Deutsche Märchen und Sagen 186
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
249. Von einem verborgenen Schatz zu Ypern
Im Jahre 1488 kam ein Maurer, Namens Leo van Thielt, gebürtig von Audenaerde, nach Ypern, um dort Arbeit zu suchen. Da er aber keinen Meister dort finden konnte, so war er gezwungen, sein Stückchen Brot von Tür zu Tür sich erbetteln zu müssen. So kam er denn unter anderen auch an ein Haus, in dem eine geizige alte Jungfer ohne Magd wohnte, und bat diese Jungfer um ein Almosen. Sie fragte ihn, wer und woher er wäre und welch ein Handwerk er betreibe. Er sagte ihr, er wäre ein Maurer von Audenaerde und müsse betteln, weil er kein Brot habe.
Als die Jungfer hörte, dass er ein Maurer wäre, ließ sie ihn erfreut hereinkommen und sprach: »Wollet Ihr etwas für mich mauern und in Eurem Leben keinem Menschen etwas davon sagen, dann will ich Euch gut bezahlen.«
Sagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg 39
Abt Sebaldus von Lehnin, ein christlicher Märtyrer
Die Wirksamkeit der Verkündiger der christlichen Lehre war hier in der Mark, wie fast überall, nicht gleich eine gefahrlose. Meist nur äußerlich fügten sich zunächst die Bewohner, im Inneren lebte noch immer der heidnische Sinn, der auf die fremden Ankömmlinge, welche die neue Lehre brachten, scheel sah. Dies erfuhr auch das Kloster Lehnin.
Besonders waren es die Bewohner des nahen Dorfes Nahmitz, welche ihm feindlich gesinnt waren, und wenn die Männer zu Hause sich befanden, durften die Mönche sich nicht im Dorf sehen lassen. Deshalb suchten sie sich die Zeit aus, wenn die Männer auf dem Feld oder beim Fischfang waren, um im Dorf einzusprechen und die Frauen und Kinder zu gewinnen.
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Sagen der mittleren Werra 82
Von der Eckenzelle, dem Bonifatiusfelsen und dem Brandgarten am Altenstein
Auch in der nächsten Umgebung des Schlosses Altenstein gehen Sage und älteste Geschichte Hand in Hand. So geht von dem Eckenzeller Tal, welches sich dicht am Fuße des Altensteins aus dem Schweinaer Grund gen Norden in das Gebirge hinaufzieht, die Sage, dass in der Nähe des Wasserfalles am Fuße des Windsberges eine Klosterzelle, die Eckenzelle, gestanden habe, in welcher der Gründer derselben, der treue Eckart, sein Leben in stiller Waldeinsamkeit beschloss. Weiter hinauf, nach der Ruhlaer Straße hin, lag das Gut Ecken- oder Reckenzell, wo noch 1447 Gyseler und Rüdiger als Hennebergische Vasallen saßen.
Auf derselben Terrasse, auf der Schloss Altenstein gelegen, liegt diesem etwa in südöstlicher Richtung gegenüber der Bonifatiusfelsen, von welchem der bekannte Apostel der Thüringer dem Volk das Christentum predigte. Reste einer Klause, die sich in früheren Zeiten am Felsen noch vorfanden, führten den Namen Bonifatiusturm, weil hier der Apostel der Sage nach eine Zeit lang als Einsiedler wohnte.
Zwischen dem Bonifatiusfelsen und dem Schloss sah man noch vor mehreren Jahrzehnten einen Obst- und Gemüsegarten, welcher der Weiterlesen
Deutsche Märchen und Sagen 185
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
247. Das Knäbchen im Schnee
Ein Zisterziensermönch ritt eines Winters, als tiefer Schnee überall lag, in Brabant mit einem Klosterdiener über Feld; den Diener schickte er nach einiger Zeit in ein nahes Dorf, trabte so allein daher. Da sah er plötzlich einen ungefähr dreijährigen Knaben von unendlicher Schönheit vor sich im Schnee liegen, und der jammerte und weinte sehr. Mitleidig stieg der gute Mönch vom Pferd, nahm das Knäbchen in seine Arme und fragte es unter heißen Tränen, was ihm denn sei? Das Kind aber schwieg und tat nichts als weinen.
Da fragte der Mönch schluchzend: »Hast du denn deine Mutter verloren? Wo ist diese?«
Auf die Frage brach das Knäbchen in noch stärkeres Weinen aus und rief: »Ach, wehe mir! Warum sollte ich nicht weinen und jammern! Du siehst doch wohl, wie verlassen und allein ich hier in Kälte und Schnee sitze, da keiner ist, der sich meiner annähme und Weiterlesen