Adventskalender 03. Dezember 2014
Verlosungsaktion Die Zeitmaschine / The Time Machine
Der Zeitreisende (denn so wollen wir ihn der Bequemlichkeit halber nennen) war im Begriff, uns eine geheimnisvolle Sache darzulegen. Seine grauen Augen funkelten und blitzten, und sein sonst so blasses Gesicht war lebhaft gerötet. Im Kamin loderte ein helles Feuer, und der sanfte Schimmer der in Silberleuchtern brennenden Kerzen spiegelte sich in den Sektperlen, die in unseren Gläsern aufstiegen und vergingen. Unsere Fauteuils – von ihm selbst entworfen – waren keine gewöhnlichen Sitzmöbel, sondern schienen uns zärtlich zu umfangen, und es herrschte jene entspannte Nachtischatmosphäre, in der die Gedanken beflügelt und frei von den Fesseln strenger Logik dahinschweben. Und in dieser Stimmung sprach unser Gastgeber – wichtige Stellen mit erhobenem Zeigefinger unterstreichend –, während wir dasaßen und in Muße den Ernst bewunderten, mit dem er uns sein neues Paradoxon (denn dafür hielten wir es) und dessen Tragweite erklärte.
»Sie müssen mir aufmerksam zuhören. Ich werde eine oder zwei Ideen, die fast allgemein anerkannt sind, widerlegen müssen. Die Geometrie, zum Beispiel, die man Sie in der Schule gelehrt hat, beruht auf einer völlig falschen Voraussetzung.«
»Ist das nicht ein ziemlich starkes Stück, das Sie uns da gleich zu Beginn vorsetzen?«, meinte Filby, ein streitsüchtiger Mann mit rotem Haar.
»Ich möchte nicht von Ihnen verlangen, irgendetwas ohne vernünftigen Grund anzunehmen, doch Sie werden mir Ihre Zustimmung nicht versagen können. Natürlich wissen wir, dass eine mathematische Linie, eine Linie der Stärke Null, in Wirklichkeit nicht existiert. Das hat man Sie doch gelehrt? Ebenso wenig existiert eine mathematische Fläche. Diese Dinge sind bloße Abstraktionen.«
»Das stimmt«, sagte der Psychologe.
»Ebenso wenig kann ein Würfel, wenn er nur Länge, Breite und Höhe hat, tatsächlich existieren.«
»Hier muss ich widersprechen«, sagte Filby. »Natürlich kann ein fester Körper tatsächlich existieren. Alle Objekte der Wirklichkeit …«
»So denken die meisten Leute. Aber warten Sie einen Augenblick. Kann ein momentaner Würfel existieren?«
»Versteh ich nicht«, sagte Filby.
»Gibt es einen Würfel, der keinerlei zeitliche Dauer hat?«
Filby wurde nachdenklich. »Es ist klar«, fuhr der Zeitreisende fort, »dass jeder tatsächlich vorhandene Körper sich in vier Dimensionen ausdehnen muss: in Länge, Breite, Höhe und – in Dauer. Aber infolge einer angeborenen Unvollkommenheit unserer menschlichen Natur sind wir, wie ich Ihnen sogleich darlegen werde, geneigt, diese Tatsache zu übersehen. Tatsächlich gibt es vier Dimensionen, von denen wir drei die Ebenen des Raumes nennen, und eine vierte, die Zeit. Es besteht aber die Tendenz, eine unbegründete Unterscheidung zwischen den erstgenannten drei Dimensionen und der Letzteren zu machen, weil sich unser Bewusstsein – wenn auch mit Unterbrechungen – in dieser vierten Dimension in einer Richtung, vom Beginn bis zum Ende unseres Daseins, bewegt.«
»Das«, sagte ein sehr junger Mann, der sich krampfhaft bemühte, seine Zigarre über einer Kerzenflamme neu zu entzünden, »das … ist tatsächlich völlig klar.«
»Nun ist es aber wirklich bemerkenswert«, fuhr der Zeitreisende, mit einem leichten Anflug von Heiterkeit, fort, »dass dies so hartnäckig übersehen wird. Genau das nämlich ist mit der ›vierten Dimension‹ gemeint, obwohl manche Leute, die davon reden, gar nicht wissen, dass sie von der vierten Dimension sprechen. Es ist nur eine neue Betrachtungsweise der Zeit. Der einzige Unterschied zwischen der Zeit und irgendeiner der drei Dimensionen des Raumes besteht darin, dass unser Bewusstsein sich in ihr bewegt. Nur sind manche Narren an diese Idee von der falschen Seite herangegangen. Sie haben doch alle gehört, was man über diese vierte Dimension behauptet?«
»Ich nicht«, sagte der Bürgermeister aus der Provinz.
