Timetraveller – Episode 5
Sie war eines der brutalsten Mittel, die jemals dazu benutzt wurden, Macht auszuüben: die Inquisition. Noch heute legen Museen Zeugnisse davon ab, welche unvorstellbare Dramen und Grausamkeiten sich in den Folterkellern abgespielt haben müssen, Schriften erzählen davon, mit welch Willkür und Fanatismus Menschen zum Tode verurteilt wurden.
Was aber wäre, wenn die Inquisition nie aufgehört hat? Was, wenn sich Staat und Kirche weiterhin dieses »heiligen« Werkzeugs bedienen würden, um ihre Macht zu festigen?
Unsere vier Zeitreisenden werden es erfahren, in einem spanischen Sevilla im Jahre 1902, in dem dieses dunkle Kapitel der Menschheit noch nicht geschlossen wurde.
Sevilla, Anfang August
Die grob aus Steinen zusammengesetzten Wände glänzten feucht im Licht der vielen Fackeln. Auf der festgetrampelten Erde des Bodens hatten sich Pfützen gebildet. Einige der Männer, die hier ein- und ausgingen, setzten ihre Schritte ungeachtet dieser Situation; das Leder war gut gefettet und stieß das Wasser ab. Einige andere, wie Sebastian de Torquemada, waren peinlichst darauf bedacht, ihre guten Schuhe und Kleider nicht schmutzig zu machen.
Aus gutem Grund. Nicht nur Wasser netzte diesen Grund, auch Tränen und Blut wurden hier vergossen.
Es ist eine Notwendigkeit. Wir müssen das Übel an der Wurzel packen und ausreißen – wie einen faulen Zahn. Oder Unkraut.
Seine eigenen Worte. Oft genug musste er die Ausübung seiner Tätigkeit vor der Bürgerlichkeit verteidigen. Glücklicherweise waren nicht alle Kirchenräte und Staatsgewaltigen so zimperlich. Den meisten kam ein Mann wie de Torquemada nur allzu recht. Er schürte die Angst im Volk und hielt es unter Kontrolle. Ein Schäferhund, der die Nutztiere seines Hirten zusammentrieb und ihnen keine Extravaganzen erließ.
Der dunkel gekleidete Mann mit dem hohen und kräftigen Wuchs lächelte vor sich hin, während er die Stufen hinunter schritt. Sein Gesicht war hager und bleich, sein blasser Teint wurde durch sein schwarzes Haupthaar noch betont. Er trug ein schmales gepflegtes Oberlippenbärtchen.
Hexenjäger schimpfte der Allgemeinmund seinen Stand. Aber er war mehr als das. Aus einer Familie erfolgreicher Inquisitoren war er der (vorläufig) letzte Verfechter dieses Erbes. Doch sollte ihm Anna noch dieses Jahr den lang ersehnten Sohn gebären, so mochte es durchaus sein, dass die Tradition ihren Fortgang fand.
Zusammen mit den beiden Schergen in seiner Begleitung betrat er den hintersten Raum des unterirdischen Gewölbes. Der Jahrhunderte währende Schrecken hatte hier seine Spuren hinterlassen. Die Wände und der Boden waren mit dem Blut Schuldiger (und sicher auch einiger Unschuldiger – keiner wusste das besser als die de Torquemadas selbst) befleckt, überall gab es Rußspuren. Gebete waren in die Steine geritzt worden, in der Hoffnung, Gnade bei den Folterknechten oder wenigstens bei den Urteilssprechern zu erwirken. Sinnlos.
Auch Luzifer weiß, wie es sich mit Engelszungen redet.
Sebastian hatte gar einmal eine alte Frau beobachtet, welche die Steine mit ihren Fingernägeln bearbeitet hatte. Sie hatte sich die Nägel ab- und die Haut ihrer Fingerspitzen aufgerissen. Die Folterknechte hatten ihr daraufhin die Finger gebrochen. Mit bewundernswerter Willensstärke hatte sie ihre kraftlosen Hände dennoch weiter gegen die Wand gepatscht, ohne jedoch viel auszurichten.
Das wohlgefällige Lächeln auf de Torquemadas Gesicht vertiefte sich. Das Leben war wundervoll, wenn man auf der rechten (ach nein, besser: richtigen) Seite stand.
