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Jimmy Spider – Folge 13

Jimmy Spider und das Rendezvous

Das Restaurant, in dem ich saß, machte seinem Namen wirklich alle Ehre. Starlight Inn, so hieß das wohl beste und dementsprechend teuerste Lokal von ganz Manchester. Hier traf sich tagtäglich die Creme de la Creme der örtlichen Prominenz – mich inbegriffen.

Es war wirklich nicht mein erster Besuch in diesem Edel-Restaurant. Schon allein durch meinen Job war ich nicht wirklich unfreiwillig dazu gezwungen, hier hin und wieder die Spesenrechnung der TCA in die Höhe zu treiben.

Aber dieses Mal hing mein Besuch nicht mit meiner tagtäglichen Arbeit zusammen. Im Gegenteil, ich hatte ein Rendezvous, und das mit niemand anderem als Tanja Berner.

Meine hübsche Schweizer Partnerin hatte keinen Moment gezögert, meine Einladung anzunehmen, nachdem wir uns bei unserem Kampf gegen einen mörderischen Kobold, gelinde gesagt, etwas näher gekommen waren.

Das Geschöpf hatten wir zum Glück erledigt – es hatte sich nach seinem Ende in eine übel riechende Suppe verwandelt. Im Starlight Inn hoffte ich auf ein paar bessere Speisen.

Wir hatten uns für 20.00 Uhr verabredet, aber getreu dem Motto Lieber zu früh als zu spät – oder: Der Job ruft doch noch hatte ich mich lieber etwas früher in das Lokal begeben.

Der Tisch für zwei Personen, mitten im Saal des Restaurants, war bereits auf meinen Namen reserviert gewesen. Normalerweise bevorzugte ich zwar einen Platz, der nicht so auf dem Präsentierteller lag, aber in diesem Fall machte ich eine wohlwollende Ausnahme.

Der Name des Restaurants kam nicht von ungefähr: Würde ich meinen Blick an die Decke wenden, könnte ich einen prachtvollen (wenn auch digital aufbereiteten) Sternenhimmel betrachten. Auch sonst sah man dem Haus seinen edlen Inhalt an jeder Stelle an. Das Dach wurde von mächtigen Marmorsäulen gehalten, die im Speisesaal verteilt standen.

An den Wänden hingen farbenfrohe Fahnen, Bilder, Gewänder und Teppiche. Selbst aus dem Tischbesteck sprach der pure Luxus. Gläser, die wie frisch geblasen wirkten, eine Bestecksammlung, die selbst eine Großfamilie an einem Tag kaum benutzen konnte.

Etwas zu Essen hatte man mir bereits gebracht. Ein paar kleine Kaviarhäppchen auf geschnittenem Baguette, dazu etwas gesalzene Butter. Ein Glas Wasser wartete ebenfalls sehnsüchtig darauf, getrunken zu werden. Ich tat ihm den Gefallen. Auf die edleren Tropfen würde ich erst zurückgreifen, wenn meine Partnerin eingetroffen war.

Und wie heißt es so schön – wenn man vom Teufel spricht (wobei hier eher gedacht und anstatt Teufel Engel), taucht er nur Sekunden später auf. Grazil und ausgesprochen selbstbewusst schritt meine Partnerin meinem Tisch entgegen. Sie trug – dem Restaurantnamen alle Ehre machend – ein silbern glitzerndes Abendkleid, dazu Damenschuhe mit Absätzen (das ich das bei ihr noch erleben durfte …). Ihr volles braunes Haar lag wie ein wärmender Mantel über ihren Schultern.

Ich war so von dem Anblick überwältigt, dass ich ungewollt alle Höflichkeit über Bord warf und einfach sitzen blieb. Als ich meinen Fehler bemerkte und aus meinem Stuhl schoss, war es schon zu spät. Tanja hatte sich bereits ihren Stuhl geschnappt und ließ sich langsam darauf nieder.

Mit einem strahlenden Lächeln blickte sie mich erwartungsvoll an. »Hi …«

»Hi, Tanja. Du siehst … umwerfend aus.« Das war noch eine Untertreibung.

Sie machte einen etwas verlegen wirkenden Gesichtsausdruck. »Ich dachte, für unser erstes Rendezvous müsste ich mich etwas in Schale werfen.«

»Das ist dir auch wirklich gelungen. Ich …« Bevor ich weiter sprechen konnte, tauchte wie aus dem Nichts neben mir ein Ober auf. Von der Kleidung her hätte ich beinahe gedacht, dass Emerson, der Butler meines Chefs, mal wieder zum Häppchenverteilen vorbeigeschaut hatte. Stattdessen blickte ich in das Gesicht eines jungen Asiaten.

»Die Karte, Sir?«

»Tut mir Leid, man hat mir keine gegeben. Jedenfalls habe ich keinen Kassierer an der Tür gesehen.«

Der Ober schaute mich verwundert an. »Wie meinen Sie …«

Tanja Berner unterbrach ihn, bevor er noch weiter Verwirrung stiften konnte. »Ja, bringen Sie uns die Karten.«

Der Asiate nickte ihr zu und zog von dannen. Die Schweizerin hingegen warf mir einen vielsagenden Blick zu, während sie sich etwas von meinem Wasser einschenkte.

»Du hast den armen Jungen ja total aus dem Konzept gebracht.«

Ich hob die Schultern. »Wenn er gleich gesagt hätte, was er wollte, …«

Aus den Augenwinkeln sah ich, dass unsere Bedienung mit zwei schwarzen Lederheften zurückkehrte und sie uns kurz darauf aushändigte.

Zunächst suchte ich mir mein Menü zusammen. Glücklicherweise war das Starlight Inn eines der Lokale, bei denen man noch ohne Lexikon die Speisekarte verstehen konnte. Ich entschied mich für Melone mit Schinken als Vorspeise und ein Rinderfilet mit Röstkartoffeln als Hauptgang. Bei den Getränken blieb ich beim Wasser.

