Xenophobia – Angst vor dem Unbekannten
Markus K. Korb
Phantastische Storys 6
Xenophobia – Angst vor dem Unbekannten
Horror, Kurzgeschichten, Taschenbuch, Blitz Verlag, Windeck, April 2016, 224 Seiten, 12,95 Euro, keine ISBN, Covermotiv von Mark Freier, Künstler (Innenteil): Kim Davey, Manuel Schedl, Heiko Schulze, Christine Schlicht, Julia Takagi, Mark Freier, Björn Ian Craig, Lea Becker, Bastian Wechsung, Christian Krank, Markus K. Korb, Yvonne Melhuish
blitz-verlag.de
»Er (der Gesichtsschleier) verdeckte das Antlitz der der Kunstreiterin so blickdicht, dass kaum eine Ahnung von dem zu erkennen war, was sich darunter verbarg. Allgemein staunte man über die Beschaffenheit des Stoffes. Denn selbst bei schwungvollen Bewegungen flatterte der Schleier nicht empor. Um so mehr fühlten sich vor allem die Männer ob der verborgenen Reize der geheimnisvollen Schönen angezogen.
Bei aller Faszination blieb aber eine Spur des Schauderns. Die Schultern der Kunstreiterin waren eine Spur zu schmal, die Arme schienen ein wenig zu dünn und die Körperform wirkte ausgezehrt.«
(Aus: Das Geheimnis der Kunstreiterin)
Lon Chaneys Schminkkoffer
Zunächst noch skeptisch begutachtet der junge Schauspieler Bruce Payne auf dem Rose-Bowl-Flohmarkt den metallenen Schminkkoffer, der angeblich dem Stummfilm-Star Lon Chaney gehört haben soll. Nicht von ungefähr gilt Chaney als Meister der Maske, und tatsächlich erkennt Payne bei näherer Untersuchung des Koffers Teile von Chaneys berühmten Rollengesichtern aus Phantom der Oper, Der Glöckner von Notre Dame, London after Midnight und vielen anderen Filmen. Doch Chaneys größtes Geheimnis wartet ganz unten am Boden des Kästchens.
Das Geheimnis der Kunstreiterin
Erst seit Kurzem gehört die stets verschleierte Kunstreiterin zur Gruppe der Zirkusleute. Zunächst nimmt ihr niemand übel, dass sie außerhalb der Manage für sich bleiben will, doch am Silvesterabend, in trunkener Stimmung, lassen die übrigen Artisten ihre Abgrenzung nicht gelten. Schließlich wird der Schleier gegen den Willen seiner Trägerin gelüftet.
Tambou
Ein brutaler Mörder geht im Dorf Vanjari um, der in der Dämmerung die Baumwollbauern auf ihren Feldern regelrecht zerquetscht und den die Dorfbewohner Tambou nennen. Der furchtlose Ramesh entwickelt einen Plan, wie dem Mörder beizukommen ist. Die Falle funktioniert und Ramesh kann den rasenden Elefanten, der für die Toten verantwortlich ist, töten. Doch noch während Tambou im Sterben liegt, hört Ramesh die grausame Geschichte des Tieres.
Die Bluthöhle
Auf der Flucht vor Wölfen, die sie schon seit zwei Tagen verfolge, gelangen Grut und seine Sippe zu einer Höhle, wo sie die Nacht verbringen wollen. Doch die Höhle hat bereits einen Bewohner. So steht Grut ein Kampf auf Leben und Tod bevor.
Das Ritual
Die Flucht vor den Nazis hat Marion und Henry nun bis auf die Insel gebracht, wo sie sich als Menschenopfer gefesselt an zwei Baumstämmen wiederfinden. Die Opferzeremonie der Eingeborenen ist in vollem Gange, und aus dem Dschungel nähert sich eine riesenhafte Kreatur.
Dämonenbiest
Die junge Infantin hat einen Narren an dem hässlichen Dämonenbiest gefressen, das ihr Vater, der König von Spanien, als Gastgeschenk von den Gesandten eines fremden Landes erhalten hatte. So wird das ungeliebte Tier zum ständigen Begleiter der Prinzessin. Auch als sie verbotenerweise den Irrgarten des Schlosses betritt und dort eine erschreckende Begegnung hat.
