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Jimmy Spider – Folge 11

Jimmy Spider und der Orden des Tigers

Das finstere Schloss, das das Ziel meiner mitternächtlichen Dienstfahrt darstellte, lag genau da, wo man ein finsteres Schloss vermutet – auf einem Hügel, umgeben von einem nicht weniger finsteren Wald.

Doch eben jenes Schloss war nicht irgendein finsteres Schloss – es war das Hauptquartier des Tigerordens, einer mächtigen und einflussreichen Gruppe (oder besser Sekte), die nun um ihre Existenz fürchtete. Es gab gewisse Informationen darüber, dass ihr Heiligtum, das außer den Mitgliedern dieser Vereinigung noch nie jemand zu Gesicht bekommen hatte, gestohlen werden sollte. Also hatten einige Ordensbrüder ihre Beziehungen spielen lassen, sodass nun die TCA eingeschaltet worden war, um den mysteriösen Gegenstand zu bewachen.

Diese Aufgabe war jedoch nicht nur mir aufgetragen worden. Ein sechsköpfiges Spezialkommando der TCA unter der Leitung eines Commander Rathbone bewachte bereits das Gebiet um das – wie gesagt – finstere Schloss.

Zudem hatte ich wieder einmal eine hübsche Begleitung bekommen: Tanja Berner, die junge Schweizerin, die ich noch gut von einem wenig appetitlichen Fall vor einigen Wochen in Erinnerung hatte. Allerdings schien sie nicht unbedingt begeistert von diesem Auftrag zu sein. Zugegeben, ich konnte mir auch Schöneres vorstellen, als mitten im Nirgendwo einigen Sektierern dabei zu helfen, ihr Heiligtum vor einer Bedrohung zu schützen, die wahrscheinlich noch nicht mal selbst von sich wusste.

Neben mir hüstelte meine junge Kollegin. Sie trug das gleiche Outfit wie bei unserer letzten Begegnung, nur hatte sie diesmal noch eine braune Wolljacke übergezogen.

»Ähm … Mr. Spider?«

»Ja, Miss Berner?«

»Was denken Sie, was uns erwartet? Ich meine, sind Sie auch der Ansicht, dass es jemand auf den Tigerorden abgesehen hat – oder ist das nur eine Erfindung dieser Sekte?«

Ich wiegte meinen Kopf. »Nun ja, wenn dieser Orden wirklich existiert, muss er ungemein wertvoll sein. Etwa so wie die Mona Lisa, nur für Tierliebhaber.«

Tanja Berner stutzte für einen Moment, dann lächelte sie kurz zu mir herüber und wandte ihren Blick wieder der nächtlichen Umgebung zu.

Langsam rollten wir dem alten Gebäude entgegen. Durch die Bäume und die Dunkelheit wäre es normal nicht zu erkennen gewesen, aber man hatte Straßenlaternen an der Einfahrt errichtet. Außerdem brannte in einigen Zimmern Licht.

Wir fuhren auf ein altes Eisentor zu. An der rechten Seite stand ein kleines Wachhäuschen. Da auch darin Licht brannte, konnte ich erkennen, dass ein leicht übergewichtiger Sektierer dort seinen Dienst schob.

Ich hielt vor dem Tor an, stieg aus und lief zu dem Wächter. Über mir hörte ich ein leichtes Donnergrollen. Ein Gewitter schien sich anzukündigen.

Als ich bereits direkt vor seinem Arbeitsplatz stand und er mich noch immer nicht gesehen hatte, klopfte ich gegen die Fenster.

»Hallo, aufwachen!«

Der glatzköpfige Mann in einer blauen Uniform sprang wie ein fleischgewordener Kastenteufel in die Höhe, schrie und fuchtelte wie wild mit einer Pistole herum.

»Wie – was – warum? Polizei, Rote Khmer, Sowjetpanzer im Anmarsch! Zu den Waffen!«

Ich rückte mein Outfit zurecht, bevor ich reagierte. »Beruhigen Sie sich wieder. Ich bin angemeldet. Sie hatten mich herbestellt.«

Endlich hatte der Mann mich bemerkt. Er lief rot an und steckte seine Pistole wieder weg, bevor er sich mir entgegen neigte. »Wer sind Sie? Der Milchmann?«

»Wieso? Hatten sie einen bestellt?«

Der Wächter schaute mich nur mit großen Augen an.