Nachdem ich meine Auswahl getroffen hatte, lugte ich zu Tanja hinüber. Sie bemerkte meinen Blick und lächelte mir zu.

»Es dauert noch einen Moment. Ich bin ziemlich wählerisch.«

Jetzt lächelte auch ich. »Das sollte ich wohl als Kompliment auffassen.«

»Noch meine ich nur das Essen.«

Während unseres Gespräches hatte sich der Ober von der rechten Seite an unseren Tisch geschlichen und wartete scheinbar auf einen geheimen Befehl, um unsere Essenswünsche entgegen zu nehmen.

Als Tanja Berner ihre Speisekarte zuklappte, schien die große Stunde gekommen zu sein – der Ober sprang beinahe unserem Tisch entgegen.

»Darf ich ihre Wünsche entgegen nehmen?«

Ich blickte ihn kurz an und nickte, dann nannte ich ihm meine Bestellung. Danach war meine Partnerin außer Dienst an der Reihe. Sie bestellte sich eine Kartoffelsuppe mit Minze sowie ein Heilbuttfilet.

Der Ober lächelte kurz und versprach uns, dass es nicht lange dauern würde, bis die Speisen fertig wären, bevor er wieder verschwand.

Nachdem der Mann weg war, beugte sich Tanja leicht über den Tisch, ihre Arme auf die Decke gelegt.

»Was denkst du – wird das heute ein ganz normaler Abend?«

Ich lehnte mich ihr ebenfalls entgegen. »Das hoffe ich doch nicht.«

Tanja lachte kurz, bevor sie antwortete. »Natürlich. Ich meinte, dass wir heute hoffentlich nicht von unserem Job gestört werden.«

»Ich glaube kaum. Die TCA hat ja noch mehr Agenten.« Als ich dabei unwillkürlich an Steven McLaughington dachte, einen Kollegen, der seine Einstellung wahrscheinlich nur seiner entfernten Verwandtschaft zu meinem Chef zu verdanken hatte, war mir nicht mehr ganz so wohl zumute. Ich verscheuchte diesen Gedanken schnell wieder. »Außerdem werden in diesem Edel-Schuppen wohl kaum irgendwelche blutrünstigen Kobolde oder wahnsinnige Superverbrecher samt Kuschelmonsteranhang anbandeln.«

Meine Partnerin krauste die Stirn. »Wollen wir es hoffen.«

Meine Nase begann ohne ersichtlichen Grund plötzlich zu jucken, aber ich unterdrückte den Niesreiz.

Ich wechselte das Thema. »Was mich aber einmal interessieren würde: Wie bist du eigentlich darauf gekommen, bei der TCA zu arbeiten? Ich weiß ja, dass du zuvor beim Schweizer Geheimdienst warst, aber mehr auch nicht.«

Die Schweizerin lehnte sich etwas zurück. »Na ja, das ist eine etwas längere Geschichte.«

»Wir haben alle Zeit der Welt.«

Tanja lächelte kurz. »Wie du meinst. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!«

Ich hob spaßeshalber abwehrend die Hände hoch.

»Also, alles begann im Prinzip mit einem harmlosen Auftrag für meinen Geheimdienst. Im Kanton Wallis, genauer gesagt in der Gegend um das Rhonetal, waren in den Wochen zuvor Unmengen an Milch und Käse verschwunden. Nun, an sich klingt das noch recht harmlos, aber da weder die Polizei noch die Käsewirtschaftler auch nur den geringsten Anhaltspunkt hatten, was hinter den Diebstählen steckte, schickte man mich dorthin, um der Sache auf den Grund zu gehen. Aber offensichtlich war mein Geheimdienst nicht die einzige Organisation, die hinter diesen seltsamen Verbrechen etwas mehr vermutete als der Ottonormalverbrecherjäger. Auch eben unsere TCA hatte einen Agenten nach Wallis geschickt – Dave Logger. Kennst du ihn?«

Ich nickte. »Ein guter Mann. Wir haben schon einmal zusammengearbeitet. Aber wenn ich mich recht entsinne, ist er doch Spezialist für Mutationen und Genmanipulation.«

Tanja blickte mich hintergründig an. »Das hat er mir auch erzählt, als es schon fast zu spät war. Aber der Reihe nach: Eines Nachts legten Logger und ich uns vor einer Käsefabrik auf die Lauer und beobachteten, wie ein einsamer Milchtanklaster den Komplex verließ. Wir verfolgten ihn bis in die Berge des Rhonetals, wo wir unseren Augen nicht trauten. Der Lastwagen verschwand in einer künstlichen Höhle. Nachdem wir auch einen Zugang gefunden hatten, fanden wir die Wahrheit hinter den mysteriösen Diebstählen heraus: Ein verrückter Wissenschaftler – heute weiß ich, dass das quasi das übliche Klientel der TCA ist – hatte sich aus unerfindlichen Gründen in den Kopf gesetzt, mittels computergesteuerter Metallskelette lebende Milch- und Käsemenschen zu erschaffen und sich dazu ein gewaltiges Labor mitten in einem Berg eingerichtet. Und wie man das aus den handelsüblichen Agentenfilmen kennt, ist das natürlich nichts geworden. Logger und ich zerstörten die ersten Prototypen, und der Wissenschaftler stürzte versehentlich in einen Bottich voller kochend heißer Milch. Tja, und so wurde die TCA auf mich aufmerksam.«

Ich sagte zunächst einmal nichts. Die Schweizer schienen schon ein merkwürdiges Völkchen zu sein. Ich hatte schon einiges in meiner Agentenkarriere erlebt, aber dass jemand die Welt mit mordenden Milchmännern überschwemmen wollte, setzte allem wahrlich die Krone auf.

