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Jimmy Spider – Folge 20

Jimmy Spider und die schwarze Box

Es war ein lauer Sommertag. Eine kühle Brise blies durch die Straßen von Manchester, als wollte der Wind die Ankunft des Herbstes ankündigen.

Kaum ein Mensch bewegte sich um diese Zeit im Schein der untergehenden Sonne zwischen den vielen für die Stadt typischen roten Backsteinhäusern. Bei dem Wetter verbrachten viele lieber den Abend zu Hause, bei Freunden, im Kreis der Familie oder allein vor dem Fernseher.

Ein Mann allerdings war weit entfernt von alledem – ich, Jimmy Spider. Ein streng geheimer und geheimnisvoller Geheimauftrag hielt mich von etwaigen Film- oder gar Familienattacken fern.

Besonders verbittert war ich darüber nicht, denn mein (leiblicher) Vater und meine Ex-Frau konnten mir eigentlich gestohlen bleiben. Meine Tochter vielleicht nicht, aber das war eine andere Geschichte.

Jedenfalls befand ich mich trotz aller melancholischer Gedanken in einer noblen Villa am Stadtrand von Manchester. Allerdings nicht, um hier eine Party zu feiern (wobei sich der Pool im Keller eigentlich dazu anbot – was wohl mein Chef dazu sagen würde?), sondern um zwei für die TCA und andere Geheimorganisationen enorm wichtige Wissenschaftler zu schützen. Was genau die beiden so wichtig machte – streng vertrauliche Waffenexperimente, Frankensteins Erbe oder gar der Bau einer Zeitmaschine – war mir allerdings unklar.

Aber immerhin waren sie wichtig genug, um gleich vier TCA-Agenten für diesen Fall abzustellen. Neben mir waren das Ellen Forsythe (eine blonde Mittvierzigerin, die mir als sehr emotionslos beschrieben wurde – und diese Ankündigung im vollen Umfang erfüllt hatte – und ungefähr so viel Sympathie ausstrahlte wie ein halb verhungerter Eisbär in der Wüste Gobi), Steven McLaughington (sein Zwillingsbruder wäre mir lieber gewesen) und Jack Rollins, der für den kurzfristig erkrankten Dave Logger eingesprungen war.

Ich stand am Fuß einer ausladenden Wendeltreppe und blickte empor. Die aus sündhaft teurem Marmor geschaffenen Stufen führten, beobachtet von einigen mir unbekannten ältlichen Herren, deren Porträts an den Wänden hingen, in den ersten Stock, in dem sich auch die Wissenschaftler befanden. Genauer gesagt saßen sie unter Bewachung von Jack Rollins an einem Tisch im Wohnzimmer (das ungefähr so groß war wie das Haus, in dem ich – wohlgemerkt nicht alleine – wohne) und tranken Tee. Wie klischeehaft.

Klischee hin oder her, Forsythe, McLaughington und ich patrouillierten an drei unterschiedlichen Stellen im Haus, um auch ja kein verdächtiges Staubkorn zu unseren Klienten durchzulassen.

Die Villa selbst gehörte früher einem gewissen Lord Henry Jenkins, der nach seinem recht blutigen Ableben durch eine dämonische Schere aus unerfindlichen Gründen der TCA seinen gesamten Besitz vermacht hatte. Das Schneidegerät befand sich mittlerweile ebenfalls im Scherenhimmel.

Mein Funkgerät, oder besser dessen Rauschen, riss mich aus meinen Gedankengängen. Ich zog es aus seiner Tasche, die an meiner Hose befestigt war, und erfuhr sogleich, wer mich sprechen wollte.

»Kaninchen an Fuchs, bitte melden.« Das konnte nur Steven McLaughington sein.