»Mein Name ist Jimmy Spider. Ich bin von der TCA. Sie hatten uns doch als Unterstützung angefordert – oder?«

Der Mann geriet langsam ins Schwitzen. »Ja ja, natürlich. Sagen Sie das doch gleich. Ich werde Sie anmelden, dann öffne ich Ihnen das Tor. Warten Sie im Wagen.«

»Ganz wie es Ihnen beliebt.«

Ich wand mich ab und ging zurück zum Wagen, in dem mich Tanja Berner mit einem zarten Lächeln empfing.

»Na, Probleme gehabt?«

Ich schenkte ihr nur einen vielsagenden Blick und ein Schulterzucken.

Endlich schob sich vor uns das Tor auf und wir konnten passieren. Im Vorbeifahren schaute ich noch einmal zu dem Wächter hinüber, der sich offenbar wieder in den süßesten Träumen befand.

Nachdem wir eine kleine Buchenallee durchfahren hatten, erreichten wir den Eingang des viergeschossigen Gebäudes, dass mich entfernt an das Sandringham House erinnerte. Dem hatte ich vor vielen Jahren einmal mit meiner damaligen Noch-nicht-Ex-Frau einen Besuch abgestattet. Aber seit ich damals ein Mitglied eines (damals noch) weltbekannten Verbrechersyndikats im Schlafgemach der Hausbesitzerin in die ewigen Jagdgründe geschickt hatte, hatte ich dort Hausverbot. Das sollte mir hier nicht passieren.

Ohne jede Hektik stiegen wir aus und sahen uns um.

»Hübsch hier«, murmelte meine Partnerin.

Ich wollte schon etwas antworten, als sich das Funkgerät, das ich in einer meiner Anzugtaschen trug, meldete. Ich kramte es heraus und schaltete den Funk an.

»Ja, wer ist da?«

Eine kratzige, leicht zischende Stimme meldete sich. »Commander Rathbone, Sir! Sind Sie gut angekommen, Mister Spider?«

»Sie würden sich ja wohl kaum melden, wenn Sie das nicht selbst wüssten, Commander.«

»Auch wieder wahr.«

Ich verdrehte die Augen. Der Mann wollte wohl einfach nicht zur Sache kommen. »Und, wie ist die Lage?«

»Wunderschön. Dieser Wald gibt dem Gebäude so etwas richtig Ehrfürchtiges. Einfach fantastisch. Meiner Verlobten würde es bestimmt auch ge…«

»Nein, ich meine, ist alles in Ordnung hier? Gab es Zwischenfälle?« Langsam ging mir der Kerl auf die Nerven.

»Ach so … nein. Meine Männer und ich haben noch nichts Ungewöhnliches bemerkt.«

»Gut. Melden Sie sich, wenn sich etwas ändert!«

»Verstanden, Sir!«

Ich steckte das Funkgerät wieder weg.

Tanja Berner schickte mir wieder einen vielsagenden Blick entgegen.

Ich hob meinen rechten Zeigefinger. »Sagen Sie nichts!«

Sie reckte ihre Hände hoch und grinste. »Ich werde mich hüten!«

Statt weiter zu flachsen, wandten wir uns dem zweiflügeligen Eingangstor zu. Doch bevor wir nach einer Klingel suchen mussten, öffnete sich das Tor wie von Geisterhand und ohne das klischeehafte Knarren.

Wir traten gemeinsam ein. Uns empfing ein weitläufiger Empfangssaal. An der Decke hing ein so gewaltiger Kronleuchter, dass selbst die Queen vor Neid erblasst wäre.

Auch die Einrichtung war nicht minder prunkvoll. Wir schritten bereits auf einem roten Teppich, der mit Sicherheit nicht weniger teuer gewesen war. Alte Schränke, Bücherregale und eine Vielzahl von Bildern zierten die weiß angestrichenen Wände. Außerdem sahen wir einige zähnefletschende Tigerköpfe, uns unbekannte Schriftzeichen und verschiedenste aufgehängte Fahnen und Flaggen.

Von der Treppe, die in die höheren Stockwerke führte, erreichte uns ein leichtes Hüsteln.

Als wir unsere Blicke anhoben, sahen wir einen gut 1, 80 Meter großen, älteren Mann mit einer Halbglatze. Sein knochiges Gesicht strahlte förmlich vor Arroganz.

Aber erst an dem Aufzug des Mannes konnte selbst ein fast Blinder erkennen, dass wir es mit einem (mit Sicherheit ranghohen) Mitglied des Tigerordens zu tun hatten. Er trug eine schwarze, ausladende Robe, an der vor allem der gelbe, eingestickte Kreisel an der linken Brustseite ins Auge stach.

Zur Begrüßung streckte er uns seine Arme entgegen, als wollte er uns im nächsten Moment an sich drücken.

