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Im Gespräch mit Stephan Harbort

Stephan Harbort, Jahrgang 1964, ist von Beruf Kriminalhauptkommissar und Deutschlands bekanntester Experte für Serienmorde. Als Autor versteht er es brillant, die eigentlich nüchtern wirkenden Inhalte von Ermittlungsakten, Vernehmungs- und Gerichtsprotokollen in spannende Lektüre umzusetzen. Zudem ist er Fachberater bei TV- und Radio-Dokumentationen und war beratend bei Krimiserien und Kinofilmen wie Hannibal und Zodiac tätig.
Zur Die Nacht der Kommissare am 29. Oktober 2011 wird der deutsche Spezialist für Serienmord und Serienmörder Kriminalhauptkommissar und Sachbuchautor Stephan Harbort einen Vortrag zum Thema Begegnung mit dem Bösen halten. In Vorbereitung dieses Events war es dem Geisterspiegel möglich, mit Stephan Harbort ins Gespräch zu kommen.

Ausführliche Informationen zur Arbeit und zu den Büchern von Stephan Harbort findet man unter www.stephan-harbort.de.


Geisterspiegel: Welche Persönlichkeit steckt in dem Kriminalhauptkommissar, welcher für sich das Recht in Anspruch nimmt, das Phänomen des Serienmörders wissenschaftlich unter die Lupe zu nehmen? Stellen Sie sich unseren Lesern doch bitte einmal vor.

Stephan Harbort: In erster Linie bin ich neugierig und suche nach Herausforderungen. Als ich vor 20 Jahren erstmals mit einer Mordserie zu tun bekam, weckte die Abgründigkeit des Täters mein Interesse. Ich wollte wissen, wie und warum Menschen zu derartigen Gräueltaten fähig sind. Auch heute noch bin ich überrascht, wie vielgesichtig und vielschichtig das Phänomen Serienmord ist.

Geisterspiegel: Was war der Anlass für Sie, sich mit der Thematik Serienmörder auseinanderzusetzen und Ihre gesammelten Erkenntnisse zu veröffentlichen?

Stephan Harbort: Das hat mit einem Kriminalfall zu tun, den ich als junger Kriminalstudent vor 20 Jahren erlebt habe. Zwei junge Männer töteten binnen weniger Monate drei Menschen, um »forciert erben« zu können. Die Kaltblütigkeit, mit der die Täter vorgingen, und die Emotionslosigkeit, mit der sie ihre Gräueltaten einräumten, waren für mich einerseits abstoßend, andererseits machten sie mich aber auch neugierig: Was sind das für Menschen? Wie wird man so? Was wissen wir über diesen Tätertyp? Und als ich feststellte, dass wir über deutsche Serienmörder wenig bis nichts wussten, wurde mir klar: Das ist ein Feld, dass du beackern möchtest. Dass es so etwas wie eine Art Lebensaufgabe werden würde, ahnte ich damals nicht.

Den Impuls, etwas über Serienmörder jenseits der Fachebene zu schreiben, bekam ich von einem Journalisten, der mich für eine TV-Doku interviewte. Er sagte: »Was Sie da machen, das ist so spannend, das müssen sie aufschreiben!« Gero Gemballa, ein damals namhafter Journalist, hat recht behalten. Mittlerweile ist das Publizieren kein Hobby mehr. Und dann ist da noch eine andere Erfahrung: Vielen Wissenschaftlern halte ich vor, dass sie sich in einem Elfenbeinturm verschanzen und ihr Expertenwissen nur in gewissen Kreisen verbreiten. Das ist falsch. Profitieren sollten alle Menschen. Diese Erkenntnis hat mich dazu gebracht, populäre Bücher zu schreiben. Die sehr positiven Rückmeldungen der Leser bestätigen meine Einschätzung: Das Interesse, dem Bösen näher zu kommen und auch solche Dinge verstehen zu wollen, ist berechtigt und groß.

Geisterspiegel: Was unterscheidet Sie von Autoren, die sich dem Genre Krimi/Thriller widmen?

Stephan Harbort: Im Grunde ist es nicht viel, wenn man bedenkt, dass sich viele Krimi-Autoren von meinen Büchern inspirieren lassen. Wir schreiben also über dieselbe Sache, die dunkle Seite des Menschen. Was ich meinen Kollegen neide, ist die literarische Freiheit, die sie haben; ich hingegen bin gefangen in der Historie, da habe ich nicht so viele Variationsmöglichkeiten. Leider!