Ich verdrehte die Augen, bevor ich antwortete. »Hören Sie auf mit diesen Kinderspielchen. Sprechen sie gefälligst normal.«

»Ja, Mr. Fuchs … äh, Mr. Spider.«

Ich tippte mir geistesabwesend an die Stirn. War das ein Albtraum? Ich beschloss, McLaughingtons vorherige Aussagen einfach zu ignorieren. »Was ist denn nun?«

»Tja, nun, ich glaube, ich habe eine Spinne gesehen.« Bevor ich ihm etwas entgegnen konnte, fügte er noch hinzu: »Nein, nehmen Sie es nicht persönlich. Aber sie sah nicht normal aus. So übergroß. Aber ich habe sie auch nur für einen kurzen Moment gesehen.«

In meinem Inneren verstärkte sich das Bedürfnis, das Funkgerät einfach in den nächsten Mülleimer zu werfen. Aber dann sagte mir mein Verstand, lieber jedem kleinsten ungewöhnlichen Vorfall nachzugehen, sei er auch noch so bizarr.

»Also gut … bleiben Sie, wo Sie sind – Moment, wo sind Sie überhaupt?«

»In der Küche.« Welch Überraschung …

»Ich komme zu Ihnen. Warten Sie dort!«

»Okay, Kaninchen En … ähm, bis gleich.«

Ohne mir weitere Gedanken über die Inkompetenz meines Kollegen zu machen, begab ich mich auf den Weg zur Küche. Sie befand sich in einem Nebenflügel des ersten Stocks.

Statt mich nun mühsam die Treppe hinauf zu quälen, begab ich mich zu einem Aufzug (der gute Lord hatte wohl etwas Geld zu viel) und fuhr nach oben. Nach einem schieren Labyrinth aus Gängen, Flügeln und verschiedenen Sälen fand ich schließlich die Küche, bei der jeder noch so erfolgreiche Profikoch vor Neid erblasst wäre. Sie hatte fast die Größe eines Tennisplatzes. Herde, Tischplatten, Kühl-, Eis- und Geschirrschränke säumten diese … Moment, ich war doch nicht hier, um mir in einer … prachtvollen, unheimlichen Kü… nein, nicht ablenken lassen … wo war ich? Ach ja, ich war doch nicht hier, um mir mit einer solchen glanzvollen Küche mein Hirn wässrig zu denken, oder etwa doch? Hmmm …

Neben mir erklang eine mir wohlbekannte Stimme. »Raus hier, Mr. Spider, der Gashahn hat ein Leck.«

»Aber diese Küche, sie ist …«

»Voll von Gas, das Ihr Hirn erweicht.«

Steven McLaughington zog mich aus diesem anmutig schönen Raum und schloss hinter mir die Tür. Nachdem er mich vor ein offenes Fenster gestellt hatte, verklangen allmählich meine Lobpreisungen auf die Küche und machten meinem eher rational eingestellten Verstand Platz. Dabei konnte ich noch nicht einmal kochen!

Halbwegs gefestigt wandte ich mich meinem jungen Kollegen zu und nickte dankend. »Das war wirklich knapp.«

McLaughington lächelte knapp. »Knapp und mysteriös. Die Küche war nämlich auch der Raum, in dem ich die Spinne zuletzt gesehen habe. Wer weiß, ob das Austreten des Gases nicht Absicht war.«

»Ob Absicht oder nicht, wir müssen die Wissenschaftler evakuieren. Wer weiß, wohin das Gas schon gedrungen ist. Ein kleiner Funke kann explosive Folgen haben. Ich werde mal Rollins und Forsythe anfunken.«

Das eigentlich schon für die Fütterung des Mülleimers eingeplante Funkgerät war nun Gold wert. Ich zog es aus meiner Jackentasche und versuchte, Kontakt zu erhalten. »Fuchs ruft Forsy … ach Quatsch.« Ob es das Gas war, das mich wieder erwischte, oder ein Erinnerungsfetzen an McLaughingtons bizarren Funkruf, würde ich wohl nie erfahren. »Spider ruft Forsythe, bitte kommen!«

Nichts tat sich. Ich versuchte es erneut, aber ohne Erfolg.

Ich wusste, dass Ellen Forsythe in einem Saal, der zum Wintergarten führte, Wache hielt. Bevor ich mich auf den Weg zu ihr machte, wandte ich mich noch einmal an meinen Kollegen. »Wann haben Sie die Spinne etwa zuletzt gesehen?«

»Das ist höchstens drei, vier Minuten her. Aber sehen ist zu viel ges…«

Bevor er seine Rede zu Ende gebracht hatte, drehte ich mich um und lief in Richtung des vermutlichen Aufenthaltsortes meiner Kollegin.