Seine Stimme klang trotz seines Alters jung und frisch. »Willkommen, Mr. Spider! Und wie ich sehe, haben Sie ihre Kollegin Tanja Berner gleich mitgebracht. Ich habe schon einiges von Ihnen beiden gehört.« Er nickte uns zu. »Ich bin mir sicher, mit Ihnen und Commander Rathbones Einheit wird unserem größten Schatz nichts passieren.«

Ob der Mann wirklich Vertrauen in uns hatte oder uns nur etwas vorspielte, ließ sich nicht herausfinden. Ich wunderte mich nur, dass von dem Tigerorden keine Wachleute zu sehen waren.

Ich war der Erste, der den Mann ansprach. »Und mit wem haben wir die Ehre?«

Der Mann schlug sich sinnbildlich gegen die Stirn. »Ach, entschuldigen Sie. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Basil MacArthur. Schottischer Hochadel in der 27. Generation. Es ist mir außerdem eine besondere Ehre, den letzten männlichen Nachkommen der Familie McShady hier in meinem Haus begrüßen zu dürfen.« Er schaute mich direkt an. Doch anstatt seinen Blick zu erwidern, wie ich es bei jedem anderen Thema getan hätte, wandte ich ihn ab. Über diese Angelegenheit wollte ich kein Wort zu viel verlieren.

»Eine schöne Einrichtung haben Sie hier«, sagte Tanja Berner, um uns von diesem Thema abzulenken. Obwohl selbst sie, wie eigentlich fast niemand, über meine Vorfahren Bescheid wusste, reagierte sie vollkommen abgebrüht. Insgeheim konnte ich mich dafür nur bei ihr bedanken.

»Ja, das ist wahr. Das verdankt unser Orden den überaus großzügigen Spenden unserer vielen Mitglieder. Und auch wenn es vielleicht nicht unbedingt offensichtlich ist, ist dieses Haus doch der Kernpunkt unseres Ortes. Hier fließt all unser Wissen zusammen, unsere Geschichte, unsere …«

Tanja Berner wiegelte hab. »Schon gut, schon gut. So genau wollte ich es gar nicht wissen.« Dafür erntete sie einen bösen Blick MacArthurs. Doch sie blieb kühl. »Was mich viel mehr interessieren würde, ist, wo die restlichen Bewohner und Wachen dieses Hauses sind, was für eine Position Sie eigentlich in dem Orden bekleiden und wo sich nun dieser überaus geheimnisvolle Tigerorden befindet.«

Basil MacArthur grinste wieder arrogant vor sich hin. »So viele Fragen, junge Dame. Aber ich werde ihre Neugierde stillen.

Nun, der einzige offizielle Bewohner bin ich. Wachen gibt es hier noch, keine Sorge, nur halten sie sich dort auf, wo sie einem nicht direkt ins Auge springen. Mehr im Hintergrund.

Meine Position, nun, sagen wir einfach, ich gehöre nicht gerade den untersten Legionen unseres Ordens an. Das muss für Sie reichen.«

Wenig begeistert verschränkte meine Partnerin die Arme. »Und der Orden?«

MacArthur kicherte. »Glauben sie denn wirklich, das werde ich Ihnen verraten?«

Jetzt mischte ich mich wieder ein. »Wenn Sie wollen, dass wir ihn beschützen, müssen Sie uns schon sagen, wo er sich befindet.«

»Nein! Ihre Aufgabe ist es, einen Diebstahl zu verhindern. Mehr müssen Sie nicht erfahren.«

Jetzt wurde ich langsam sauer. Aber es gab sicher noch eine Möglichkeit, den Mann zum Reden zu bringen.

»Wenn Sie es uns nicht sagen, werde ich die ganze Aktion abblasen und Sie können zusehen, wie sich ihr ach so toller Orden auf Nimmerwiedersehen verabschiedet.«

Ich machte mit meinem Kopf ein Zeichen für Tanja Berner, das besagte, dass wir gehen sollten. Wir wollten uns bereits abwenden, als MacArthur doch noch zurückruderte.

»Nein, nein, warten Sie!« Er spielte etwas nervös mit seinen Händen herum. »Also gut, ich werde Ihnen sagen, wo sich der Orden befindet.«

Ich lächelte zufrieden in mich hinein. Dieser Trick funktionierte doch immer wieder.