Geisterspiegel: Wie authentisch können Sie Erkenntnisse aus den persönlichen Kontakten mit Opfern und Tätern in Ihren Werken wiedergeben? Gibt es eine Grenze, die Sie dabei nicht überschreiten dürfen?

Stephan Harbort: Die Grenze zieht das Gesetz. Dort, wo Persönlichkeitsrechte zu beachten sind, muss ich – ein wenig zähneknirschend – Personen und Geschichten so verändern, dass Täter und Opfer als solche nicht mehr erkennbar sind. Da schlagen zwei Seelen in meiner Brust: einerseits die des wahrheitsbegeisterten und um größtmögliche Authentizität bemühten Autors, andererseits die des rechtstreuen Kommissars und Bürgers. Mittlerweile habe ich mich damit aber arrangiert.

Geisterspiegel: Welche Merkmale muss ein Thriller/Krimi aufweisen, damit der Plot Sie überzeugt?

Stephan Harbort: Glaubwürdigkeit und Spannung, auch in dieser Reihenfolge. Wenn mich ein Plot (also der Autor) nicht auf den ersten 20 Seiten überzeugt, lege ich das Buch zur Seite und fasse es nicht mehr an. Ich merke sehr schnell, ob da jemand schreibt, der nicht nur sein literarisches Handwerk beherrscht, sondern auch das Thema seriös recherchiert hat.

Geisterspiegel: Entspricht das in der Belletristik viel benutzte Klischee eines intelligenten Serienmörders, der die Ermittler vor vielfältige Rätsel stellt, der Realität?

Stephan Harbort: Seltenst. Tatsache ist, dass Serienmörder schwer zu überführen sind. Das hat aber nichts mit der Intelligenz der Täter zu tun, sondern mit dem besonderen Umstand, dass gerade diese Täter in der Regel fremde Opfer attackieren. So wird die übliche und erfolgreiche Strategie in Mordfällen ausgehebelt, man sucht den großen Unbekannten – vielfach vergeblich.

Geisterspiegel: Woran erkennen Ermittler, dass sie es mit einem Serienmörder zu tun haben?

Stephan Harbort: Das ist ziemlich schwierig, denn viele Täter lassen eben keine Handschrift, also eine Gleichartigkeit der Taten, erkennen. Mit den Mitteln der DNA-Analyse hat die Polizei in diesem Bereich große Fortschritte gemacht, doch in vielen Serienmord-Fällen entstehen solche Spuren nicht oder werden nicht gefunden. Darüber hinaus gibt es Täter, die ihre Morde so raffiniert ausführen, dass die Taten als solche nicht erkannt werden, z. B. bei Patiententötungen oder wenn Frauen ihre Babys gleich serienweise kurz nach der Geburt töten.

Geisterspiegel: Sie haben sehr viele Gespräche mit Serienmördern geführt, drangen dabei tief in deren Psyche ein. Wie viel Mensch ist Ihnen dabei begegnet?

Stephan Harbort: Die Gespräche mit Serienmördern sind – das gebe ich gerne zu – recht schwierig, aber darin liegt auch der besondere Reiz: Vermeintliche »Monster« auch von einer anderen Seite kennenzulernen, die bisher vernachlässigt worden ist, den Dingen auf den Grund zu gehen, Zusammenhänge zu erkennen, die bisher verborgen geblieben sind. Das schafft in mir mitunter atemlose Spannung. In diesen Augenblicken der Erkenntnis habe ich keine Gefühle im engeren Sinne, ich bin vollkommen fokussiert auf meine Aufgabe. Emotionen kommen erst viel später, wenn alles vorbei ist und ich ins Grübeln und Rekapitulieren komme.

Meine Erfahrungen bei Interviews mit den Tätern sind unterschiedlich: Einige erzählen mir auch intimste Dinge, andere wollen nur über das Wetter palavern. Ich sehe Menschen höhnisch und menschenverachtend grinsen oder lachen, aber auch stottern und weinen. Jede Begegnung verläuft anders, aber stets muss emotionale Schwerstarbeit geleistet werden – auf beiden Seiten. Ich bewerte dabei nicht, ich begutachte nicht, und ich urteile nicht. Ich höre einfach nur zu. Und die Täter ergreifen dann die manchmal sogar erstmalige Gelegenheit, sich alles von der Seele zu reden. Sie wissen meine Unvoreingenommenheit und Aufmerksamkeit nämlich zu schätzen.