***

Der Saal, in dem Ellen Forsythe Wache halten sollte, hatte die ungefähre Größe eines halben Fußballfeldes. An der den Fenstern gegenüberliegenden Wand befand sich ein überdimensionaler Kamin. Landschaftsbilder und Porträts säumten die Wände und sorgten normalerweise für eine heimelige Atmosphäre.

Nicht so bei mir. Die Stille in diesem Raum machte mich nervös. Eigentlich hätte ich schon längst etwas von meiner Kollegin hören sollen. Dass dies nicht der Fall, konnte nur bedeuten, dass ihr etwas Schlimmes widerfahren war – oder sie hatte sich irgendwo schlafen gelegt.

Während ich durch die halbe Villa hierher gelaufen war, hatte ich auch Jack Rollins angefunkt, um ihn vorzuwarnen, dass möglicherweise jemand oder etwas in das Gebäude eingedrungen war. Er hatte mir erklärt, die Augen offen zu halten (ich hatte auch nicht erwartet, dass er nach einer solchen Nachricht ein Nickerchen halten würde), aber auf eine Evakuierung hatten wir zunächst verzichtet.

Ich ging an einer ausufernden Minibar vorbei und wandte mich einer Gruppe von schwarzen Ledersesseln zu, die die Mitte des Saals bildeten.

In der rechten Hand hielt ich, nur zur Sicherheit, meine Desert Eagle.

Langsam näherte ich mich der Sitzgelegenheit, ohne mit Bestimmtheit sagen zu können, warum. Es war nur so ein Gefühl. Wenige Sekunden später sah ich mich bestätigt. Zwischen den Sesseln ragten zwei am Boden liegende Beine hervor.

Sofort beschleunigte ich meinen Gang. Nachdem ich zwei Sessel passiert hatte, sah ich die Bescherung: Ellen Forsythe war tot. In ihren weit aufgerissenen Augen stand noch wie eingemeißelt ein kaum nachvollziehbarer Schrecken.

Eine Verletzung entdeckte ich zunächst nicht. Erst als ich einen Blick auf Fortsythes Stirn warf, sah ich ein kleines Loch. War sie erschossen worden? Wenn ja, steckte in ihrem Kopf womöglich die kleinste Kugel der Welt. Ausgehend davon, dass auch die verwendete Pistole sehr klein gewesen sein musste, hatte ich es hier womöglich mit mordenden Zwergen zu tun.

Bei näherer Betrachtung wirkte das Loch allerdings nicht wie eine Schusswunde. Vielmehr erschienen mir die Wundränder wie verbrannt. Als hätte sich ein extrem dünner Strahl in ihre Stirn gefräst …

Ich drehte die Tote auf den Bauch. Nach einigem Gewusel durch Forsythes chlorfrei blondiertes Haar fand ich schließlich auch eine Austrittswunde. Sie fühlte sich genau so an, wie die auf der Stirn.

Klackackacklacklacklack …

Was war denn das? Ich richtete mich sofort auf, aber nichts war zu sehen. Nur ein leerer Saal.

Ich dachte an die Spinne, die Steven McLaughington gesehen hatte. War sie es, die …

Klacklacklacklack.

Ich drehte mich herum. Die Geräusche mussten aus der Umgebung der Minibar gekommen sein. Hatte ich es mit einer Alkoholiker-Spinne zu tun?

Langsam ging ich auf den Tresen der Bar zu. Im Hintergrund standen noch immer unberührt Hunderte Flaschen. Nichts hatte sich verändert, außer … außer der schwarzen Box, die auf dem Holz des Tresens lag. Sie war etwa so groß wie eine Männerhand, in der Form eines Würfels. Wer hatte sie dort hingelegt?

Ich war versucht, die Box hochzuheben, doch eine innere Stimme hielt mich davon ab. Irgendwie wirkte die Box gefährlich auf mich. Aber warum?