MacArthur atmete tief durch. »Der Orden befindet sich in einem kleinen Seitenflügel, der halb unter der Erde liegt. Dort liegt er nicht auf dem Präsentierteller und kann optimal überwacht werden. Sind Sie jetzt zufrieden?«

Ich zumindest nicht. »Führen Sie uns hin!«

Jetzt wurde unser Gastgeber langsam richtig nervös. Fahrig fuchtelte er mit seinen Händen herum und rang nach Fassung. »Nein, das kann ich nicht. Das ist nicht möglich. Dieser Ort ist nur den höchsten Ordensbrüdern zugänglich, keinen Außenstehenden und vor allem keinen Frauen und …«

Tanja Berner hob nur die Schultern. »Sie haben die Wahl.«

MacArthur sah sich hastig um, wie jemand, der hoffte, nicht beobachtet zu werden, und selbst nicht wusste, was er eigentlich tun sollte. Schließlich beruhigte er sich jedoch wieder und nickte uns entgegen. »Also gut. Ich verstoße zwar damit gegen eines der ehernsten Gesetze unseres Ordens – aber das auch nur, um unser größtes Heiligtum zu schützen. Wenn der Tigerorden in falsche Hände gerät, kann das fatale Folgen, nicht nur für uns, sondern auch für die ganze Welt haben.«

Ob er nicht jetzt schon in den falschen Händen war, ließ ich mal dahin gestellt. Laut TCA-Informationen war der Orden aber beileibe nicht so ehern, wie MacArthur tat. Zwar waren neben den normalen Menschen auch einige gut betuchte Personen und sogar einflussreiche Politiker Mitglieder in dieser Vereinigung, aber sicher kaum einer, nur um den okkulten Ritualen des Ordens zu frönen. Der Tigerorden war viel eher an Manipulationen von Regierungen, Putschversuchen und dem internationalen Waffenhandel beteiligt. Trotzdem gab es sicher Tausende von Mitgliedern, die diesem Orden fanatisch bis in den Tod folgen würden.

Basil MacArthur schritt die Treppe hinab und gab uns ein Zeichen, ihm zu folgen. Unser Weg führte uns tiefer in das altehrwürdige Gemäuer, vorbei an unzähligen Bildern, die vermutlich ehemalige Mitglieder des Ordens früherer Jahrhunderte darstellten. Darüber hinaus sahen wir so manch andere Antiquitäten und Kostbarkeiten. Bei manchen von diesen Dingen fragte ich mich, wie viel Einfluss diese Sekte doch besitzen musste, um diese unbezahlbaren Gegenstände hier zu horten.

An einer kahlen Wand blieben wir stehen.

MacArthur wies auf diese Stelle. »Der Seitenflügel, den ich bereits erwähnt habe, ist nicht offen vom Inneren zugänglich. Man muss schon ein hohes Ordensmitglied sein, um dort eintreten zu dürfen.«

Unser Führer trat an die Wand und klopfte in einem Rhythmus, den man sich als Normalsterblicher unmöglich merken konnte, etwa eine Minute lang, an ihr. Gleichzeitig hörten wir ein heftiges Donnergrollen, das die Wände erzittern ließ. Offenbar stand uns ein gewaltiges Gewitter bevor.

Das nächste Grollen, das wir hörten, war jedoch keines natürlichen Ursprungs. Vor uns schob sich eine mannshohe und etwa einen Meter breite Öffnung in der Wand auf. Offenbar ein Geheimgang.

Ich blickte MacArthur ins Gesicht und lächelte. »Nach Ihnen.«

Der Ordensmann sagte nichts, als er an mir vorbei ging und den Gang betrat. Die Wände hier waren nicht gestrichen und zeigten noch den ursprünglichen Stein, aus dem das Gemäuer erbaut worden war.

In den Wänden waren kleine Öffnungen eingelassen, aus denen schwacher Lichtschein flackerte. Offenbar brennende Ölleuchten.

Der Reihe nach gingen MacArthur, Tanja Berner und ich den Gang entlang, der leicht bergab führte, bis wir in einen weiteren saalartigen Raum gelangten, der jedoch viel kleiner war als die Empfangshalle.

Als ich an die mit Fackeln erleuchteten Wände schaute, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Fürchterliche Fratzen, die der tiefsten Hölle entsprungen zu sein schienen, waren an allen vier Raumseiten mit schwarzer und gelber Farbe an die Wände geschmiert worden. Offensichtlich hatten wir den Raum aller Räume erreicht. Hier irgendwo musste der Tigerorden sein.

Erst jetzt sah ich, dass sich in der Mitte des Raumes eine kleine Säule befand, die in Brusthöhe endete. Ihr näherte sich MacArthur.

