
Über Mogli und das Dschungelbuch zu reden, erspare ich mir, das käme dem Versuch gleich, Eulen nach Athen zu tragen. Daher weise ich an dieser Stelle lieber auf andere, zum Teil sehr interessante Serien hin, von denen es auch heute noch einige gibt. Boa, Sohn der Sümpfe, zum Beispiel oder die Comicadaption von Daktari aus dem Hebel-Verlag. Weitere Highlights sind die Abenteuer des indischen Dschungelboys Roy Tiger, eine der Kultserien von Bastei, und Marsupilami, den man leider nur in Westeuropa kennt.
Eigentlich schade, denn mit seinem »Hubba Hubba Hopp« bringt er auch heute noch nicht nur Kinder und Jugendliche zum Lachen.
Was übrig blieb
Die Branche boomte und beinahe täglich schossen neue Serien wie Pilze aus dem Boden.
Als Ende der Siebziger die ersten dunklen Wolken am Comichimmel aufzogen, lachten die Leute in den oberen Verlagsetagen noch.
In den Achtzigern blieb ihnen dieses Lachen im Hals stecken.
Das große Comicsterben hatte seinen ersten Höhepunkt erreicht.
Was war geschehen?
Genau wie die Blüte der Comics nach Ende des Krieges war fast vier Jahrzehnte später auch ihr Niedergang dem Zeitgeist geschuldet.
Die ersten Atari-Spielekonsolen kamen auf, es gab Kabelfernsehen und in den Kinos hielten neue Tricktechniken Einzug, siehe die Krieg der Sterne Saga, die alles bisher da Gewesene in den Schatten stellten.
Statt neue Wege zu gehen, hielt man am Altbewährten fest, die Quittung erfolgte Anfang der Neunziger. Das Freizeitverhalten der Menschen hatte sich fast um 180 Grad gedreht. Durch den Vormarsch der elektronischen Unterhaltungsindustrie war kein Jugendlicher mehr gezwungen, eine Woche lang auf das nächste Abenteuer seines Lieblingshelden zu warten. Kabelfernsehen, Videorekorder, Spielekonsolen und die ersten Heimcomputer ermöglichten zu jeder Tag- und Nachtzeit einen fast kostenlosen Zugriff zu der Welt der bewegten Bilder.
Zusammen mit dem Heftroman marschierten die Comics fast im Gleichschritt auf den Abgrund zu. Zu den letzten »Mohikanern«, die überlebten, gehören Perry Rhodan und Jerry Cotton im Romansektor und Asterix und Donald Duck bei den Comics.
Heute, mehr als zwanzig Jahre nach dem großen Crash, gibt es speziell in der Comicszene kaum noch Innovatives und wenn, dann kommt so etwas nur noch aus Kleinverlagen oder von irgendwelchen Lektoren eines Verlagsriesen, die in einem Anfall von Nostalgie ein Revival auf den Markt werfen.
Daher fallen meine Empfehlungen für die zukünftigen Abenteuer der Dschungelhelden zum Abschluss leider auch etwas spärlich aus.
Filmtechnisch war 1998 mit Tarzan und die verbotene Stadt selbst mit dem Vorzeigehelden der Dschungelheroen das Ende der Erfolgsgeschichte erreicht.
Von Marsupilami soll es noch eine Realverfilmung geben, die ab Sommer 2012 in Frankreich in die Kinos kommen sollte, der Bocola Verlag startet im November eine neue Reihe mit den frühen Abenteuern von Tarzan, gezeichnet von keinem geringeren als Hal Forster, dem Schöpfer von Prinz Eisenherz, und der US-Verlag Dynamite Entertainment bringt Frazettas Thun´da, den König des Kongos mit neuen Abenteuern zurück.
Der Rest ist Schweigen, irgendwie passend zum Ende meiner Ausführungen.
Quellen:
Archiv des Autors sowie Internetseiten von wikipedia.de, wobei ich mit jenen nicht immer einverstanden war.
Copyright © 2013 by Slaterman