Etwas öffnete sich. Ein kreisrundes Loch erschien vor meinen Augen. Ich versuchte hineinzublicken und sah etwas, dass mich an eine Kamera erinnerte. Oder an …

»Oh shit!« Ich ließ mich im selben Augenblick zu Boden fallen, als ein rötlicher Laserstrahl über mich hinweghuschte und in der gegenüberliegenden Wand verschwand.

Das hatte die Box nicht umsonst getan. Ich schoss ihr direkt ins Auge.

Zumindest dachte ich das, aber die Kugel prallte wirkungslos an der Außenwand ab. Einzig die Einschlagswucht trieb das schwarze Etwas einige Zentimeter zurück. Das Loch war verschwunden.

Nun wurde es langsam unheimlich. Hatte ich es hier mit einer Killer-Box zu tun?

Als ob mir das Ding meine Frage auf seine Art beantworten wollte, kam es wieder in Bewegung. An vier verschiedenen Stellen fuhren stiftdicke silbern glänzende Antennen hervor. Aus der Oberseite der Box erschien die größte. Plötzlich klappte die Spitze auseinander und fing an, sich mit großer Geschwindigkeit zu drehen. Im nächsten Moment hob die schwarze Box vom Tresen ab. Erst da sah ich, dass sich auch die anderen drei silbernen Stifte in eine Art Propeller verwandelt hatten.

An der Vorderseite öffnete sich wieder das Loch. Und die Box flog direkt auf mich zu.

Ich sprang auf und hechtete der Sesselgruppe entgegen. Hinter mir hörte ich nichts weiter als ein leises Rauschen.

Hinter einem der Sessel fand ich eine provisorische Deckung. Na ja, zumindest hatte ich das gehofft, aber nur wenige Zentimeter neben meiner linken Hand durchdrang ein roter Strahl wie Butter das sündhaft teure Leder. Jenkins würde im Grabe rotieren, wenn er davon erführe.

Das war mir aber im Moment egal, denn ich wollte nicht die nächste Butter werden. Deshalb schoss ich erneut.

Vier Kugeln jagten der Box entgegen. Zwei gingen fehl und zerstörten die Glastür zum Wintergarten. Die anderen zwei aber trafen, eine fuhr sogar in das Loch an der Vorderseite.

Die schwarze fliegende Box geriet ins Schlingern, fing sich aber wieder und flog mit halsbrecherischer (was, wenn man die Physiognomie der Box näher betrachtete, sicher nicht allzu gefährlich war) Geschwindigkeit über mich hinweg, der Tür entgegen.

Ohne zu zögern stand ich auf und lief hinterher.

Die Tür, durch die die Box entfleucht war, führte in Richtung des Heimkinos. Dafür hatte sich der Lord einen weiteren, etwas kleineren Saal einrichten lassen.

Ich ging daran vorbei, ohne eine Spur der Box zu finden. Offenbar gehörte sie nicht unbedingt zu den Filmfreunden.

Ein langer Gang führte mich zu einer recht engen Treppe, die in einem nicht beleuchteten Untergeschoss zu münden schien. Ich zögerte. Sollte ich wirklich da hinunter?

Etwas rauschte leise im Hintergrund. Instinktiv ließ ich mich auf den Boden fallen. Hätte ich das nicht getan, wäre ich wohl als Schweizer Käse in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Gleich drei Laserstrahlen huschten über mich hinweg, bevor die Box mir aus dem Dunkel entgegen flog.

Ich schoss erneut, aber die Kugel verfehlte ihr Ziel. Dafür raste die Box über mich hinweg in den Gang, aus dem ich gekommen war. Einmal atmete ich durch, dann nahm ich die Verfolgung auf. Dabei zog ich erneut mein Funkgerät hervor und versuchte Jack Rollins zu erreichen. Aber statt seiner Stimme drang mir nur ein leises Knistern und stinkender Qualm entgegen. Offenbar war das Gerät bei einem der Laserschüsse tödlich getroffen worden.