Ein Blitz, der mit einem gewaltigen Donnergrollen einherging, erleuchtete kurzzeitig den Raum. Als Tanja und ich kurz zu den drei Fenstern blickten, die etwa zwanzig Zentimeter über unseren Köpfen begannen und von dort etwa zwei Meter in die Höhe reichten, waren sie schon wieder in Dunkelheit getaucht.

Trotzdem schärfte ich meinen Blick. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass sich an den Fenstern irgendetwas verbarg. Aber erkennen konnte ich nichts.

Wahrscheinlich war es irgendeine Fledermaus, die sich hierher verirrt hatte.

Ich blickte wieder auf Basil MacArthur, der direkt vor der kleinen Säule stand und auf sie hinab stierte.

Auch Tanja Berner und ich näherten uns jetzt dem Steingebilde.

Erst beim Näherkommen erkannte ich, dass in die Säulendecke eine etwa handgroße Kuhle eingelassen war. Als ich in sie hineinblickte, musste ich erst einmal tief durchatmen. Auch meiner Partnerin ging es nicht anders.

Wir hatten den Orden des Tigers gefunden!

Auf den ersten Blick sah es mehr aus wie ein übergroßes, bronzefarbenes Medaillon. In der Mitte der glatten Scheibe zeichnete sich tatsächlich das farbechte Gesicht eines Tigers ab. Wie es möglich war, so etwas wie diesen Orden zu schaffen, wusste ich nicht. Aber mir war jetzt klar, was für eine Wirkung dieser Gegenstand auf die Ordensmitglieder haben musste. Auch ich spürte, dass von diesem Medaillon irgendetwas ausging, was nicht in Worte zu fassen war.

MacArthur sagte nichts mehr und trat von der Säule weg. Er stellte sich etwas abseits hin, den Fenstern zugewandt, und starrte die Wand an.

Draußen musste es angefangen haben zu regnen, denn ich hörte das harte Prasseln der Regentropfen, die auf die Fensterscheiben trafen.

Plötzlich hatte ich ein merkwürdiges Gefühl. Es war, als würde sich ein grauenvolles Unheil ankündigen, und noch ehe ich meinen Gedanken zu Ende geführt hatte, geschah etwas, mit dem ich dennoch nie im Leben gerechnet hatte.

Ein gewaltiger Blitz schoss vom Himmel hinab und traf etwas, was sich direkt vor dem Gebäude befand. Womöglich ein Baum, aber das war unwichtig.

Das Licht des Blitzes erleuchtete gleichzeitig alle Fenster und gab den Blick auf eine Gestalt frei, die direkt über Basil MacArthur an der Innenseite des Fenstersimses stand und eine gewaltige Axt erhoben hatte, um dem Mann den Schädel zu spalten. Die Gestalt lachte wie irre auf, bevor sie die Waffe auf den Kopf des unglücklichen Basil MacArthur niedersausen ließ und ihr mit einem Schlag den Schädel spaltete. Blut spritzte durch den Raum, während die Gestalt des Mannes erzitterte.

Doch der Tote fiel nicht. Die Axt steckte weiter in seinem gespaltenen Kopf und wurde von seinem Mörder gehalten.

Wie in Trance wanderte mein Blick an der Gestalt entlang nach oben. Endlich erkannte ich mehr Details. Der Mann – ich war mir mittlerweile sicher, dass er einer war – trug schwarze Handschuhe, schwarze Schuhe, eine schwarze Hose, einen schwarzen Ledermantel, kurze schwarze Haare und … sein Gesicht. Es war nicht schwarz, aber in diesem Moment wusste ich, wer MacArthurs Mörder war – niemand anderes als Raymond Sterling!

Auf dem Gesicht von Ray, wie er sich selbst nannte, breitete sich ein geradezu teuflisches Grinsen aus. »Na, überrascht, Spider?«

In diesem Moment fiel mir darauf keine Entgegnung ein.

Sterling lachte geradezu meckernd. »Natürlich sind Sie überrascht. Wie sollte es auch anders sein. Wie hätten Sie wissen sollen, dass ich derjenige bin, der es auf den Orden abgesehen hat. Oder sagen wir lieber, jemand hat ein großes Interesse daran, dieses unfassbar wertvolle Schmuckstück in seinen Besitz zu bringen.« Während seiner Rede zog er seine Axt aus MacArthurs Kopf. Die Leiche des Ordensmannes fiel gegen die Wand und blieb in einer grotesken Haltung stehen.