Er hatte sein eigenes gelobtes Land gefunden: Reichtum und die Freiheit, zu tun und zu lassen, was ihm beliebte. Macht.
Seine Aufmerksamkeit wurde von der verwahrlosten Gestalt beansprucht, die in einer Ecke des Raumes kauerte. Ihre Arme wurden über ihrem Kopf gehalten; man hatte sie in Ketten gelegt, die höher an der Wand eingelassen waren. Verschiedene Utensilien der Folter standen oder lagen herum. Aber das Kohlebecken war kalt, das Mädchen, gerade neunzehn Jahre alt, wurde heute keiner Befragung unterzogen.
Sebastian trat zu ihr hin, legte die behandschuhte Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an. Noch vor einem Monat war sie eines der hübschesten Mädchen der Stadt gewesen: Claudia Perrero, die Tochter eines selbstständigen Kaufmanns mit glücklicher Hand in finanziellen Geschäften.
Nun aber hing ihr dunkles Haar ungepflegt über ihr verschmutztes Gesicht. Blutergüsse hatten unschöne Flecken hinterlassen, ihre Lippen waren gesprungen und ihre rechte Schläfe war blutverkrustet. Ihr Blick war unstet und fiebrig.
»Nun, mein Täubchen? Wie geht es dir?«
Es war, als würde sie erwachen. Hass zog in ihre Augen ein und glühte den Inquisitor an. Claudia presste die Kiefer aufeinander und schwieg. De Torquemada lachte leise, wie ein feiner Herr, der sich amüsiert.
»Verstockt wie stets, wie? Nun, es wird dich freuen zu hören, dass deine Qualen bald beendet sind.«
Hoffnung glomm in ihren Augen auf – gepaart mit Misstrauen. Sie kannte Sebastian de Torquemada nur zu gut. Er liebte es, mit seinen Opfern zu spielen, ihnen Versprechen zu machen, die er nicht hielt. Waren seine Schergen für die körperlichen Leiden seiner Gefangenen zuständig, so war er ein Meister seines Fachs auf dem psychischen Gebiet.
Der Inquisitor erhob sich.
»Wir werden dich zum Tode verurteilen. Der Scheiterhaufen.«
Ihr Kopf, nun nicht mehr von seiner Hand gehalten, sank nach vorne. Tränen glitzerten in ihren Augen, aber sie wollte sich nicht die Blöße geben, vor ihren Peinigern zu schluchzen.
***
Wenigstens ist es angenehm warm.«
»Sind wir aber wieder optimistisch heute.« Claire reckte sich, soweit ihr gebrochener Arm dies zuließ und blickte zu Dan, der neben ihr auf der Anhöhe stand. Etwa drei, vier Kilometer von ihnen entfernt befand sich eine Stadt. Mehrere Türme ragten aus dem Gewirr von Häusern empor.
»Eins kann ich mit Bestimmtheit sagen«, fuhr Claire fort, als Dan Simon auf ihre spitze Antwort nicht parierte, »wir sind nicht in Amerika.«
Dan nickte. »Wenn du mich fragst, liegt die Stadt in Europa. Jetzt brauchen wir nur noch zu wissen, wo genau und vor allem wann.«
»Nichts leichter als das. Gehen wir hin und fragen jemanden. Immerhin sieht’s ja ganz zivilisiert aus.«
Beide schwiegen darauf hin. Nur allzu gut wussten sie aus schmerzlicher Erfahrung, dass der erste Blick täuschen konnte. Seit die Zeitmaschine defekt war, versuchte Markus Becker verzweifelt, sie in ihre richtige Zeit und vor allem in ihr Universum zurückzubringen. Denn was sie inzwischen alles erlebt hatten, stand nicht in den Geschichtsbüchern. Konnte nicht darin stehen, weil es sich in ihrer eigenen Welt gar nicht ereignet hatte!
Und seither kam es immer wieder zu äußerst brenzligen Situationen, an die sie sich kaum schnell genug anpassen konnten.
»Bloß keine Riesenameisen«, murmelte Claire nach einer Weile. Sie dachte dabei an ihr letztes überstandenes Abenteuer, welches sie nach Deutschland geführt hatte. Und davor … es erschien inzwischen mehr wie ein Traum, diese Zwischenwelt, in der die Toten noch wandelten und darauf warteten, vergessen zu werden. Dort hatte sie sich auch den Arm gebrochen, den ihre Gefährten provisorisch verarztet und geschient hatten. Es juckte, und sie legte die Finger ihrer Linken auf den Verband, ohne den Arm aus dem zur Schlinge umfunktionierten Dreieckstuch zu nehmen. Sie widerstand der Versuchung, sich zu kratzen, verzog aber das Gesicht.