Ich bemühe mich darum, in diesen für beide Seiten sehr gefühlsbetonten und schwierigen Situationen Emotionen weitestgehend auszuschließen. Schließlich erwarte ich von meinem Gesprächspartner, dass er eine Art Seelen-Striptease macht. Da darf ich ihm nicht das Gefühl geben, er sei bloßes Mittel zum Zweck. Ich bekomme also nur dann Zugang zu diesen Menschen, wenn ich ihnen ehrlich und vor allem vorurteilsfrei gegenübertrete. Die Täter haben für solche Dinge eine sehr feine Antenne. Wenn ich Objektivität, Unvoreingenommenheit und professionelle Distanz nicht vorleben würde, käme ich keinen Schritt voran. Denn solche Menschen sind nicht selten Meister der Täuschung und Tarnung, denen kann man da nicht mehr viel vormachen, die würden mich relativ schnell durchschauen. Und das würde das Ende all meiner Bemühungen bedeuten. Allerdings muss ich gestehen, dass ich manchmal auch Mühe habe, Verständnis aufzubringen, insbesondere wenn es um den gewaltsamen Tod von Kindern geht – obwohl ich eine solche Opferunterteilung zynisch finde. Hass habe ich bei solchen Begebenheiten noch nie empfunden – Abscheu schon eher.

Geisterspiegel: Und welches Ereignis hat Sie dabei am meisten beeindruckt?

Stephan Harbort: Es war ausgerechnet mein erstes Interview mit einem Serienmörder im Herbst 1997, geführt im Hochsicherheitstrakt der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf. Mir gegenüber saß ein 47-jähriger Mann, gedrungen, muskelbepackt, hochintelligent, eloquent – und durchtrieben. Drei Stunden lang hat er kein einziges Mal gelacht. Der Mann sprang immer wieder von seinem Stuhl auf, demonstrierte mit sichtlichem Vergnügen, wie er die Opfer, unter anderem zwei Frauen aus seinem Bekanntenkreis, umgebracht hatte. Und erzählte auch, dass er gerne noch seinen Vater getötet hätte. Dann versuchte der Mann zu lächeln. Es war nur eine schauderhafte Grimasse, geprägt von Menschenverachtung und Boshaftigkeit; schwer zu beschreiben – man muss es gesehen haben, um nachvollziehen zu können, was ich meine. Ein solches Gesicht habe ich davor und danach nicht gesehen. Ich habe damals gedacht und denke auch heute noch so, das könnte das sein, was man gemeinhin das Böse nennt. Gottlob bleiben solche Erlebnisse die Ausnahme.

Geisterspiegel: Ist es möglich, dass aufgrund traumatischer Ereignisse Opfer selbst zu Serienmördern werden können?

Stephan Harbort: Mir ist kein solcher Fall bekannt, aber ausschließen möchte ich es trotzdem nicht.

Geisterspiegel: Wie kann man sich vor Serienmördern schützen? Gibt es Präventivmaßnahmen?

Stephan Harbort: Grundsätzlich ja. Besonders wichtig ist es, sich von der Illusion der eigenen Unverwundbarkeit zu lösen. Natürlich passieren Gewaltverbrechen erfahrungsgemäß immer den anderen – es gibt aber keinen Erfahrungsgrundsatz, der besagt, dass das auch so bleiben wird. Ich empfehle, die eigenen Alltagsroutinen daraufhin zu überprüfen, ob Gelegenheiten vorhanden sind, die für solche Täter besonders attraktiv sind. Bei eigenen Untersuchungen hat sich herausgestellt, dass auch Serienmörder auf spezifisches Opferverhalten mit Rückzug reagieren, beispielsweise, wenn sich das Opfer nicht wie erwartet (devot, ängstlich) verhält, sondern die Initiative ergreift. Leider gibt es da keinen Königsweg.

Geisterspiegel: Sind Serienmörder therapierbar?

Stephan Harbort: Das kann man pauschal nicht sagen. Entscheidend sind in erster Linie zwei Faktoren: Therapiefähigkeit und Therapiewilligkeit. Ich habe Täter kennengelernt, die nicht mehr in Freiheit kommen dürfen, weil sie ihre dunklen Fantasien nicht in den Griff bekommen; ich hatte aber auch mit Tätern zu tun, die nach sehr langen Haftstrafen jetzt ein straffreies Leben führen – es kommt also auch bei Serienmördern auf den Einzelfall an, der allerdings besonders gewissenhaft zu prüfen ist.

Geisterspiegel: Das Team von Geisterspiegel.de bedankt sich bei Ihnen für die Beantwortung der Fragen.


Quellen:

Copyright © 2011 by Wolfgang Brandt