»Und wie ich sehe, haben Sie eine überaus hübsche Begleiterin mitgebracht.« Raymond Sterling winkte meiner Partnerin entgegen, die geschockt zusammenzuckte. »Ich würde mich mit ihr ja zu gerne etwas näher beschäftigen, aber ich habe euch beide bereits ein paar Freunden von mir versprochen. Oder sollte ich besser sagen – euer Fleisch.«

Als wären Rays Worte ein Startsignal, brachen vor uns die Fenster ein, und mindestens ein Dutzend der mir bereits zur Genüge bekannten Monchoppies kamen in den Raum hinein. Gleichzeitig erhob Sterling seine Axt, um uns in mundgerechte Stücke zu zerteilen.

Tanja Berner war neben mir förmlich erstarrt und konnte ihren Schock kaum in Worte fassen. »Was- was ist das …?«

Ich handelte intuitiv. »Nicht reden, laufen.« Ich fasste nach ihrem Arm und riss sie mit mir.

Um meine Desert Eagle zu ziehen, blieb mir keine Zeit, denn die ersten von Sterlings Kuscheltiermonstern drängten bereits zähnefletschend in den Raum.

Ich wollte schon den Geheimgang zur Flucht benutzen, als ich sah, dass sich auch dort zwei blaue Monchoppies hineingedrängt hatten.

Vor uns lachte Raymond Sterling. »Tja, Spider, sieht aus, als wären Sie uns ins Netz gegangen.«

»Abwarten.«

Ray grinste nur. »Was soll Sie jetzt noch retten?«

Das war eine gute Frage.

Tanja und ich drängten uns gegen die Wand gegenüber den Fenstern.

Ich zog zwar meine Desert Eagle, doch viel Hoffnung brachte sie mir nicht. Vielleicht konnte ich damit Sterling und ein paar Monchoppies in Schach halten, aber der Übermacht würde ich letztlich nichts entgegensetzen können.

Auch meine Partnerin hatte sich wieder gefangen und ihre Pistole, eine Glock, gezogen.

Vor uns drängten sich immer mehr Monchoppies in den Raum. Selbst mit Dauerfeuer konnten wir dieser Übermacht nicht entgehen.

Ich lehnte mich mit einer Hand gegen die Wand, die an dieser Stelle plötzlich nachgab. Gleichzeitig feuerte Ray seine Schoßtierchen an. »Fasst Sie!«

Doch bevor wir zu Kuscheltiermonsterfutter verarbeitet werden konnten, fielen Tanja und ich unvermittelt nach hinten und rollten einen Gang hinab, der vor einer Sekunde noch nicht da gewesen war.

Ich hielt mir die Hände schützend gegen den Kopf, während sich die Welt um mich herum wieder und wieder drehte und das Licht des Raumes langsam verschwand.

Ich wusste nicht, wie lange es gedauert hatte, bis ich wieder zur Ruhe gekommen war, aber ich sah eines auf den ersten Blick – nämlich, dass ich nichts sah.

Um mich herum war es stockdunkel. Ich wollte schon meine Taschenlampe herausholen, als etwas über meine Nase strich.

»Mr. Spider?«

»Nennen Sie mich ruhig Jimmy, Miss Berner.«

»Nur wenn Sie aufhören, mich Miss Berner zu nennen.«

»Okay, … Tanja. Dann können wir auch gleich beim du bleiben. Wie dem auch sei, hast du eine Ahnung, wo wir hier stecken?«

Bevor Tanja mir antwortete, schaltete sie ihre Taschenlampe ein. Ich tat es ihr gleich.

Das Licht meiner Partnerin strich über unzählige Weinfässer und -flaschen.

»Also, das Schlafgemach ist das wohl nicht, Jimmy.«

»Wohl eher das Lustgemach der Ordensbrüder.«

Tanja lachte kurz, doch bevor wir uns weiter unterhalten konnten, wurden wir von einem leisen Knurren unterbrochen.

Die Monchoppies! Ich hatte sie in den letzten Sekunden komplett vergessen. Ich sah mich kurz um. Etwa fünf Meter vor uns erkannte ich zwei leuchtende gelbe Punkte in der Dunkelheit, die sich rasend schnell auf uns zu bewegten.

Ich zögerte nicht lange und schoss.

Zwei Kugeln sirrten auf den Monchoppie zu und durchschlugen seinen Kopf, der jetzt auch im Lichtschein unserer Taschenlampen zu sehen war. Sofort explodierte der Schädel des Monsters, und nur mit einem Hechtsprung konnten Tanja und ich uns vor dem kochenden Blut, das aus dem Halsstumpf hervorschoss, retten.

Die Körperglieder zuckten noch einige Male kurz, dann lagen sie still. Ein Gegner weniger.

