Deutsche Märchen und Sagen 157
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
203. Wagen in der Luft
Ein gewisser Mann wohnte in der Nähe eines Schlosses, von dem man sich erzählte, dass da jegliche Nacht ein Wagen rundreite. Eines Nachts konnte der Mann nicht schlafen und dachte bei sich selbst: »Es ist nun gegen zwölf Uhr, ich will aufstehen und sehen, ob ich den Spukwagen nicht antreffe.« Mit den Worten verließ er seine Kammer und sein Haus und schritt dem Schloss zu. Ehe er noch da angekommen war, hörte er plötzlich in der Luft ein Gewieher, ein Gefluche, Geweine, Geklatsche und Gerammel, als ob die ganze Hölle losgelassen gewesen Weiterlesen
Deutsche Märchen und Sagen 156
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
202. Streit um die Sonne
Ein wunderbares Gesicht hatte man am 5. Dezember des Jahres 1577 in dem Städtchen Altorf bei Tübingen in Baden-Württemberg und in der Umgegend gesehen. Die Sonne ging nämlich nicht wie sonst klar auf, sondern ganz dunkelgelb und trüb. Ungefähr wie ein Vollmond sah sie aus und man konnte recht gut hineinschauen, ohne sich die Augen zu verblenden. Gleich darauf wurde sie so sehr verdunkelt, als ob eine Sonnenfinsternis gewesen wäre und wurde rot wie Blut, sodass man sie unmöglich wiedererkennen konnte. Nicht lange danach sah man Weiterlesen
Deutsche Märchen und Sagen 155
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
201. Der Brand von Ronse
An einem nebligen Tag des Jahres 1519 kam eine Frau, die in der Pfefferstraße zu Ronse wohnte, an die Tür, um einen Kessel voll schmutzigen Wassers in die Gosse zu gießen. Da sah sie von Weitem einen Menschen von sonderbarem Äußern sich nähern, der die stillen und einsamen Straßen durchschritt und die Häuser von oben bis unten beschaute, als wäre Wunder was daran zu sehen gewesen. Vor der Frau blieb er endlich stehen und glotzte sie dermaßen an, dass ihr der kalte Angstschweiß auf die Stirn trat. Sie goss in ihrer Not das Wasser schnell aus Weiterlesen
Deutsche Märchen und Sagen 154
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
200. Pest zu Trier
Unter dem Bischof Nicetius regierte die Pest auf eine schreckliche Weise in Trier. Das Volk lag Tag und Nacht auf den Knien und betete zu Gott um Abwendung des Übels, aber der Himmel schien lange taub zu sein gegen diese Gebete. Endlich doch erhörte er sie.
Eines Nachts hörte man ein starkes Geräusch, einem Donnerschlag gleich, von der Brücke her. Alle Einwohner erhoben sich in Angst und Schrecken und aller erster Gedanke war, ihr letztes Stündlein sei gekommen.
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