Während ich durch die Gänge der Villa lief und dem leisen Rauschen der fliegenden Box folgte, kam mir der Gedanke, dass ich schon einmal mit ähnlichen Geräten zu tun hatte. Damals, als ich auf dem fliegenden Schiff vor der Küste Brasiliens meinem Urahn Geoffrey McShady begegnet war, waren wir auch von fliegenden Killermaschinen angegriffen worden. Diese waren zwar etwas größer gewesen und hatten anders ausgesehen, aber eine gewisse Ähnlichkeit mit den Fertigkeiten der schwarzen Box waren nicht von der Hand zu weisen. Damals hatte ich nicht herausfinden können, wer mir diese Roboter geschickt hatte. Mein Vorfahre hatte mir nur etwas von einer riesigen Wolke und einer von ihr ausgehenden Gefahr berichtet.

Aber was hatten die zwei Wissenschaftler und diese Box mit den Vorfällen von damals zu tun? Oder gab es gar keine Verbindung und meine Fantasie ging etwas mit mir durch? Viel Zeit zum Nachdenken hatte ich nicht, denn die Jagd nach der Mörderbox war nun erst einmal mein Hauptziel.

Nachdem ich minutenlang ohne Erfolg durch die Gänge und Flure der Villa gehastet war, stand ich plötzlich vor einer Treppe nach oben in den ersten Stock. Dort befanden sich auch die Wissenschaftler. Von dort erklang auch ein markerschütternder Schrei.

Mit verzerrtem Gesicht rannte ich die Treppe hoch und befand mich plötzlich in einem kleinen Raum, nach den vielen Karten und alten Büchern zu urteilen Jenkins‘ Arbeitszimmer. Die Tür, die es zum nächsten Raum abgrenzte, besaß ein übergroßes Guckloch. Oder aber, und das vermutete ich eher, die Box hatte sich durch das Holz einen Weg geschossen.

Wieder erklang ein Schrei. Ich warf mich gegen die Tür und flog mit ihr ins Wohnzimmer der Villa.

Als ich wieder aufspringen wollte, rollte mir ein Kopf entgegen. Die schreckgeweiteten Augen jagten mir einen Schauer über den Rücken. Der abgetrennte Kopf gehörte einem der Wissenschaftler.

Mitten im Raum sah ich die fliegende schwarze Box, die wie irre ihre Laserstrahlen durch den Raum schickte. Der Tisch mit den Teetassen war zusammengebrochen. Auf ihm lag stöhnend Jack Rollins. Warum er stöhnte, erfuhr ich, als ich mich aufrichtete und erkannte, dass er nur noch eine Hand besaß.

Von dem zweiten Wissenschaftler fehlte jede Spur. Da schien die Box mehr zu wissen, denn sie schoss nun kontrolliert auf die mir gegenüberliegende Seite des Raumes, wo ein gewaltiger Aktenschrank quer auf dem Boden lag.

Ich überlegte, ob ich schießen sollte. Nachdem meine letzten Kugeln reichlich wenig Erfolg gezeigt hatten und nicht weit von hier entfernt Gas austrat, sah ich mich lieber nach anderen Waffen im Raum zu.

Meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als ich die Trophäenwand des Lords erblickte. Einige Pokale hatte er dort auf kleine Regale verteilt. Dabei umgaben sie nichts anderes als einen Baseballschläger. Offenbar war Jenkins in seinen Jugendjahren ein begeisterter Anhänger dieses Sports gewesen. Das interessierte mich aber herzlich wenig. Stattdessen riss ich den Schläger einfach von der Wand und wiegte ihn in meinen Händen. In meiner Kindheit hatte ich auch öfter mit so einem Gerät gespielt. Mein Stiefvater hatte mir den Umgang damit beigebracht. Das sollte sich heute bezahlt machen.

Die schwarze Box schwebte noch immer mitten im Raum, ohne mich eines Blickes zu würdigen, und schoss ihre Strahlen auf den umgefallenen Schrank ab.

Ich lief ihr entgegen und holte aus. Ein kräftiger Schwung, und der Schläger traf die Box mit voller Wucht. Der Schlag wurde zu einem Home Run. Im hohen Bogen schoss der Ball … ähm, die Box davon, schlug durch ein Fenster und verabschiedete sich nach draußen. Ich lief zum Fenster und blickte nach draußen.