»Das nenne ich mal einen Hammer. Da meint man, man hätte schon alles erlebt, und dann kommt so etwas.«

Meine Partnerin lachte laut. »Genau das hab ich auch gedacht, nachdem ich das alles überstanden hatte.« Nach diesen Worten lehnte sie sich wieder nach vorne. »Und, wie war es bei dir? Wie bist du zur TCA gekommen?«

Obwohl ich Tanja diese Erklärung nun eigentlich schuldig war, fasste ich mich sehr kurz. Dieses Thema schnitt ich nur ungern an.

»Das lag hauptsächlich an meinem Vater. Er war lange Zeit ein Top-Agent der TCA und ist heute noch bei vielen quasi eine lebende Legende. Durch ihn bin ich selbst Agent geworden.«

Tanja sah mich etwas enttäuscht an. »Mehr nicht?«

»Es tut mir leid. Ich … rede nicht gern über dieses Thema.« Ich konnte nur zu gut verstehen, dass sie mehr wissen wollte. Ich an ihrer Stelle hätte nicht anders gedacht. Aber mit der Zeit, in der ich Agent geworden war, und den Ereignissen, die dazu geführt hatten, waren zu viele schmerzhafte Erinnerungen verbunden. »Sagen wir es nur mal so: Es war nicht immer mein Traumberuf, Agent zu werden.«

Meine Partnerin nickte nur. Offensichtlich hatte sie sich den Abend – wie ich – etwas fröhlicher vorgestellt. Um nicht den Rest der Zeit Trübsal zu blasen, versuchte ich Tanja etwas von der Diskussion abzulenken.

»Wo bleibt eigentlich der werte Ober mit unserem Essen? Erst kündigt er uns an, dass alles sehr schnell geht, und dann können wir unsere halbe Lebensgeschichte erzählen, während er irgendwo Däumchen dreht.«

Die Schweizerin zupfte an der Tischdecke. »Vielleicht hat er ja auch ein Date.«

Wie um dem zu widersprechen, tauchte plötzlich der Ober mit den Vorspeisen auf.

Gleichzeitig begann meine Nase wieder zu jucken. Ich versuchte, den Niesreiz wieder zu unterdrücken.

»Einmal Kartoffelsuppe mit Minze.« Den Teller wollte er tatsächlich auf meine Seite stellen, was ich zu verhindern versuchte.

»Nein, das … hatschi!« Leider hatte ich den Kampf gegen den Niesreiz verloren, und ebenfalls leider hatte der Suppenteller alsbald auch bei seinem Duell mit der Schwerkraft den kürzeren gezogen. Denn die Bedienung hatte sich durch mein Niesen derart erschreckt, dass ein Teil der Suppe über den Tisch und schließlich auch auf meinen Anzug kippte.

Ich hatte ja schon gehört, dass Minze einem Essen eine besondere Note verleiht, aber ob das auch bei einem Rendezvous galt?

Der Ober, offensichtlich in Panik verfallen, versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war, und wischte mit einer Serviette über meinen Anzug.

»Es tut mir unendlich Leid, Sir. Das ist …«

»… halb so wild. Ich werd’s schon überleben.« In meinem Inneren braute sich dennoch bereits eine dunkle Wolke zusammen.

Ich verscheuchte die Hände des jungen Obers und stand auf.

Eine sichtlich wenig begeisterte Tanja Berner schaute mich erwartungsvoll an.

»Ich werde mich mal kurz in Richtung der Toiletten verabschieden. Vielleicht lässt sich der Anzug noch etwas entkartoffeln.«

Tanja nickte. »Aber mach nicht zu lange. Hier wartet nämlich noch jemand auf dich.« Jetzt konnte sie auch wieder lächeln.

»Ich gebe mein Bestes.«

Danach ließ ich mir von dem schwitzenden Ober den Weg zu den Waschräumen erklären.

Offensichtlich war der Innenarchitekt wenig begeistert von der Idee gewesen, dass die Gäste eines Restaurants auch einen Ort zur Erleichterung brauchen würden. Anders ließ sich nicht erklären, dass die Toiletten im wohl hintersten Winkel des Gebäudes und weit abseits des Restaurants lagen.

Nachdem ich eine ausladende Treppe hochgestiegen war, einen nicht enden wollenden Gang durchquert hatte und noch einmal eine viel schmalere Treppe hochgestiegen war, fand ich endlich die wenig ansprechenden Waschräume, die wahrscheinlich nur von einer unterbezahlten und frustrierten Küchenhilfe einmal im Monat gereinigt wurden. So viel zum Thema Edel-Restaurant.

Als mir auch noch eine hinkende Ratte entgegen krabbelte, entschied ich mich, meine Zeit in diesen Räumen auf ein Minimum zu beschränken. Ich spritzte mir nur kurz etwas Wasser auf das Jackett, riss ein paar Abputztücher aus der Halterung und verließ diesen ungastlichen Ort wieder.

Glücklicherweise hatte ich mir den Weg gemerkt, den ich zuvor gegangen war, sonst hätte ich mich wahrscheinlich hoffnungslos verlaufen. Eine enge Treppe und einen nicht enden wollenden Gang später stand ich wieder auf der bereits erwähnten ausladenden Treppe, deren roter Teppich ihr etwas Edles gab. Für die Toiletten schien das Geld aber nicht mehr gereicht zu haben.

Nun stand ich auf der Treppe. Aber warum? Warum ging ich nicht einfach auf meinen Platz zurück, selbst wenn mein Anzug fast noch schlimmer wie zuvor aussah?

Irgendetwas störte mich. Eine innere Stimme sagte mir, noch etwas zu warten.

Tatsächlich, wenige Sekunden Wartezeit später wusste ich, was mich gestört hatte: Eine Gruppe Männer und Frauen, allesamt in weißen und schwarzen Anzügen gekleidet und mit zu großen und für so ein Restaurant unpassenden Sonnenbrillen bestückt, stand mitten im Speisesaal. Ich zählte insgesamt acht Leute.

Drei von ihnen hielten zusätzlich graue Sporttaschen in den Händen.