Dan bemerkte es.
»Geht’s?«, fragte er. Claire war ein wenig überrascht über die Sorge, die in seiner Stimme mitklang. Sie nickte.
»Wir sollten schauen, dass wir den Arm möglichst schnell professionell verarzten können. Wenn der Knochen falsch zusammen wächst, wird man ihn dir irgendwann wieder brechen müssen. Von Infektionen mal ganz zu schweigen. Verdammt, wir hätten in Deutschland an mehr denken sollen als bloß an frische Kleider.«
Er schlug sich gegen die Stirn. Claire war ein wenig blass um die Nase geworden.
»Danke, jetzt fühl ich mich wirklich besser …«
Ken gesellte sich zu ihnen.
»Wir haben einen Bauernhof entdeckt, etwa eine Viertelstunde von hier. Wir sollten da hingehen.«
Dan wiegte leicht den Kopf.
»Da unten liegt, eine ganze Stadt. Ich fände es geschickter, wenn wir uns die Anonymität unter vielen Leuten zunutze machen.«
Die beiden jungen Männer starrten sich einen Moment lang an. Ken zuckte mit den Schultern.
»Ich denke, das sollten wir alle besprechen.«
Während sie zu dem deutschen Physikstudenten hinüber gingen, fragte Dan den Informatikstudenten: »Hat Markus eigentlich raus gefunden, wo wir uns befinden?«
Ken zuckte mit den Schultern.
»Er sagt, er könne die Daten nicht deuten. Sie sind völlig anders als die, die er eingegeben hat. In Deutschland.«
Dan packte ihn grob am Arm.
»Was soll das heißen?«
Ken riss sich los.
»Was weiß ich? Frag doch unseren Wunderknaben selbst!«
»Ich glaube, die Zeitmaschine ist defekt. Seit dieser Typ in dem anderen Kansas City da rumgepfuscht hat, scheint sie überhaupt nicht mehr richtig zu funktionieren«, mischte sich Claire ein.
»Scheiße, verdammt!«, fluchte Dan.
Sie hatten Becker fast erreicht, und Simon sah aus, als wolle er sich gleich auf den deutschen Austauschstudenten stürzen. Claire legte ihm beruhigend die linke Hand auf den Unterarm.
»Wir hängen hier alle mit drin. Wir sollten zusammenhalten.«
»Der Kraut sieht aber nicht so aus, als würde es ihn sonderlich belasten«, knurrte Dan.
Dieser sah ihnen tatsächlich recht fröhlich entgegen.
»Was gibt’s da zu grinsen?«, raunzte Simon.
»Frische Luft, Sonne, Süden. Ich weiß gar nicht, was ihr mehr wollt. Hier würde’ ich doch fast gerne meinen Urlaub verbringen.«
»Wir sind hier aber nicht im Urlaub, verdammt!«, schrie Dan. »Bring uns endlich nach Hause!«
»Wenn ich könnte, würde ich das tun«, entgegnete der Deutsche mit stoischer Ruhe.
»Weißt du wenigstens, wo – und wann – wir sind?«, mischte sich Claire ein. Markus schüttelte den Kopf.
»Na super«, murmelten die drei anderen fast synchron.
Sie besprachen das Problem mit der Erkundung ihrer Umgebung und einigten sich darauf, dass Markus Becker und Ken Okumoto sich zum Bauernhof begaben, während Claire Bancroft und Dan Simon die Stadt erkunden sollten; unter Beachtung abgemachter Vorsichtsregeln natürlich.
»Mir passt es nicht, dass wir uns trennen«, murmelte Ken. Sein Blick kreuzte den von Dan. Claire meinte, ein wenig Eifersucht darin zu erkennen. Schließlich sah der Asiat zu ihr.
»Seid vorsichtig, ja?«
»Sind wir doch immer«, zwinkerte Simon. Dann machten sich alle vier auf den Weg. Ken blickte immer wieder über die Schulter zurück, auch dann noch, als die beiden Gefährten bereits außer Sicht waren. Becker konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen.
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