Al Capone Band 7
Joe Carbeeter hat in seinem Leben immer nur Unglück gehabt. Vor Kurzem sind seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Eine Lehre zum Automechaniker musste er aufgrund einer schweren Krankheit abbrechen und wurde dann aufgrund seines langen Krankenhausaufhaltes auch noch morphiumsüchtig. Seit geraumer Zeit kann sich der 31-jährige Mann noch mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten, wird aber immer wieder rückfällig und gibt seinen Lohn für seine Sucht aus. Doch nun ist alles noch viel schlimmer geworden. Der vom Unglück gebeutelte Mann wandert durch das nächtliche Chicago, wird bei seinen Dealern verhöhnt und verjagt, von einer Straßengang bedroht und von einer Prostituierten verhänselt. Verzweifelt bricht er umständlich in ein Lebensmittelgeschäft ein, stiehlt eine Flasche Kognak, drei Packungen Zigaretten und eine Hartwurst. Bei der Flucht aus dem Geschäft schießt er den jungen Sohn der Händlerfamilie an, kann aber mit einem Taxi flüchten. Da ihm das Geld fehlt, den Fahrer zu bezahlen, erschlägt Joe Carbeeter den armen Mann mit der Flasche und versteckt die Leiche im Park. Kaum zuhause angekommen wartet die nächste Überraschung auf den Autoschlosser: Sein alter herzkranker Onkel ist in die Stadt gekommen, um sich von einem Spezialarzt untersuchen zu lassen. Carbeeter klaut dem alten Mann die Geldbörse und stielt, um eine neue Arbeitsstelle zu finden, einem Freund die Arbeitspapiere, die er manipuliert, sodass sie ihn als ausgebildeten Automechaniker ausweisen können. Immer weiter gerät der Mann in den kriminellen Sumpf, denn als sein Onkel einen Herzanfall erleidet und ihm erzählt, dass auf einem der geklauten Geldscheine die Nummer des Herzarztes notiert war, holt der Neffe diesen Heiler unter Waffengewalt herbei, nur um ihn nach erledigter Arbeit irgendwo am Straßenrand in seinem Auto zu erschießen …
FBI-Agent Eliot Ness versucht unterdessen den Mörder des Taxifahrers zu finden. Zufällig kauft er sich, nachdem er gerade einen Rauschgiftschmuggler dingfest gemacht hat, in dem Lebensmittelladen, in den Joe Carbeeter des Nachts eingestiegen war, etwas zu essen und belauscht ein Gespräch über den Einbruch. Ein erster Verdächtiger entpuppt sich als Erpresser, ein potentieller Zeuge hat Selbstmord begangen. Ness fallen die jüngst ausgeführten Renovierungsarbeiten im Lebensmittelgeschäft auf. Die Spuren zu den Handwerkern ergeben einen Unterschlagungstatbestand, und dann erst die Spur zu dem Hilfsarbeiter Carbeeter, der bei der Renovierung des Lebensmittelladens mitgeholfen hatte und daher die Gegebenheiten vor Ort kannte. Dieser hat sich inzwischen seinem Onkel anvertraut, doch der liegt jetzt im Krankenhaus. Ness stellt Carbeeter in seiner Wohnung und verfolgt ihn aufs Dach, wird kurz ohnmächtig und muss schließen, dass sein Verdächtiger vom Dach gestürzt ist. Man findet tatsächlich eine zerschmetterte Leiche, bis sich herausstellt: Der Tote ist ein Selbstmörder, der zufällig an derselben Stelle in den Tod ging, an der Ness seinen Verdächtigen vermutete, gesprungen zu sein. Dann aber kann Ness Carbeeter endlich bei einer Nachbarin stellen und erschießt ihn in Notwehr.
Puh, was für ein verzwickter Plot! Der siebte Band der Al Capone-Serie ist so eine Art »Best Of« der stilistischen Kniffe des Autors Al Canns. Fast die Hälfte des Romans widmet sich dem Täter Joe Carbeeter und wie er wurde, was er ist. Dabei zeichnet Al Cann ein wunderbar düsteres Bild von Chicago. An jeder Ecke lauert das Verbrechen und jeder Verdächtige hat irgendwie Dreck am Stecken. Eliot Ness kriegt sie alle und muss sich einmal mehr auf seinen beinahe übersinnlichen Instinkt verlassen. Das ellenlange Soziogramm des Täters, die vielen nebenbei aufgedeckten Verbrechen und die dazugehörigen Personen, unverschämtes Ermittlungsglück, ein hochgradig konstruierter Plot und Zufälle en masse – hier findet man all die Zutaten vereint, die bis jetzt verteilt auf die einzelnen Romane und in den bisher erschienenen Bänden die Geschichten von Al Capone ausmachten. Auch die Anspielungen an den größten Gangsterboss gibt es wieder zuhauf, sie sind immer noch sinnlos und nerven, legitimieren keinesfalls die Umbenennung der Serie von MR. CHICAGO (original) in AL CAPONE (Nachdruck). Schön aber, wie hier auf den kommenden Roman Bezug genommen wird: Eliot Ness und seinen Mannen ermitteln bereits in diesem Band gegen Billy Billok, der die Hauptrolle im nächsten Roman spielen wird, und auch die vorangegangenen Taten Eliot Ness kommen wieder einmal zur Sprache. Langsam gewöhnt man sich an den Geschichtenstil Al Canns und an seine Hauptfigur. Mehr resigniert wartet man auf kriminalistisch anspruchsvolle Plots und keinen Zufallsreigen, aber wenigstens reagiert Eliot Ness hier auch einmal wie der Leser: Als er anstatt Carbeeters die Leiche des Selbstmörders an der besagten Stelle findet, flucht er: »Soviel Zufall kann es doch gar nicht geben!« Recht hat er. Kann es auch nicht. Aber in Al Capone schon. Mit Sicherheit.
Copyright © 2007 by Sascha Vennemann