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John Sinclair 1977 – Herz aus Eis

Ian Rolf Hill
John Sinclair Band 1977
Herz aus Eis

Horror/Grusel, Romanheft, Bastei Lübbe AG, Köln, 31. Mai 2016, 68 Seiten, 1,80 Euro, Covermotiv: Covermotiv: shutterstock/Vagengeim
www.bastei.de

Nach wenigen Minuten, die wir schweigend im Dunkel der Nacht verbrachten, drang etwas an unsere Ohren, das ich in dieser Form nicht erwartet hätte, obwohl es mich nach dem, was mir berichtet worden war, nicht wirklich hätte überraschen dürfen. Es war – Gesang! Leise wehte er durch die Gassen des Dorfes, lieblich und zugleich lockend. Unverkennbar war es eine Frau, die dort sang. Es waren keine Worte, die an unsre Ohren drangen, sondern eine unvorstellbar schöne Melodie, die in dem Hörer unweigerlich den Wunsch weckte, die Sängerin zu sehen.

Im 6. Jahrhundert nach Christus ziehen irische Fischer an der Küste von Ynys Gwrach, einer kleinen Insel in der Meerenge zwischen Irland und Wales, ein Wesen auf ihr Boot, das halb Fisch und halb Frau ist und sich bei der nachfolgenden Taufe vollständig in einen Menschen verwandelt. Von da an trägt Murgen, die letzte der Sirenen, den menschlichen Namen Liban. Abhann, einer der Fischer der Insel, entwickelt trotz ihrer fremdartigen Herkunft romantische Gefühle für die Frau, die jedoch den seltsamen Neuankömmling namens Asmodis dem Einheimischen vorzieht und bald auch dessen Kind unter der Brust trägt. Rasend vor Eifersucht tötet der Fischer Liban, die im Moment ihres Todes noch eine Tochter gebärt. Aus dem Tod heraus bittet Liban ihren Mörder noch, ihr Herz in der Mitte der Insel zu vergraben, wo schließlich eine geheimnisvolle Frau in das Geschehen eingreift und Ynys Gwrach mit einem Fluch belegt, sodass das Eiland für den Rest der Welt zu existieren aufhört.

So erzählt es Megan ap Breanainn John Sinclair. Die junge Frau stammt von Ynys Gwrach, wo die Menschen seit diesen rätselhaften Ereignissen völlig autark und ohne den Fortschritt der letzten 1500 Jahre leben. Mithilfe einiger Männer, die kürzlich nach Ynys Gwrach gekommen sind, um Libans Herz zu suchen, konnte Megan die Insel verlassen, den Geisterjäger kontaktieren und an die walisische Küste locken, wo sich nun folgenschwere Ereignisse anbahnen.

Die Tatsache, dass Liban im Moment ihres Todes noch ein Kind geboren hat, das von den Inselbewohnern großgezogen wurde, ist dafür verantwortlich, dass es auch heute noch Nachkommen der Sirene gibt. Einige Jahre zuvor begab es sich, dass eine Nachfahrin Libans, Mari ap Breanainn, in der das Erbe der Sirene stark war, ähnlich zu Tode kam wie ihre Vorfahrin. Seitdem erschallt an Maris Todestagen ihr Gesang über der Insel und lockt je einen jungen Mann aus dem Dorf dorthin, wo Libans Herz begraben liegt. Dort lässt der Gesang das Herz der Männer gefrieren. An diesen Tagen besteht also die Chance, das Versteck von Libans Herz zu finden, indem man einem der Todgeweihten folgt.

Jedes Jahr an ihrem Todestag hören die Bewohner von Ynys Gwrach ihren Gesang in jener Stunde, in der sie starb. Und einer aus ihrer Mitte, immer ein junger Mann, kann ihren Lockungen nicht wiederstehen. Er geht hinaus in die dunkle Nacht, dorthin wo Murgens Herz begraben liegt. Dort hört er dann den Schrei von Mari, der ihm das Herz in der Brust vereisen und zerspringen lässt. Am nächsten Tag dann ist er spurlos verschwunden. So ist es geschehen, und so geschieht es jedes Jahr zur selben Zeit.