Ich dachte an Tanja Berner. Sie saß nur wenige Meter von der Gruppe entfernt und beäugte die Neuankömmlinge argwöhnisch. Auch die anderen Gäste in dem mittlerweile prall gefüllten Restaurant hatten die Anzugträger bemerkt und schielten unübersehbar etwas nervös zu ihnen herüber. Gespräche erstarben, ebenso die Essgeräusche, und schließlich herrschte eine geradezu drückende Stille in dem Restaurant. Alle Gäste schienen darauf zu warten, dass etwas passierte.

Einer der Ankömmlinge, ein relativ großer, recht dünner Mann mit blonden Haaren und einem Ziegen- und Oberlippenbart, der einen weißen Anzug trug, löste sich aus der Gruppe und schritt einem größeren Tisch entgegen. Dort saßen mehrere ältere Leute, die wahrscheinlich ein Hochzeitsjubiläum feierten.

Ein Grinsen lag auf dem Gesicht des Mannes, als er um den Tisch herum ging. Plötzlich griff er sich einen Teller.

»Hummer mit Steinpilzen.« Er schnupperte kurz genüsslich an dem Essen, bevor er den Teller achtlos auf den Boden fallen ließ. »90 Pfund.«

Sein zweiter Griff galt einem kleinen Teller Kaviar.

»Feinster Kaviar aus russischer Zucht.« Er warf den Teller auf einen Nachbartisch. »150 Pfund.«

Wieder griff er zu, diesmal nahm er sich den Mantel eines älteren Herren, der erschrocken zusammenzuckte, aber sich nicht traute, etwas zu sagen.

»Echtes Rindsleder.« Er schmiss den Mantel mitten auf den Tisch. »200 Pfund.«

Danach schritt er auf eine grauhaarige, galant gekleidete Dame zu, griff nach ihrem Stuhl und drehte ihn mitsamt der Frau herum. Seine linke Hand wanderte zum Hals der Dame, an der eine sündhaft teuer aussehende Diamantkette hing. Er hob die Steine leicht an.

»Echte, unverfälschte Diamanten.« Der Mann ließ die Kette wieder los. »Unbezahlbar.«

Der Blonde wandte sich scheinbar den gesamten Gästen zu. »Es gibt Dinge, die kann man nicht kaufen. Und genau für diese Dinge …« Er schob seine rechte Hand unter sein Jackett. »… habe ich eine Waffe dabei.«

Unter den erschrockenen Schreien der Gäste kam eine Pistole mit Schalldämpfer zum Vorschein, die der Mann wie eine Trophäe hochhielt. Gleichzeitig zogen auch die anderen Ankömmlinge Waffen hervor und verteilten sich. Nur die drei Typen mit den Sporttaschen ließen sich etwas Zeit. Statt unter ihr Jackett zu greifen, öffneten sie ihre Sporttaschen und holten drei Uzis hervor.

Entweder ich war in eine wenig witzige Folge einer Versteckte Kamera-Show geraten, oder diese Neuankömmlinge wollten hier für einen effektreichen Abend sorgen.

Während sich die bewaffneten Männer und Frauen verteilten und unter Drohungen Bargeld, Kreditkarten und Schmuck von den Gästen verlangten, griff ich unter mein Jackett und zog meine Desert Eagle hervor und entsicherte sie. Zwar hätte der Abend nur ein mehr oder minder harmloses Rendezvous werden sollen, aber aufgrund meines Jobs ging ich nur sehr ungern ohne Waffe aus dem Haus.

Obwohl ich mich mittlerweile etwas geduckt hatte, um von den Gangstern nicht erkannt zu werden, konnte ich noch erkennen, wie der bärtige Blonde – ich nahm einfach mal an, dass er der Anführer war – einem der Uzi-Träger etwas zuflüsterte und auf die Treppe wies.

Hatte man mich entdeckt?

Irgendwie glaubte ich nicht so recht daran. Wenn dem so wäre, hätten sicher mehr Angreifer die Treppe gestürmt. Vielleicht sollte der zweite Mann, bei dem vor allem das bis zu den Schultern reichende schwarze Haar auffiel, einfach nur überprüfen, ob sich irgendwo noch weitere potenzielle Opfer versteckten.

Als ich sah, dass der Schwarzhaarige der Treppe bedrohlich nahe kam, zog ich mich in den Gang zurück.

Wenn der Typ tatsächlich bis hier oben hinkam, würde er sein blaues Wunder erleben. Dann würde es zu einem israelischen Lokalderby kommen – Desert Eagle gegen Uzi. Aber mein Vögelchen würde schneller singen.

Ich lugte noch einmal um die Ecke. Obwohl mich der Mann nicht sehen konnte, hatte er offenbar dennoch ein ungutes Gefühl und trug seine Waffe im Anschlag.

Ich drehte mich wieder ganz in den Gang, meine Pistole erhoben. Jetzt würde es ein Kampf Mann gegen Mann werden, Auge um Auge, Zahn um Kugel, ein entscheidendes Duell, entscheidend über Leben und Tod der ganzen Menschheit … oder Moment, das vielleicht dann doch nicht.

Trotz meiner jahrelangen Erfahrungen war ich angespannt wie selten. Nur ein kleiner Fehler und …

Da kam der Mann schon um die Ecke.

Bevor er jedoch reagieren konnte, sprang ich ihm mit einem Flugtritt entgegen.

Mein rechter Fuß wühlte sich tief in den Bauch des Schwarzhaarigen. Der Mann war zu überrascht, um abzudrücken, und flog gegen die Gangwand.

Doch der Angreifer gab nicht klein bei. Seine freie rechte Hand fuhr, zur Faust geballt, nach vorne und traf mich an der linken Schulter. Der folgende Schmerz ließ mich aufschreien.

Jetzt merkte ich, dass der Mann ein Profi war. Er hatte mich genau an der richtigen Stelle getroffen, denn nun konnte ich meinen Waffenarm nicht mehr heben.

Stattdessen riss er die Uzi wieder hoch.

