Deutsche Märchen und Sagen 166
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
218. Nixenfrau
Auf einer Brücke zu Brügge ist es nicht richtig. Es geht da um und mancher, der abends da vorbeikam, hat schon sonderbare Dinge erfahren. So kam einmal ein ehrbarer Bürger, der nur ein bisschen angetrunken war, gegen zwölf Uhr und wollte über die Brücke. Auf der Mitte fand er ein Weibsbild, die dasaß und, ich weiß nicht was, tat. Der brave Mann wollte auf sie zugehen, aber das bekam ihm schlimm, denn sie gab ihm einen harten Backenstreich und sprang ins Wasser, wo sie verschwand. Man sagt, dass es die Frau eines Wasserteufels gewesen sei.
Deutsche Märchen und Sagen 165
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
216. Spuk am grünen Teich
Am grünen Teich an der Straße, die zu dem Saß van Gent führt, hörte man alle Nächte jemand seufzen und kärmen und die Vorübergehenden fragen: »Wo muss ich liegen? Wo muss ich liegen?«
Da kam einmal ein Trunkenbold vorbei, der hörte auch das Gerufe und antwortete lachend: »Ei, so leg dich auf des Teufels Nacken!«
Da brauste es plötzlich in der Luft und gleich darauf war es ganz still. Seit der Zeit hat man die Stimme nicht mehr gehört.
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Deutsche Märchen und Sagen 164
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
214. Gespenst erscheint dem Attila
An dem Kloster der Minnen-Brüder zu Augsburg wird an einem Turm ein Gemälde gesehen, welches eine Geschichte vorstellt, die zu Augsburg durch eine mündliche Erzählung von alten Zeiten hergebracht ist. Als nämlich Attila, der Hunnenkönig, mit seiner Armee bei Augsburg über den Lech gehen wollte, ist eine Frau in fürchterlicher Gestalt und auf einem Pferd reitend ihm entgegengestürzt und hat ihm mit grimmiger Stimme dreimal zugerufen: »Zurück Attila! Zurück Attila! Zurück Attila!« Dadurch war er dermaßen erschrocken, dass er auf der Stelle mit seiner Armee umkehrte.
Deutsche Märchen und Sagen 163
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
213. Die weiße Frau auf dem Schloss Neuhaus
Die weiße Frau hatte sich zumeist und vor allem gezeigt in den Schlössern der Herren von Rosenberg und Neuhaus. In dem letzteren Schloss sah man sie einmal gegen Mittag aus dem Fenster eines wüsten, unbewohnten Turmes schauen, zu dem Niemand mehr hinaufklettern konnte, weil die hölzernen Treppen vor Alter mürbe waren. Sie war weiß gekleidet, hatte auf dem Haupt einen weißen Witwenschleier mit weißen Bändern, war lang von Person und eines sehr sittsamen Äußeren. Als nun jeder auf dem Markt mit Fingern nach ihr wies, wich sie zwar nicht, wurde aber immer kleiner und kleiner und verschwand endlich ganz. Man sagt, dass sie so lange Weiterlesen