Deutsche Märchen und Sagen 55
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
56. Seele als Vogel
Nach der Schlacht von Walchern, in der die Fläminge vom Grafen Florenz von Holland und den Seeländern geschlagen wurden, ging eine sehr reiche und fromme Matrone auf dem Schlachtfeld umher, um den Verwundeten Hilfe und den Sterbenden Trost zu bringen. Da hörte sie sich plötzlich rufen, schritt dem Ort zu, von woher die Stimme erschallte, und sah, dass es ein schwer Verwundeter war. Sie hob sein Haupt und legte es in ihren Schoß, ermahnte ihn, an Gott und das Jenseits zu denken, und redete ihm mit viel frommen Worten zu.
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Deutsche Märchen und Sagen 54
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
55. Kaninchen auf dem Kirchhof
Ein Mann aus Kortryk kam abends spät noch über den Kirchhof und sah da ein schönes, weißes Kaninchen herumhüpfen. Ah, dachte er bei sich selbst, das Tierchen will ich mir fangen. Es ist etwas für Sonntag. Er nahm seinen Hut in die Hand und
lief hinter dem Kaninchen bis an die Kirchtür. Da schmiss er den Hut darauf, sodass es drunter saß.
Deutsche Märchen und Sagen 53
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
53. Das weiße Kaninchen zu Dendermonde
Auf dem Wällchen (Vestje) zu Dendermonde wohnte vor alten Zeiten eine Milchfrau, die ihren Kunden allzeit getaufte Milch, das ist Milch mit Wasser vermischt, lieferte. Die Bäuerin starb sonder Beichte und seitdem schwärmte ihr Geist jede Nacht in Gestalt eines weißen Kaninchens um, welches rief:
Ik heb myn ziel aen den duivel verkocht
Omdat myn zoete melk niet en dogt.
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Deutsche Märchen und Sagen 52
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
52. Der schwere Hund zu Lübeck
Mitte Oktober 1687 ließ sich in eines Schiffers Haus zu Lübeck ein Gespenst vernehmen, welches die Gläser in Stücke schlug, den Leuten nachts die Decken vom Leib und das Bett unterm Leib wegrückte und viel andere Possen trieb, ohne jedoch jemanden ein Leid zuzufügen. Verschiedene Bürger und Fremde kamen in das Haus, konnten aber nichts sehen.
Nur einem kleinen Mädchen war der Spuk sichtbar, und es rief stets: »Sieh, sieh, da geht es und glotzt mich mit Weiterlesen