Ich trat erneut zu. Diesmal traf ich die Uzi, die im hohen Bogen die Treppe hinab segelte.

Nun war ich im Vorteil und hielt ihm meine Desert Eagle mit dem gesunden Arm entgegen.

»Mach keine Dummheiten, Freundchen!«

Mein Gegenüber grinste nur. Offenbar war er sich seiner Sache sehr sicher.

Plötzlich hörte ich von der Treppe Schritte und eine Stimme. »Chase, was ist los?«

Einer der anderen Räuber schien den Segelflug der Uzi bemerkt zu haben.

Ich schaute kurz herüber und sah einen braunhaarigen Brillenträger mit einer Handfeuerwaffe in der Hand die Treppe hochschleichen.

Das alles war mein Fehler. Niemals hätte ich mich ablenken lassen dürfen. Doch das nutzte der Schwarzhaarige, der anscheinend Chase hieß, eiskalt aus. Er riss meinen Waffenarm nach oben und sprang mich an.

Ein Schuss löste sich aus meiner Waffe, die Kugel fuhr in die Decke. Währenddessen fiel ich zu Boden, mit dem Schwarzhaarigen über mir. Ich wusste nicht, was er vorhatte (erwürgen wäre wohl das Naheliegendste gewesen), aber ich wollte es auch nicht unbedingt herausfinden.

Deshalb zog ich meine Beine an und wuchtete Chase von mir herunter.

Mit einem heftigen Krachen schlug der Mann auf den Dielen auf, wirbelte aber sofort wieder hoch und hielt plötzlich eine Pistole in der Hand.

Ich schrie ihn an. »Nein!«

Doch er hörte nicht auf mich. Er versuchte, auf mich zu zielen, schaffte es nicht ganz und schoss wild in den Gang hinein.

Ich duckte mich und schoss zurück.

Zwei Spezialkugeln trafen Chase mitten in die Brust. Blut trat hervor. Der Schwarzhaarige wankte, schaute mich ungläubig mit großen Augen an. Dann brach er zusammen und blieb regungslos liegen.

Nur eine Sekunde später tauchte der Brillenträger im Gang auf und eröffnete das Feuer.

Ich entging den Kugeln nur, weil ich mich gedankenschnell an die Wand des Ganges presste und sofort zurückschoss.

Meine Kugeln gingen fehl, aber immerhin zog sich der Typ zurück.

So blieb mir noch die Möglichkeit, weiter in Richtung Höllenklo zu flüchten.

Ich rannte, was meine Beine hergaben, und als ich das Treppengeländer erreicht hatte, schoss der Brillenträger wieder.

Ich hechtete die Stufen hoch und rannte dem Ort entgegen, den ich eben noch verflucht hatte.

Hastig riss ich die Tür auf und lief in das wenig heimelige WC. Hier würde ich den zweiten Angreifer erwarten.

Nachdem ich in den Toilettenraum gekommen war, ging ich nach links und lehnte mich gegen die Fliesenwand.

Tief atmete ich durch. So hatte ich mir ein Rendezvous nicht vorgestellt. Unwillkürlich wanderten meine Gedanken zurück zu Tanja Berner. Ich hoffte, dass sich die Gangster nicht an ihr vergriffen, und gleichzeitig auch, dass sie sich nicht allein mit der ganzen Bande anlegte. Zwei von denen reichten schon, das bekam ich zurzeit zu spüren.

Meine linke Schulter schmerzte noch immer, aber wenigstens konnte ich sie wieder bewegen. Dieser Chase hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Dafür hatte ich ihn aber auch in Frührente geschickt.

Ein Knarren löste mich aus meinen Gedankengängen. Der Brillenträger hatte offenbar auch den Weg zur Toilette gefunden. Dass er hier nicht nur seine Blase entleeren wollte, verstand sich von selbst.

Seine Schritte waren kaum zu hören, aber meinen geschulten Ohren entging nichts.

Der Brillenträger musste gerade die Waschbecken passiert haben. Langsam ging er meinem Aufenthaltsort entgegen. Dort würde ich ihm jedoch die Überraschung seines Lebens verpassen.

Ich lauschte weiter, doch nichts war mehr zu hören.

Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich mich bereit machte, dem Typen mit vorgehaltener Waffe entgegen zu springen. Das blieb jedoch ein Wunschtraum, denn als ich nach rechts schaute, blickte ich direkt in eine Waffenmündung.

Der Mann hatte meinen Aufenthaltsort erahnt, aber selbst traute er sich nicht, mir gegenüberzutreten. Nur seinen Arm hatte er in den Toilettenraum gesteckt.

In diesen Sekunden wurde mir klar, dass mein Leben an einem seidenen Faden hing.

Ich sah, wie sich der Finger krümmte, machte mich auf alles bereit, als ich das Quieken hörte.

Vor mir auf den Fliesen saß die hinkende Ratte, die ich schon einmal gesehen.

Diese Ablenkung nutzte ich aus und warf mich auf den Boden. Gerade noch rechtzeitig, denn im selben Moment drückte mein Gegner ab.

Seine Kugel durchlöcherte eine Toilettentür, aber mich trafen sie nicht.

Dafür schoss ich zurück, allerdings ohne groß zielen zu können.

Dreimal drückte ich ab und erhaschte dabei einen Blick auf die Beine des Brillenträgers.

Zwei Kugeln trafen. Eine schlug in ein Bein des Mannes ein, die zweite traf die Waffenhand.

Mein Gegner schrie fürchterlich auf und verschwand aus meinem Blickfeld. Dafür fiel seine Waffe zu Boden und mit ihr zwei Finger.

Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Meine besonders widerstandsfähigen Spezialgeschosse aus Timbuktu hatten eine noch verheerendere Wirkung auf Menschen, als ich je gedacht hätte. Nicht nur, dass sie beim Aufprall auf sehr harte Flächen stabil blieben, sie konnten offenbar auch durch Knochen schneiden.

Aber das alles war jetzt nebensächlich. Wichtig war nur, dass ich hier lebend wieder herauskam.