Auf der Wiese vor der Villa lag die Box in ihren letzten Zuckungen. Die Propeller waren abgefallen, und wenig später erstarben auch die letzten Bewegungen der kleinen Killermaschine.

Hinter mir wurde eine Tür aufgestoßen. Steven McLaughington stürmte herein und traute seinen Augen nicht, was für ein Schlachtfeld sich ihm bot.

Ich dagegen ging zunächst auf den ungefallenen Schrank zu. Dahinter kauerte der zweite Wissenschaftler. Er lebte! Allerdings war er wohl mehrfach an den Beinen getroffen worden.

Danach begab ich mich wie auch McLaughington zu Jack Rollins. Auch er lebte, aber er hatte bereits viel Blut verloren.

Ich holte mein Mobiltelefon hervor und rief meine Kollegen an …

***

Wenige Minuten später wimmelte es in- und außerhalb der Villa nur so von TCA-Agenten und firmeneigenen Sanitätern und Spurensicherern. Wie es schien, würde Jack Rollins durchkommen, und auch seine Hand konnte gerettet werden. Was mit dem überlebenden Wissenschaftler werden sollte, erfuhr ich allerdings nicht.

Nachdem ich meine Aussagen gemacht hatte, hatte ich mich mit Steven McLaughington auf zwei Bänke im Garten der Villa gesetzt. Missmutig rauchte ich eine Zigarre. Auch meinem Kollegen hatte ich ausnahmsweise eine abgegeben, doch er war so viel Mitgefühl offenbar nicht gewohnt und hustete unentwegt.

Hinter mir erklangen Schritte. Als ich mich sitzend umdrehte, sah ich eine Gruppe von vier Männern hinter mir stehen. Langsam erhob ich mich.

Meine Besucher waren Damien Arias, mit dem mich nach unserer letzten Begegnung nicht unbedingt Freundschaft verband (das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit), mein Chef sowie Albert Scarfe, ein alter Freund meines Vaters, und dessen Leibwächter Simon.

Arias kam mir in Drohhaltung und mit ausgestrecktem Zeigefinger entgegen. »Dafür mache ich Sie verantwortlich, Sie Versager. Wegen Ihnen wäre fast die ganze Operation den Bach herunter gegangen. Sie sind Schuld an den Toten, und dafür werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen – warten Sie es nur ab.« Noch einmal blickte er mich scharf an, dann ging er davon.

Albert Scarfe nickte mir zu. »Schön, dich mal wieder zu treffen, Jimmy.« Er reichte mir einen blauen Umschlag, wandte sich wortlos ab und ging mit seinem Leibwächter davon.

Mein Chef grinste schief. »Machen Sie sich nichts daraus. Arias kann Ihnen nichts anhaben. Zumindest gehe ich davon aus. Und ich finde, dass Sie Ihre Sache gut gemacht haben.«

Er klopfte mir auf die Schulter und wollte davon gehen. Ich hielt ihn auf und sprach ihn an. »Wissen Sie, was mich an dem Fall am meisten überrascht hat?«

»Was denn?«

»Dass Emerson nicht hier ist und uns ein Häppchen anbietet. Das hätte ich nämlich jetzt gebrauchen können.«

Mein Chef runzelte die Stirn und hob warnend den Zeigefinger. »Treiben Sie es nicht zu weit, Spider!«

Ich hob abwehrend die Hände und konnte plötzlich wieder lächeln.

Mein Chef warf mir noch einen undefinierbaren Blick zu, bevor er ging. Nun konnte ich mich wieder genüsslich meiner Zigarre widmen.

Kurz huschte mein Blick zu dem nahe gelegenen Wald. Zwischen den Schatten der Bäume glaubte ich im Schein der untergehenden Sonne für einen kurzen Moment die Silhouette eines Menschen zu sehen. Die Gestalt nickte mir zu, dann verschwand sie zwischen den Stämmen.

Verwirrt betrachtete ich meine Zigarre. »Versuch nicht, von dir abzulenken.« Dann steckte ich sie mir wieder in den Mund, legte mich zurück auf die Bank und schloss die Augen.

Copyright © 2009 by Raphael Marques