Das unheimliche Buch – Das Gespenst
Das unheimliche Buch
Herausgegeben von Felix Schloemp
Knut Hamsun
Das Gespenst
Mehrere Jahre meiner Kindheit verbrachte ich bei meinem Onkel auf dem Pfarrhof im Nordland. Es war eine harte Zeit für mich, viel Arbeit, viele Prügel und selten oder niemals eine Stunde zu Spiel und Vergnügen. Da mein Onkel mich so streng hielt, bestand allmählich meine einzige Freude darin, mich zu verstecken und allein zu sein. Hatte ich ausnahmsweise einmal eine freie Stunde, so begab ich mich in den Wald, oder ich ging auf den Kirchhof und wanderte zwischen Kreuzen und Grabsteinen herum, träumte, dachte und unterhielt mich laut mit mir selbst.
Der Pfarrhof lag ungewöhnlich schön, dicht bei der Glimma, einem breiten Strom mit vielen großen Steinen, dessen Brausen Tag und Nacht, Nacht und Tag ertönte. Die Glimma floss einen Teil des Tags südwärts, den übrigen Teil nordwärts, je nachdem Flut Weiterlesen
Das unheimliche Buch – Vorwort
Das unheimliche Buch
Herausgegeben von Felix Schloemp
Vorwort
In einem ihrer zahllosen Wochenbetten gebar die Mutter Fantasie zwei Brüder.
Man konnte nichts Ungleicheres finden als diese beiden. Um die Wiege des einen war beständige Heiterkeit, ein gleichmäßiger Frohsinn, Lust am Leben, die Sonnenstrahlen, die ihn trafen, lachten, die Wärterinnen lachten und sogar die Milchflasche wurde ganz breit vor Grinsen. Über dem Bettchen des anderen aber lagen Schatten, die Luft um ihn schien von seltsamen Gestalten belebt, und allerlei unerklärliche Vorkommnisse deuteten auf geheimnisvolle Wirkungen düsterer Sterne. Als die Brüder groß und stark geworden waren und ins Leben traten, blieben ihnen ihre Mächte treu. Der lichte Bruder behielt die Gabe, alles, selbst das Schmerzliche, in große Zusammenhänge verklärend einzuordnen, der düstere Bruder aber machte alles um sich stumm vor Spannung und Erwartung eines Ungewöhnlichen. Er ließ Zusammenhänge eben ahnend erkennen, aber sie waren dunkle Brücken Weiterlesen
Das Gespensterbuch – Achte Geschichte
Das Gespensterbuch
Herausgegeben von Felix Schloemp
Mit einem Vorwort von Gustav Meyrink
München 1913
Rudyard Kipling
Meine selbsterlebte, wahre Geistergeschichte
Diese Geschichte handelt ausschließlich von Geistern. Es gibt in Indien Geister, die die Form von dicken, kalten, klebrigen Leichnamen annehmen und sich in Bäumen nahe der Straße verbergen, bis ein Reisender vorbeikommt. Dann fallen sie ihm auf den Hals und bleiben da. Es gibt auch furchtbare Geister von Frauen, die im Kindbett gestorben sind. Diese streichen in der Abenddämmerung die Wege entlang oder verbergen sich in den Getreidefeldern nahe den Dörfern und rufen verführerisch. Aber ihrem Ruf zu folgen, bringt Tod in dieser Welt und in der nächsten. Ihre Füße sind nach rückwärts gekehrt, sodass alle nüchternen Männer sie erkennen können. Es gibt auch Geister kleiner Kinder, die in Brunnen geworfen worden sind. Diese halten sich an Brunnenmauern und an den Rändern Weiterlesen
Das Gespensterbuch – Siebente Geschichte – Teil 4
Das Gespensterbuch
Herausgegeben von Felix Schloemp
Mit einem Vorwort von Gustav Meyrink
München 1913
Die Spinne
Von Hanns Heinz Ewers
4. Teil
Donnerstag, 17. März
Ich bin in einer merkwürdigen Aufregung. Ich spreche mit keinem Menschen mehr; selbst Frau Dubonnet und dem Hausknecht sage ich kaum mehr Guten Tag. Kaum lasse ich mir die Zeit, um zu essen. Ich mag nur noch am Fenster sitzen, mir ihr zu spielen. Es ist ein aufregendes Spiel, wirklich, das ist es.
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Das Gespensterbuch – Siebente Geschichte – Teil 3
Das Gespensterbuch
Herausgegeben von Felix Schloemp
Mit einem Vorwort von Gustav Meyrink
München 1913
Die Spinne
Von Hanns Heinz Ewers
3. Teil
Montag, 7. März
Ich bin nun überzeugt, dass ich nichts entdecken werde und neige der Ansicht zu, dass es sich bei den Selbstmorden meiner Vorgänger nur um einen seltsamen Zufall gehandelt hat. Ich habe den Kommissar gebeten, nochmals in allen drei Fällen eingehende Nachforschungen veranlassen zu wollen, ich bin überzeugt, dass man schließlich doch die Gründe finden wird. Was mich betrifft, so Weiterlesen