Ich war nicht darauf fixiert, meinen Gegner zu töten. Deswegen warnte ich ihn vor. »Geben Sie auf. Das hat doch keinen Sinn mehr.«

Der andere zischte mir etwas entgegen, was ich nur mit Mühe als »Fahr zur Hölle« verstand.

Langsam ging ich, die Desert Eagle im Anschlag, auf den Waschbereich zu, wo ich meinen Gegner vermutete.

Gerade als ich die Schwelle überwinden wollte, tauchte der Brillenträger wieder auf. Ich sah noch etwas aufblitzen, dann spürte ich einen reißenden Schmerz in meinem rechten Arm, der die Waffe hielt. Ich sprang zurück, bevor er mich erneut treffen konnte.

Ich wich einige Meter weiter zurück.

Vor mir erschien das schweißnasse und hasserfüllte Gesicht meines Gegners. Seine Brille und seine Pistole hatte er verloren, dafür hielt er nun ein Klappmesser in der Hand, mit einer Klinge, die Crocodile Dundee vor Neid hätte erblassen lassen.

»Jetzt werde ich dich in mundgerechte Stücke zerteilen, du verfluchtes Schwein!« Er lachte kehlig dazu, als hätte er gerade den Witz des Jahrhunderts gerissen.

Schritt für Schritt humpelte er mir entgegen. Seine linke Hand war nur mehr ein blutender Klumpen, doch in seiner rechten blitzte weiter das Messer.

Mein rechter Arm hing mit der Waffe nach unten. Wahrscheinlich hatte ich nur eine Fleischwunde, aber der Arm ließ sich dennoch kaum bewegen. Mein Gegner dachte wohl, er hätte gewonnen, aber da hatte er sich geschnitten.

Während ich weiter zurückging, den brillenlosen Brillenträger weiter im Auge, griff ich mit meiner linken Hand die Waffe aus meiner rechten und erhob sie. Die Mündung zielte direkt auf den Kopf des Mannes.

Der blieb für einen Moment stehen, verlor aber nicht sein Grinsen.

Ich gab ihm noch eine letzte Chance. »Letzte Warnung, Kumpel. Du kannst es dir noch anders überlegen.«

»Neeein!« Während des Schreis stürzte er sich mir mit vorgestreckter Klinge entgegen. Ich drückte dennoch ab. Die Kugel hieb ihm direkt zwischen die Augen. Doch wankte er noch auf mich zu, lief gegen die Toilettenwand und rutschte schließlich an ihr zu Boden herunter. Dabei hinterließ er eine blutige Spur an den Fliesen.

Ich wischte mir kurz mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. Ich hatte die beiden Männer nicht töten wollen, aber sie hatten mir keine andere Möglichkeit gelassen.

Die folgende Atempause nutzte ich dazu, mein Magazin zu kontrollieren. Für einen Moment schreckte ich zusammen – das Magazin war leer. Genau neun Kugeln hatte ich verbraucht. Hätte ich beim Kampf gegen Chase eine einzige mehr verschossen, wäre ich jetzt tot gewesen.

Ich riss mich wieder zusammen. So ein Zufall war Berufsrisiko, in dem Fall aber eher für meine Gegner.

Für weitere Risiken und Nebenwirkungen legte ich sofort ein neues Magazin ein.

Als ich mir meine Schnittwunde anschaute, konnte ich beruhigt aufatmen. Es war tatsächlich nur eine, wenn auch nicht unerhebliche, Fleischwunde.

Es tat mir zwar in der Seele weh, aber ich riss mir dennoch ein Stück vom Ärmel meines Anzuges ab und schnürte damit die Wunde zu.

Nun konnte ich mich wieder in den Kampf stürzen.

Als ich aus der Toilette in den Gang und zur Treppe lugte, sah ich nichts. Oder zumindest nichts, was auf den Namen Räuber hörte. Trotzdem ging ich vorsichtig, mit erhobener Waffe, der Treppe entgegen, überlegte es mir aber dann anders.

Die anderen Gangster würden mit Sicherheit erwarten, dass ich denselben Weg wieder zurückgehen würde. Deshalb entschloss ich mich, meine Gegner zu überraschen.

Ich ging an der Treppe vorbei und betrat einen weiteren Gang, den ich zuvor nicht beachtet hatte. Offenbar waren hier einige Abstellkammern angelegt worden. Von den Räubern fehlte aber zum Glück jede Spur.

Allmählich kehrte meine Lockerheit zurück. Ich ging noch etwas weiter durch den Gang, bis ich zu einem Aufzug gelangte. Mit ihm konnte ich sicher in die Tiefe fahren, andererseits würde ich mich beim Ausstieg dann auch wahrhaftig auf dem Präsentierteller befinden (passend zu einem Restaurant).

Mir kam jedoch eine Idee. Ich konnte den Aufzug auch einfach als Mitfahrgelegenheit nutzen.

Zunächst aber trat ich eine der Gangtüren auf. In dem Raum fand sich genau das, was ich mir erhofft hatte – ein Besen. Den Dreck aufzukehren würde ich allerdings anderen überlassen, mir ging es nur um die Hebelwirkung des Griffes.

Ich drückte auf den Aufzugknopf. Zu warten brauchte ich nicht, denn mit einem Ping öffneten sich die Türen. Ich sprang kurz hinein, drückte auf Erdgeschoss und sprang wieder heraus. Sofort schlossen sich die Aufzugtüren und der Lift setzte sich in Bewegung.

Kaum dass die Türen geschlossen waren, steckte ich den Besen in den Ritz und hebelte den Verschluss wieder auf. Danach sprang ich in den Schacht hinein. Glücklicherweise war der Aufzug noch nicht sehr weit gefahren, sodass sich meine Aufprallwucht in Grenzen hielt.

Nun hieß es warten. Etwa eine halbe Minute später hatte ich das Erdgeschoss erreicht.

