Sherlock Holmes und der Fall 666
Marion Minks
Baker Street Tales 4
Sherlock Holmes und der Fall 666
Historischer Krimi/Novelle, E-Book, Arunya Verlag, Köngen, November 2016, 57 Seiten, 2,99 EUR, Cover- und Innengrafik, Covergestaltung: Shikomo
www.arunya-verlag.de
[…] Viele Jahre hatte ich heimlich davon geträumt, Seite an Seite mit meinem berühmten Bruder ein Verbrechen aufzuklären. Auch wenn mich der Gedanke an Felix Masons Leichnam bis ins Mark erschauern ließ, diese einmalige Gelegenheit würde ich mir um nichts in der Welt entgehen lassen. […]
Bereits über 60-jährig trat der Witwer Holmes senior, Vater von Mycroft und Sherlock, noch einmal mit einer sehr viel jüngeren Frau in den Stand der Ehe, aus der ein weiterer Sohn, Sherrinford Holmes, hervorging. Mehrere unglückliche Umstände, Missverständnisse und unterschiedliche Wesensarten führten nach dem Tod des Vaters zur Entfremdung der Siefmutter und der älteren Söhne. Doch gerade diese Abneigung und der strikte Ausschluss der Stiefbrüder aus seinem weiterem Leben führt zu einem gesteigerten Interesse des jungen Sherrinford besonders für seinen berühmten Stiefbruder Sherlock. Mycrofts Beileidsbekundung zum Tod seiner Mutter ist schließlich der Auslöser für den inzwischen studierten Sherrinford, aktiv den Kontakt zu seinen Halbbrüdern zu suchen.
Ein erstes Zusammentreffen in den Räumen Mycrofts in der Pall Mall gestaltet sich letztendlich für beide Seiten sehr angenehm.
Plötzlich erhält Sherrinford, der als Psychoanalytiker tätig ist, den postalischen Hilferuf seines Patienten Felix Mason, in dem von Erpressung die Rede ist. Sherrinford vermutet hinter Masons Schwierigkeiten den Okkultisten Aleister Crowley, mit dessen Orden Felix bereits einige Zeit sympathisiert. An Masons Haus in Chichester angekommen, finden die Brüder Holmes nur noch seine Leiche vor. Ein Selbstmord, wie es scheint.
[…] Die Straße war staubig und die tiefen Spuren, die verschiedene Fahrzeuge und Fußgänger zuletzt auf dem lehmig weichen Boden hinterlassen hatten, lagen wie getrocknete Gipsabdrücke auf der Fahrbahn. So genau ich auch hinsah, für mich war es nichts als ein Wirrwarr von Linien und einander überlagernder Fußabdrücke. Deshalb begnügte ich mich damit, meinem Bruder zu beobachten, an dessen Zügen ich sehr wohl erkannte, dass zumindest er diese Spuren deuten konnte. […]
Marion Minks siedelt ihre Sherlock-Holmes-Novelle in der Spätphase des Detektivs an, als er die Räume der Baker Street 221b – dort wohnt nun Sherrinford Holmes – bereits gegen einen Wohnsitz auf dem Land eingetauscht hat. Auch Watson hat sich ins Privatleben zurückgezogen und spielt lediglich eine Gastrolle; die Aufgabe des Chronisten hat Sherrinford übernommen. Hauptverdächtig im Fall des Mordes an Felix Mason, an einen Selbstmord will von Anfang an niemand glauben, ist zuerst natürlich der berüchtigte Okkultist Aleister Crowley, der möglicherweise seine Geldquelle versiegen sah. Auch dieser Verdacht zerschlägt sich, und des Rätsels Lösung erweist sich, nachdem Sherlock und Sherrinford im Umfeld des Toten einige Befragungen durchgeführt haben, als sehr viel ganz und gar nicht-okkult. So zeigt sich der Fall 666 am Ende als recht simpel und die Beteiligung des prominenten Okkultisten Aleister Crowley als völlig bedeutungslos. Viel interessanter gestaltet sich dagegen die Schilderung der Holmes’schen Familienverhältnisse, die Marion Minks auf sympathische Art porträtiert und so auch den Namen Sherrinford Holmes (A. C. Doyle wollte den Detektiv zunächst so benennen, bevor er sich für Sherlock entschied. Entsprechend taucht der Name in vielen Holmesgeschichten für die verschiedensten Personen oder Orte auf) ins Spiel bringt. Dass dieses Vorspiel nahezu ein Drittel der Novelle einnimmt, bevor sich ein Fall überhaupt erst abzeichnet, fällt angesichts der angenehmen und stilvollen Schreibe von Marion Minks gar nicht weiter ins Gewicht.
Fazit:
Der Fall 666 überzeugt mehr durch die gelungene Familienzusammenführung als durch den vergleichsweise unspektakulären Fall. Trotzdem sehr angenehm zu lesen.
(eh)