Von irgendwo erklang ein fast schon wahnsinniges Kichern. »Ein kleines Monchoppielein … Kinderlieder können doch manchmal so entzückend sein. Aber diesmal sind es keine zehn kleinen Monchoppielein insgesamt, sondern zwanzig. Ich habe zwar schon, was ich will, aber euer Fleisch werde ich meinen Freunden trotzdem überlassen. Viel Spaß noch!«

Sterling kicherte noch einmal, dann war es wieder still.

Tanja tippte mir kurz auf die Schulter. »Was machen wir jetzt?«

»Wir suchen uns ein günstiges Versteck und versuchen von da aus, diese ekelhaften Viecher auszuschalten. Dann …«

Dann musste warten, denn mein Funkgerät meldete sich wieder.

»Mister Spider?«

»Ja?« Es war wieder Commander Rathbone, nur kam er diesmal schneller zur Sache. So hatte ich jedenfalls gedacht.

»Wir haben hier draußen ein kleines Problem. Etwas ziemlich Wuscheliges hat einen meiner Männer mit einem Pizzaboten für Kannibalen verwechselt. Das Corpus Delicti liegt direkt vor mir und rührt sich nicht mehr.«

Jetzt wurde es mir endgültig zu viel. »Reden Sie nicht so einen geschwollenen Quatsch, Sie Trottel. Sagen Sie mir lieber endlich, was passiert ist!«

Das hatte gesessen. Der Commander sprach nun endlich Klartext. »Ein Monster hat einen meiner Männer angefallen und getötet. Ich habe es daraufhin erschossen.«

Ich atmete tief durch. »Okay. Passen Sie auf: In und um das Gebäude befinden sich noch etwa zwei Dutzend weitere dieser Monster sowie ein Mann, der sie befehligt. Rufen Sie Ihre Männer, bleiben Sie zusammen und versuchen Sie, diesen Mann aufzuhalten. Wenn nicht, kommen Sie in Richtung Haus und versuchen Sie, diese Viecher zu vertreiben.«

»Okay, Sir!« Danach war der Funkkontakt wieder unterbrochen.

Zumindest hatten wir jetzt endlich mal Klartext gesprochen. Besonders sympathischer war mir Rathbone dadurch aber trotzdem nicht geworden.

Auf leisen Sohlen schlichen wir durch den Weinkeller, in dem sicherlich schon so manches Ordensfest gefeiert worden war. Stille umgab uns – eine schon fast unnatürliche Stille, denn eigentlich hätte es hier von keifenden und hungrigen Monchoppies nur so wimmeln müssen. Mit diesen bunten, aus fünf runden Gliedern bestehenden Bestien hatte ich vor einiger Zeit in Brasilien schon genügend Erfahrung sammeln können.

Kaum waren meine Gedanken zu meiner ersten Begegnung mit Sterling zurückgewandert, fiel mir auch die Szene in der Höhle, in der das goldene Kätzchen gestanden hatte, wieder ein. Dort waren die Monchoppies auch über die Decke gekrabbelt! Wenn das hier auch der Fall war, konnten wir von Glück reden, noch nicht in einem Monstermagen gelandet zu sein.

Ich wies meine Partnerin an, stehen zu bleiben. »Leuchte mal zur Decke!«

Tanja schaute mich verwundert an. »Tu es einfach, ich erkläre es dir später.«

»Okay.«

Wie auf ein Stichwort klatschte mir etwas Feuchtes auf den Kopf. Wenn das mal nicht Monstersabber war.

»Vorsicht Jimmy!«

Tanjas Ruf kam keine Sekunde zu früh, denn als ich bereits von der Stelle, an der ich stand, zu einem Sprung ansetzte, ließ sich ein rotes Kuschelmonster direkt auf mich fallen.

Zum Glück kam ich noch rechtzeitig weg, und auch meine Partnerin reagierte geistesgegenwärtig.

Eine Salve feinster Bleikugeln jagte sie in den Körper des Monchoppies, der sich wild kreischend um die eigene Achse drehte, bis er schließlich tonlos zusammensackte.

Tanja Berner pustete symbolisch den Rauch von der Pistolenmündung. »Wieder einer weniger.«

Ich konnte nur lächeln. Meine Partnerin hatte wirklich einige Fähigkeiten, die mir bisher verborgen geblieben waren.

Weitere Zeit zur Freude blieb mir nicht, denn von der rechten Seite riss mich ein gewaltiger Körper um – ein schwarzes Monchoppie. In der Kürze der Zeit konnte ich noch erkennen, dass es etwas größer als die mir bisher bekannten Exemplare war und aus sechs statt fünf Gliedern bestand.