Die Abgelehnten
Nach und nach, über mehrere Tage, werden am Strand von St. Ives die sechs Besatzungsmitglieder des gekenterten Fischerbootes Rohellan angespült. Doch der Pfarrer weigert sich, die Ertrunkenen auf dem örtlichen Friedhof zu bestatten. Die See hat sie geholt, die See soll sich um sie kümmern. So werden die toten Matrosen zu Abgelehnten der See und des Landes und es ist ihnen nicht vergönnt, Ruhe zu finden.
Der letzte Versehgang
Eines eisigen Abends im November ruft Pfarrer Grömling einen Ministranten zur Pflicht. Der alte Berner liegt auf seinem Aussiedlerhof im Sterben und erwartet die Letzte Ölung. Nur widerwillig erfüllt der Ministrant seine Pflicht, denn nicht nur die eisigen Temperaturen machen die Strecke zu einer Qual, auch führt der Weg durch einen als Spukwald bekannten Forst. Doch was der Messdiener schließlich auf dem Bauernhof beobachtet, verfolgt ihn bis auf Sterbebett.
Der Illusionist
Casting Shows gibt es auch noch, nachdem Aliens auf der Erde gelandet sind. Manche Teilnehmer bedienen sich sogar außerirdischer Technologie, um sich einen Vorteil auf der Bühne zu verschaffen und die Juroren für sich einzunehmen. Wie dieser unscheinbare Wicht, der vor Dieter Polähn gerade die langweiligste Nummer aller Zeiten abzieht. Erst als der Künstler beginnt, sich das Gesicht vom Schädel zu schälen, weckt dies Polähns Interesse.
Kalte Stadt
Jeder ist sich selbst der Nächste, wagt nicht, seinen Mitmenschen ins Gesicht zu sehen, in dieser vom stehenden Industriedunst erstickten Stadt, erdacht von einem kranken Stadtplaner ohne jegliches Gefühl für menschliche Bedürfnisse. Das perfekte Revier für ihn und seinen Gegenstand mit dem Holzgriff.
Aufstand der Dinge
Fast unmerklich hat es sich angebahnt. Zuerst orderte das automatische Nachbestellprogramm seines Kühlschranks nur noch ungesunde Lebensmittel. Als Brien dahinter kam, sah er sich plötzlich einer Attacke seiner Waschmaschine ausgeliefert. Dieses kann er austricksen. Doch auch Mikrowelle, Ventilator und sogar der Fahrstuhl haben es auf ihn abgesehen.
Über der dunklen Seite des Mondes
Als Alan Shepard und Edgar Mitchell am 05. Februar 1971 die Mondoberfläche erkunden, bleibt ihr Kollege Stuart Roosa in der Kitty-Hawk-Blechdose und umkreist weiter den Erdtrabanten. In einem Krater auf der erdabgewandten Mondseite glaubt Roosa einen Blitz zu sehen, den er zunächst als optische Täuschung abtut. Doch das Phänomen wiederholt sich mehrmals an verschiedenen Stellen der Mondoberfläche. Als Alan und Ed auf das Schiff zurückkehren, wirken sie seltsam verändert.
Necronaut
Endlich heimgekehrt. Zurück aus dem Weltall, den tödlichen Ritt durch die Atmosphäre überstanden. Ebenso die Landung im Sumpf, nicht weit von seinem Haus entfernt. Doch keine Ohren mehr zum Hören, keine Augen mehr zum Sehen und keine Lippen mehr zum Sprechen.
Schwarzes Eis
Eine Gruppe Expeditionsteilnehmer der Neumayer-Polarstation wird Zeuge, wie ein riesiges Objekt aus dem All im ewigen Eis abstürzt. Auch wenn es eine Verzögerung in ihrem Plan bedeutet, wollen sich die Forscher diesen Anblick nicht entgehen lassen. Vor Ort finden sie nicht den vermuteten Meteorit, sondern ein metallisches Objekt, das sich, nach dem Versuch der Forscher, Zugang zu erlangen, erhitzt und in die Eismassen sinkt. Auf dem Rückweg zur Station stoßen sie auf ein Zelt mit einem Toten und einem Tagebuch, das von schwarz gefärbtem Eis und riesigen Klingen berichtet, die von unten durch die Eisfläche dringen und einen Menschen getötet haben.