Vorsichtig öffnete ich eine Luke, die in die Kabine führte, und steckte meinen Kopf hindurch. Die Luft war rein, kein Gegner in Sicht.

Ich entschied mich, dem Kopf nicht den Körper folgen zu lassen, sondern wählte die gesundheitsverträglichere Variante und sprang mit den Füßen voraus in die Kabine.

Sofort schaute ich mich um. Offensichtlich war ich in der Küche gelandet, doch die war menschenleer. Entweder die Köche waren geflüchtet, oder die Räuber hielten sie als Geiseln. Ich hoffte auf Ersteres.

Vorsichtig ging ich an den Herdplatten, Küchenutensilien und sündhaft teuren Köstlichkeiten vorbei. Als mein Blick über einen Hamburger (was der wohl da zu suchen hatte …) streifte, konnte ich nicht an mich halten und griff zu. Ein kräftiger Biss hatte noch niemandem geschadet.

Nachdem ich meinen Hunger gesättigt hatte, ging ich weiter. Vor mir sah ich einige abgedunkelte Fenster. Auf der anderen Seite befand sich sicher der Speisesaal.

Ich presste mich gegen die Scheibe und konnte tatsächlich hindurchsehen, wenn auch etwas trübe.

Sofort erblickte ich den Anführer der Bande, neben dem eine braunhaarige Frau in einem weißen und ein etwas zu wohlgenährter Typ in einem schwarzen Anzug standen. Sie hatten sich vor einem Tisch aufgestellt. Offenbar machten einige Gäste Probleme. Ich versuchte zu lauschen.

»… will das nicht!«

Der Blonde lachte, während ein Mann, der ein blaues Hemd trug, sich wütend erhob.

»Das ist ein Erbe unserer Eltern. Ich lasse nicht zu, dass ein verkommenes Subjekt wie Sie das stiehlt.«

Schlagartig verstummte das Lachen des Verbrechers. Stattdessen erhob er seine Waffe und drückte eiskalt ab.

Eine Kugel reichte aus, denn sie traf den aufmüpfigen Gast direkt in den Kopf.

Ich schaute weg und fluchte. Zwar hätte ich den Mann nicht retten können, ohne selbst dabei zu sterben, aber dennoch machte ich mir Vorwürfe. Jeder Tote war einer zu viel, und dieser hatte sicher nicht nur den Helden gespielt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Er hatte einen Freund oder Verwandten retten wollen und hatte dafür mit seinem Leben bezahlt.

Ich wandte meinen Blick wieder dem Geschehen außerhalb der Küche zu.

Der gut gefüllte Typ hatte sich aus seiner Starre befreit und packte den Blonden an der Schulter.

»Desmond, was …?«

Der Mörder stieß ihn wütend zurück. »Halt doch die Klappe, du Trottel. Willst du, dass jeder dieser aufgeblasenen Idioten hier meinen Namen kennt?«

Sein Gegenüber sagte erst mal nichts mehr.

Dafür wand sich der Blonde der braunhaarigen Frau zu. Was sie miteinander tuschelten, verstand ich nicht, aber ich konnte mir denken, dass es um die zwei Komplizen ging, die ich ausgeschaltet hatte.

Plötzlich schien mein Blut zu Eis zu werden, denn ich spürte eine Hand auf meiner Schulter.

Automatisch wirbelte ich herum, bereit, sofort abzudrücken.

Doch statt in das Gesicht eines der Räuber blickte ich auf einen Koch.

Ich traute für einen Moment meinen Augen nicht. Dieser Koch, ein grauhaariger Mann mit einem etwas fleischigen Gesicht und einer weißen Uniform, hielt ein Großkalibergewehr in der Hand.

Ich wollte etwas sagen, doch der Mann legte einen Finger auf seine Lippen. Dann schlich er näher an mich heran und flüsterte mir etwas zu. »Wer sind Sie denn?«

Ich flüsterte zurück. »Ein wütender Kunde.«

»Sehr witzig. Wer sind Sie wirklich?«

Ich wollte ihm nicht die ganze Wahrheit sagen. Die TCA war nicht unbedingt eine Organisation, die mit ihrem Namen hausieren ging.

»Sagen wir es so: Ich arbeitete für eine Form der Polizei – und nein, nicht Scotland Yard.«

»Geheimdienst?«

»Fragen Sie nicht weiter. Ich schweige wie ein Grab.« Das war die reine Wahrheit, auch wenn ich das real nicht unbedingt in den nächsten Minuten erreichen wollte.

»Gut, wie Sie meinen. Mein Name ist Vince Black. Ich bin der Küchenchef.«

»Aha. Und was wollen Sie damit?« Ich wies auf seine Waffe.

Er lächelte kurz. »Ich gebe meine Küche nicht kampflos auf. Wer hier den Leuten den Appetit verderben will, muss erst mal an mir vorbei. Für so einen Fall habe ich meinen Freund hier dabei.«

»Also gut. Dann holen wir uns eben gemeinsam diese Typen.«

Black nickte, wieder mit einem kurzen Lächeln. »So hatte ich es vor. Vier Hände treffen mehr als zwei.«

Ich sagte dazu nichts. Stattdessen bewegte ich mich auf die Küchentür zu.

»Was haben Sie vor, Mister? Haben Sie einen Plan?«

»Mein Plan heißt Augen auf und durch. Sind Sie damit einverstanden?«

Er antwortete ohne zu zögern. »Immer!«

»Gut.« Ich wies nach draußen. »Die vielen Säulen können uns im Notfall Deckung geben.

Ich blickte noch einmal auf unsere Gegner. Im Hintergrund sah ich, wie sich der blonde Anführer gerade den asiatischen Ober geschnappt hatte und dabei war, ihn zu erschießen.

Jetzt wurde es aber höchste Eisenbahn.

Ich nahm Anlauf, rammte die Tür auf und sprang in den Speisesaal. Vince Black tat es mir gleich.