Schließlich landete ich auf dem Boden und blickte dem weit aufgerissenen Maul des Monchoppies entgegen. Für einen Schuss war es zu spät, und …

Ich hatte in diesen Momenten schon fast meine Partnerin vergessen, doch nun meldete sie sich furios zurück. Mit einem gewaltigen Tritt beförderte sie das Monster von mir herunter.

Während das Riesen-Monchoppie irgendwo hinein krachte, rappelte ich mich wieder auf und nickte Tanja dankend zu.

Danach warf ich einen Blick auf meinen Angreifer. Oder besser auf dessen Hinterteil, denn das Kuscheltiermonster huschte gerade in die Dunkelheit davon.

Doch über einen Sieg konnten wir uns nicht freuen, denn plötzlich erklang von allen Seiten wütendes Knurren. Offenbar hatte die Meute uns endgültig eingekreist.

Tanja und ich leuchteten in die Runde. Mindestens ein Dutzend Monchoppies hatten sich um uns herum versammelt, bereit, uns auf der Stelle in Stücke zu reißen.

Meine Partnerin fasste nach meinem Arm. »Was machen wir jetzt?«

Ich erhob meine Waffe. »Einfach schießen und bis zum Letzten kämpfen.«

Tanja Berner schaute mir traurig in die Augen. Eine Träne lief über ihre linke Wange. Ich wischte sie sanft ab und versuchte, sie zu trösten. »Wenn wir schon sterben sollen, dann zumindest nicht alleine.«

Meine Partnerin erhob jetzt auch ihre Waffe, während sich die Monchoppies für unsere endgültige Vernichtung bereit machten. »Du hast recht. Aber wir werden so viele von diesen Viechern mitnehmen, wie wir können.«

Ich nickte ihr zu und schloss bereits mit meinem Leben ab, als von irgendwoher die Echos von Maschinengewehrsalven aufbrandeten.

Von irgendwoher erreichte uns ein lauter Schrei. »Augen zu!«

Wir taten es sofort und warfen uns auf den Boden, denn ich ahnte schon, was kommen würde – Leuchtgranaten. Commander Rathbone hatte offenbar erkannt, wo der Bär tanzte.

Hätte ich jetzt die Augen geöffnet, wäre ich wohl für die nächsten Monate auf einen TCA-Blindenhund angewiesen gewesen.

Schreie erklangen um uns herum. Die Monchoppies hatten mit dieser Aktion wohl nicht gerechnet.

Ich öffnete meine Augen wieder, nur um zu sehen, dass vor mir ein Monchoppie von einer Kugelsalve zerrissen wurde. Durch sein kochendes, umherspritzendes Blut riss er zwei weitere seiner Artgenossen mit in den Tod.

Auch ich legte auf eines der Monster an. Eine meiner Spezialkugeln riss seinen Kopf auseinander.

Ich achtete nicht mehr auf das Ende des Monchoppies, denn ein weiteres erschien in meinem Blickfeld. Das große schwarze Vieh hatte es auf meine Partnerin abgesehen und sich bereits auf sie gestürzt.

Ohne viel nachzudenken ergriff ich den Allerwertesten des Kuscheltiermonsters und schleuderte es in die Dunkelheit hinein.

Als ich einen Blick auf Tanja warf, wusste ich, dass ihr glücklicherweise nichts passiert war.

Von irgendwoher erklang Commander Rathbones Stimme. »Sie ziehen sich zurück!«

Tatsächlich, als ich mit meiner Taschenlampe zu dem Geheimgang leuchtete, durch den wir hierher gerollt waren, sah ich die überlebenden Monchoppies, wie sie sich wild schreiend gen Ausgang drängten. Eines der Monster, das schwarze, blieb noch einmal stehen und warf mir einen bösen Blick zu, der wohl so viel wie Bald sehen wir uns wieder, und dann ist die Rache mein heißen sollte. Dann folgte es seinen Artgenossen.

Ich atmete tief durch und drehte mich zu meiner Partnerin um, die sich gerade wieder aufrappelte.

»Sieht aus, als wäre unsere Zeit miteinander doch noch nicht abgelaufen, Jimmy.«

Ich lächelte ihr sanft entgegen. »Darauf werde ich noch zurückkommen.«

Danach atmete ich tief durch.

Doch diesmal war mir die Lust auf eine Zigarre vergangen. Dieser Fall war trotz unseres Überlebens ein Schlag ins Wasser gewesen …

Copyright © 2008 by Raphael Marques