»Dort, wo die Bewässerungsgräben die flache Landschaft Zentralindiens durchzogen, begannen die Baumwollfelder. Sie lagen in nächtliche Schwärze getaucht. Und dahinter – der Hain. Ein nahezu undurchdringliches Waldstück mit Senken und Lichtungen, um das sich merkwürdige Sagen rankten: Von zähnefletschenden Dämonen mit ledernen Schwingen, immer auf der Suche nach Menschenfleisch und Säuglingsblut, das sie der Göttin Kali opfern konnten, der sie als Untergebene dienten.«
(Aus: Tambou)
Nach Der Struwwelpeter-Code und Amerikkan Gotik ist Xenophobia Markus K. Korbs dritte Geschichtensammlung, die im Jahrestakt erschienen ist. Da es sich bisher bewährt hat, stellte der Schweinfurter Autor seine Erzählungen unter ein gemeinsames Thema, welches der Untertitel Angst vor dem Unbekannten vorgibt. Zwar war der Band bereits vor der Flüchtlingsthematik und der damit verbundenen innenpolitischen Situation in Arbeit, doch passt der Erscheinungstermin damit wie die Faust aufs Auge. So reiht sich Xenophobia in eine lange Tradition phantastischer Literatur, die nicht selten einen Doppelsinn enthält und deren vorgeblich utopische Abenteuer als Metaphern und Kommentare zu aktuellen Ereignissen zu lesen sind.
So zeigt Markus Korb in Xenophobia, dass die Angst vor dem Unbekannten seit Urzeiten tief im Menschen verwurzelt ist und ihn überall und zu jeder Zeit einholen kann. Die Schauplätze der Geschichten erstrecken sich von Hollywood über Indien und die irdischen Polarregionen bis zum Mond; zeitlich von der Periode der Urmenschen über die Gegenwart bis in die nahe Zukunft, in der die Menschheit bereits Alien-Technologie verwendet. Und Markus K. Korb wäre kein bekennender Horrorschriftsteller, wenn die unbekannte Gefahr nicht in den meisten Fällen tatsächlich tödlich wäre. Doch bisweilen entsteht die Angst vor dem Unbekannten auch lediglich im Kopf, geschürt durch fremdartiges Aussehen und missverstandenes Verhalten. Aber auch alarmierende Parolen, egal ob in Sprechchören oder als geflüsterte Legenden, erweisen sich als veritabler Dünger für die Angst, die in den Häuptern wächst, oftmals bar jeder realen Grundlage. Nicht selten erweist sich eine vermeintliche Gefahr am Ende, wenn es möglicherweise zu spät ist, als harmloses Hirngespinst und das angeblich grenzenlos Böse als reine Notwendigkeit zum Überleben.
Stilistisch pflegt der Autor weiterhin den Kurs, den seine letzten Veröffentlichungen vorgeben. Die Geschichten sind straff auf Ziel und Wirkung ausgerichtet. Atmosphäre wird gekonnt durch wenige, zielsichere Sätze aufgebaut, die den Leser sofort mit der Situation vertraut machen. Die handelnden Personen sind austauschbar und haben in der Kürze meist gar keine Chance, den Leser tatsächlich zu vereinnahmen.
Ein besonderer Clou ist dem Autor gelungen, indem er (mit ihm selbst) insgesamt 13 internationale Künstler gewonnen hat, die Illustrationen zu seinen Geschichten angefertigt haben. Dabei sind langjährige Wegbegleiter wie Mark Freier und Comiczeichner Christian Krank (Tales of Dead Earth) oder Genre-Newcomer wie Maler Heiko Schulz, der schon Jörg Kleudgens Teatro Grottesco aus der Edition CL illustriert hat.
Xenophobia ist als ordentliches Taschenbuch gefertigt und weist auch nach der Lektüre keinen nennenswerten Lesespuren auf. Der Band hat keine ISBN und ist exklusiv beim Blitz-Verlag erhältlich. Das Covermotiv von Mark Freier entstand ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Autor und zeigt ein Alien-Zombie-Totenkopf-Amalgam als Sinnbild für das Angst einflößende Fremde.
Fazit:
Phantastische Kurzgeschichten als Kommentar zur aktuellen Lage. Markus K. Korb schreibt über Angst vor dem Fremden und Panik vor dem Unsichtbaren und Unerklärlichen.
(eh)