Sofort nahmen uns die Räuber ins Visier. Die braunhaarige Frau stand uns am Nächsten. Sie zielte direkt auf mich, und ich hätte niemals rechtzeitig abdrücken können. Dafür donnerte hinter mir ein Schuss auf.

Die Gewehrkugel traf die Gangsterbraut mitten in die Brust und warf sie zurück. Sie fiel blutüberströmt auf einen der Tische.

Aus dem Hintergrund tauchten zwei Männer auf, ihre Uzis im Anschlag. Ohne zu zögern eröffneten sie das Feuer.

Um mich herum schlugen die Kugelgarben ein. Die Küchenfenster zersplitterten hinter mir.

Bevor ich zu einem Schweizer Käse umfunktioniert wurde, hechtete ich auf eine der Säulen zu und ging dahinter in Deckung.

Vince Black hatte nicht so viel Glück gehabt. Ich sah ihn blutend am Boden liegen, aber immerhin, er bewegte sich.

Um ihn konnte ich mich jedoch nicht kümmern, da standen die beiden mit Uzis bewaffneten Männer weiter vorne auf der Warteliste.

In einer kurzen Feuerpause sprang ich hinter der Säule hervor und drückte ab. Kugel um Kugel jagte ich den beiden Typen entgegen. Mehrere Einschläge schüttelten sie durch. Keiner fand mehr die Möglichkeit, auf mich zu schießen, denn beide brachen blutüberströmt zusammen.

Ich wollte schon ein neues Magazin in meine Waffe einlegen, als ich von der Seite einen lauten Ruf hörte. »Fahr endlich zur Hölle, du Arsch!«

Aus den Augenwinkeln sah ich eine Frau mit einer Pistole, die augenblicklich das Feuer eröffnete.

Die erste Kugel schlug Zentimeter über meinem Kopf in die Säule ein, die zweite streifte meinen rechten Arm (der hatte irgendwie blutige Wunden abonniert).

Zu einem dritten Schuss kam sie jedoch nicht mehr. Ich hörte wieder das Donnern des Gewehrs, und einen Augenblick später wurde der Blonden beinahe der Kopf vom Körper gerissen. Blutüberströmt kippte sie einfach um.

Ich blickte nach links und erwartete Vince Black, der sich wieder aufgerichtet hatte. Doch stattdessen blickte ich Tanja Berner ins Gesicht, die mich schief angrinste.

»Dachtest du wirklich, ich lasse dich hier allein Clint Eastwood spielen?«

Ich schüttelte nur überrascht den Kopf. So achtete ich für einen Moment nicht auf mein Umfeld. Das wurde bitter bestraft. Wieder traf es meinen rechten Arm, in den eine Kugel einschlug.

Ich versuchte, so gut es ging, den Schmerz zu verdrängen und hob den linken Arm mit der Desert Eagle an. Gerade so sah ich eine Gestalt – den dicken Typen -, die auf eine der Säulen zuhechtete und weiter in meine Richtung feuerte.

Ich schoss zurück, ohne richtig zu zielen. Die Kugel verfehlte den Mann, traf die Säule. Der Gangster lief weiter, um einen Moment später durchgeschüttelt zu werden. Wankend torkelte er noch einige Meter, dann fiel er zu Boden.

Tanja Berner schaute mich verwundert an. »Was war das denn?«

Ich überlegte nicht lange. »Wahrscheinlich hat ihn der Querschläger meines Schusses in den Rücken getroffen.«

Aus dem Hintergrund der Halle hörte ich einen markerschütternden Schrei. »Neeeeeiiiiin!«

Ich schaute in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Dort stand der blonde Anführer, der wohl Desmond hieß, und kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen schien. Der Mann schien ihm viel bedeutet zu haben. Vielleicht war er sein Freund oder Bruder gewesen, aber das war jetzt nicht wichtig. Viel wichtiger war die Pistole, die er dem asiatischstämmigen Ober an die Schläfe hielt.

Mit der anderen Hand erhob er eine zweite Waffe, eine Uzi. Damit schoss er auf uns.

Wir mussten in Deckung gehen, um nicht als Küchensieb in der Kantine der Gerichtsmedizin zu landen.

Während Desmond weitere Salven auf uns abfeuerte, begann er zu rennen. Auch mit seiner zweiten Waffe schoss er jetzt auf uns, während er durch die Halle hetzte und schließlich aus unserem Blickfeld verschwand.

Als wir nicht mehr beschossen wurden, nahm ich die Verfolgung auf. Doch es war zwecklos. Ich verfolgte seine Spur noch eine Weile, bis ich vor einem Hinterausgang stand.

Ein Blick nach draußen, in den Hinterhof, in die Nacht, reichte mir, um zu sehen, dass der Mann mir entkommen war. Ich fluchte, bevor ich wieder zu Tanja Berner zurückging.

Meine Partnerin hatte sich über Vince Black gebeugt.

Ich ging zu ihr und fragte sie, wie es dem Koch geht.

»Er atmet noch, aber sehr schwach. Ich fürchte, er schafft es nicht.«

Von der anderen Seite der Halle hörte ich laute Stimmen. Die restlichen Gäste verhielten sich still und blieben auf ihren Plätzen, vor Schock erstarrt. Nur eine Frau war aufgesprungen und hatte sich weinend über den ermordeten Mann gebeugt.

Aus Richtung des Vordereinganges strömten Polizisten und ihnen folgend Rettungssanitäter.

Ich blickte noch einmal auf Vince Black. Er hatte viel Blut verloren, und auch ich befürchtete, dass da jede Hilfe zu spät kommen würde.

So hatte ich mir mein Rendezvous mit Tanja Berner wirklich nicht vorgestellt. Aber vielleicht zog unser Job Typen wie diesen Desmond und seine Leute irgendwie an. Ich wusste es nicht, und auf eine Siegerzigarre hatte ich wirklich keine Lust, denn die wäre ziemlich unverdient gewesen.

Jetzt brauchte ich erst mal Urlaub …

Copyright © 2008 by Raphael Marques