Puh, hier wird wieder eine Zündschnur abgefackelt, dass es einem beim Lesen nur so schwindlig wird. Dabei fängt alles so beschaulich an, nämlich 1500 Jahre in der Vergangenheit auf einer kleinen Insel zwischen Irland und Wales. Dort gerät Murgen, die Letzte der nixenartigen Sirenen (Mit den Namensschwestern aus der griechischen Mythologie, die allerdings näher mit den Harpyien verwandt sind, hatte John Sinclair in den letzten Wochen reichlich Bekanntschaft gemacht) zufällig in das Netz einiger Fischer, wird nach ihrer Verwandlung in einen Menschen in die Dorfgemeinschaft aufgenommen und kann sich so weiter fortpflanzen, sodass ihr Erbe über die Blutlinie bis in die Gegenwart lebendig ist. Asmodis hatte damals große Pläne mit Murgen/Liban, doch haben ihm menschliche Gefühle und seine Erzfeindin Lilith einen Strich durch die Rechnung gemacht. So weit, so stimmungsvoll. Doch ist diese wohlig-schaurige Erzählung von Megan ap Breanainn nur die Vorgeschichte für ein weiteres Horror-Action-Feuerwerk aus Hills Feder. Erst einmal auf Ynys Gwrach angekommen, prasselt es so richtig auf den Geisterjäger ein, der sich allein, nahezu waffenlos und ohne das Wissen seiner Freunde auf der Insel aufhält. Denn auch Lilith, Boris Baranov und Egeas Demeter (aka Lykaon) samt seinem Klon-Werwolfrudel und sogar der geheimnisvolle Täufer, der die Macht besitzt, Sinclairs Feinde gegen seine mächtigste Waffe zu immunisieren, tummeln sich auf diesem von der Welt vergessenen Eiland. Als wäre dies nicht genug, erleben wir noch die Geburt der neuen Dämonin Corinfelia, die aus dem Geist von Murgens/Libans Nachfahrin Mari ap Breanainn und dem Herz der Sirene entsteht und die die Fähigkeit besitzt, mit ihrem Schrei die Herzen ihrer Opfer zu vereisen. Ach ja, als Cliffhanger zu Teil 2 steigen noch die Toten aus ihren Gräbern und bewegen sich auf das nahegelegene Dorf zu.

Dass John Sinclair überhaupt auf die Insel kommen musste, ist damit zu erklären, dass nur sein Kreuz Liliths Siegel brechen und die Urne öffnen kann, die Murgens/Libans Herz enthält. Gleichzeitig muss der Geisterjäger aber so wehrlos sein, um Demeters Pläne, die Entstehung Corinfelias, nicht nachhaltig zu stören. Denn sie ist die Letzte der dunklen Eminenzen, die sich um den Täufer versammeln sollen, um gemeinsam den Sohn des Lichts endgültig zu vernichten.

Inzwischen kann man schon von einem typischen Muster in Hills Romanen sprechen. Einer atmosphärischen Einleitung folgen Mittel- und Schlussteil, die von Action, markigen Sprüchen und jeder Menge Gegner in den tollsten Kombinationen geprägt ist. Im Hinblick auf die angesteuerten Ereignisse macht das wilde Durcheinander allerdings sogar Sinn. Außerdem bemerkt John Sinclair einmal mehr, dass sein Kreuz nicht (mehr) die Allzweckwaffe im Einsatz gegen die finsteren Mächte ist.

Fazit:
Einmal mehr schiebt Ian Rolf Hill die Ereignisse im Sinclair-Universum kräftig nach vorne. Der Täufer erstarkt und alles steuert auf eine unausweichliche Konfrontation zu.

(eh)