Begrabt mein Herz im Tiefkühlfach
Ben Ryder Howe
Begrabt mein Herz im Tiefkühlfach
Mein Jahr als Ladenhüter
Humor, Taschenbuch, Ullstein Verlag, Berlin, Oktober 2012, 400 Seiten, 9,99 Euro, ISBN 9783548374598, aus dem Amerikanischen übersetzt von Nina Pallandt
Der aus Boston stammende New Yorker Ben Ryder Howe ist mit der Koreanerin Gab verheiratet. Beide haben sich an der Uni kennengelernt, und während Ben einem nicht besonders gut bezahlten Job bei der Literaturzeitschrift Paris Review nachgeht, schuftet seine Frau in einer Kanzlei. Trotzdem herrscht Unzufriedenheit und Ebbe in der Kasse und so beschließen die beiden, nicht nur aus Kostengründen in den Keller des Hauses von Gabs Eltern zu ziehen, sondern auch mit Unterstützung der koreanischen Großfamilie ein Deli in Brooklyn zu kaufen und zu betreiben. Diese kleinen, kioskartigen Gemischtwarenläden gehören zum New Yorker Stadtbild wie die gelben Taxis und sind oft so etwas wie das gesellschaftliche Zentrum eines Blocks, wo sich allerlei seltsame, aber liebenswerte Charaktere einfinden.
Doch damit beginnen die Probleme erst, denn niemand aus der Familie, außer der rüstigen koreanischen Schwiegermutter Kay, die bereits im Heimatland im Bäckereigeschäft unternehmerische Erfolge verzeichnen konnte, kennt sich wirklich im Einzelhandel aus. Gab kündigt ihren guten, aber nervenaufreibenden Anwaltsjob, Bens Stundenzahl in der Redaktion lässt eh zu, dass er sich schichtweise um den Laden kümmert. Und zwischendrin wirbelt die Schwiegermutter umher und nimmt die Dinge in die Hand, um die sich die beiden nicht kümmern können. Dabei kommt es immer wieder zu Konflikten, denn auch die Kunden wollen eigentlich, dass alles so bleibt, wie es immer war und sich nicht auf neue Produkte und schon gar nicht auf neue Preise einstellen. Was zuerst nach einfach und schnell verdientem Geld ausgesehen hat, erweist sich schnell als zunehmender Albtraum, der die Familie nicht nur an den finanziellen, sondern auch an den gesundheitlichen Abgrund treibt …
Ben Ryder Howes autobiographischer Bericht über sein Jahr als Laden-Mitbesitzer wurde seinerzeit vom Verlag als humorvolles Buch angekündigt, das sich auf amüsante Weise damit auseinandersetzt, wie man sich als Laie in der Welt der Tante-Emma-Läden zurechtfinden muss. Dies ist aber nur ein sehr geringer Teil des Buches. In diesem Fall muss man sagen: leider. Denn Howe ist zwar in seinen Aussagen ehrlich, aber nicht sonderlich sympathisch. Als weißer Snob mit beinahe puritanischer Erziehung erkennt er zwar, dass er als völlig vergeistigter Literaturfreak am Arbeitsmarkt ziemlich verloren ist und im Umgang mit Kunden beinahe sozialphobisch reagiert, springt dann aber nur selten über seinen Schatten und entwickelt sich nur unzureichend anhand der gestellten Aufgaben im Deli. Die Sympathie für ihn hält sich, gerade in der zweiten Hälfte des Buches, arg in Grenzen.
Schön sind die abschweifenden Erzählungen über besondere Gegebenheiten und Charaktere, die das Viertel in Brooklyn ausmachen, in dem sich das Deli befindet. Auch ist es interessant zu erfahren, welche Steine einem die Lokalverwaltung in den Weg legt, wenn man ein solches Geschäft betreibt. Doch Howe belässt es nicht dabei, schildert auch ausführlich seine Erinnerungen an die Redaktion der Paris Review und seine familiäre Situation. Seine Frau Gab ist gefangen zwischen westlicher Erziehung und koreanischer Tradition, wobei die Schwiegermutter oft als Klischee für den sich fast zu Tode rackernden und sturen Asiaten herhalten muss. Erstaunlich wenig reflektiert und befangen schildert Howe hier seine Sicht. Genauso naiv erscheint es, scheinbar gute Jobs aus Geldnot an den Nagel zu hängen, um das noch viel riskantere Wagnis einzugehen, einen solchen Laden aufzumachen. Auch der Anspruch, durch diesen physisch anspruchsvollen Job eine Art Ausgleich zum geistigen Redaktionsleben aufbauen zu wollen, mutet eher egoistisch als familiär-altruistisch an.
So gestaltet sich Begrabt mein Herz im Tiefkühlfach, dessen Originaltitel My Korean Deli zwar griffiger ist, inhaltlich aber auch nur mit viel Wohlwollen durchgeht, überaus zwiespältig. Hätte Howe sich rein auf die Welt der Delis konzentriert, wäre die Lektüre schnell und interessant gewesen. Mit den Geschehnissen in der Familie und der Redaktion zusammen bläst sich das Buch allerdings auf massive 400 Seiten auf. Natürlich sind auch diese Berichte eng mit dem Laden und Bens Leben verknüpft, allerdings zu wenig gehaltvoll und selbstreflektierend, um den Leser ausreichend zu fesseln. Da kommt der Literaturbegeisterte durch, der sich selbst in seiner Umwelt zu positionieren versucht und dabei leider ein ums andere Mal, insbesondere in der zweiten Hälfte des Buches, von einer interessanten Geschichte einer Ladenübernahme hin zu einer Ego-Show abrutscht. Dabei schlägt Howe einen manchmal fast weinerlich-beleidigten Tonfall an, der es ebenfalls schwierig macht, Mitleid mit ihm oder seiner Situation zu empfinden. Er hätte die Deli-Geschichte losgelöst von seiner persönlichen Entwicklung betrachten sollen – dann wären dem Buch ca. 150 – 200 Seiten zäher Ballast erspart geblieben. Howe wollte allerdings mehr – ein Stadtviertelportrait, eine Culture-Clash-Familiengeschichte und für sich selbst eine Art Coming-of-Age-Story – zu viel für ein solches literarisches Projekt. In Auszügen lesenswert, aber anstrengend über die ganze Strecke.
(sv)