»Es ist einfach so: Der Raum, wie unsere Mathematiker ihn auffassen, dehnt sich angeblich in drei Dimensionen aus, die man mit Länge, Breite und Höhe bezeichnen kann, und ist immer bestimmbar in Bezug auf diese drei Ebenen, von denen jede im rechten Winkel zu den beiden anderen steht. Einige philosophische Köpfe aber haben sich gefragt: warum gerade drei Dimensionen – und nicht noch eine vierte, im rechten Winkel zu den anderen drei? –, und sie haben sogar versucht, eine vierdimensionale Geometrie zu entwerfen. Professor Simon Newcomb hat dies der Mathematischen Gesellschaft von New York vor ungefähr einem Monat dargelegt. Es ist bekannt, wie man auf einer Fläche, die ja nur zwei Dimensionen hat, die Figur eines dreidimensionalen Körpers räumlich darstellen kann; in analoger Weise glauben sie, könnte man mittels dreidimensionaler Modelle einen vierdimensionalen Raum darstellen – falls das Problem der Perspektive sich meistern lässt. Verstehen Sie?«
»Ich glaube, ja …«, murmelte der Bürgermeister und verfiel, mit gerunzelten Brauen, in einen Zustand der Selbstversenkung, während seine Lippen sich bewegten, als wiederholten sie mystische Worte. »Ja, jetzt wird es mir klar …«, sagte er nach einer Weile und sah vorübergehend fast heiter drein.
»Also, ich gestehe Ihnen gerne, dass ich schon seit einiger Zeit an dieser vierdimensionalen Geometrie arbeite. Einige meiner Resultate sind merkwürdig.
Zum Beispiel habe ich hier das Bild eines Mannes im Alter von acht Jahren, dann mit fünfzehn, mit siebzehn, mit dreiundzwanzig und so weiter. Alle diese Bilder sind in der Tat Schnitte, das heißt dreidimensionale Projektionen eines vierdimensionalen Daseins. Das ist eine feststehende und unleugbare Tatsache.«
»Die Wissenschaft«, fuhr der Zeitreisende nach einer Pause fort, die zum besseren Verständnis des Vorhergesagten beitragen sollte, »die Wissenschaft weiß sehr wohl, dass Zeit eigentlich nur eine Form von Raum ist. Hier haben Sie ein allgemein verständliches wissenschaftliches Diagramm: eine Wetterkurve. Diese Linie, die ich mit meinem Finger nachziehe, zeigt den Ausschlag des Barometers. Gestern stand es noch so hoch, in der Nacht ist es gefallen, heute früh wieder etwas angestiegen und seither langsam weiter bis hierher. Das Quecksilber hat diese Linie doch sichtlich nicht innerhalb einer der drei allgemein anerkannten Dimensionen des Raumes gezogen? Und doch entstand diese Linie, woraus wir schließen müssen, dass sie entlang der Zeitdimension gezogen wurde.«
»Aber«, sagte der Arzt, den Blick starr auf ein Stück Kohle im Kamin geheftet, »wenn Zeit tatsächlich nur eine vierte Dimension des Raumes ist, warum wird und wurde sie dann immer als etwas anderes angesehen? Und warum können wir uns innerhalb der Zeit nicht so frei bewegen wie in den anderen Dimensionen des Raumes?«
Der Zeitreisende lächelte. »Sind Sie so sicher, dass wir uns im Raum frei bewegen können? Nach rechts und links, vorwärts und rückwärts können wir uns wohl ziemlich ungehindert fortbewegen, und das haben die Menschen auch seit jeher getan. Ich gebe also zu, dass wir uns in zwei Dimensionen frei bewegen können. Aber wie steht es mit aufwärts und abwärts? Hier setzt uns die Schwerkraft Grenzen.«
Grenzen setzen wir uns nicht und verlosen heute ein besonderes Exemplar der Story von H. G. Wells. Es handelt sich dabei um ein von Lewis Helfand adaptierten und von Rajesh Nagulakonda illustrierten Comic von Campfire, Neu Delhi, Indien.
Die Verlosung ist beendet. Unser Glückswichtel hat den Gewinner ermitteln.
Vielleicht verbergen sich hinter den Türchen noch weitere Gewinn- und Verlosungsaktionen? Schaut einfach in unseren Adventskalender!
Vielen Dank für die Teilnahme sagt das Team von www.geisterspiegel.de