Timetraveller – Episode 4
Es war irgendwann im Frühjahr oder Sommer. Den genauen Zeitpunkt weiß niemand mehr …
Andreas betrat gegen 7 Uhr morgens die Küche seiner schönen Zweizimmerwohnung, die er seit ein paar Jahren bewohnte. Er hatte damals Glück gehabt, als er dringend eine Wohnung brauchte. Es war sogar eine Art Reihenhaus, was er günstig mieten konnte. Der Dachboden war nicht ausgebaut, aber im Erdgeschoss war für ihn alleine genügend Platz.
Am besagten Morgen hatte er eigentlich nur vor, sich einen Tee zu kochen, so wie es der Mitte Dreißigjährige jeden Morgen tat. Noch recht verschlafen bewegte er sich auf den hohen Schrank zu, der ganz links in seiner Küchenzeile stand. Darin bewahrte Andreas eine ganze Menge Teesorten auf. Auch einige Lebensmittelvorräte standen dort.
Auf seinem Weg durch die kleine Küche sah er nicht auf den Fußboden. Hätte er es getan, wäre ihm aufgefallen, dass etwas anders war, als es normalerweise war.
Andreas öffnete den Schrank und traute seinen Augen nicht. In sämtlichen Regalen krabbelte es nur so vor sich hin. Kleine, dunkelbraune Wesen mit sechs Beinen zogen ihre Bahnen zwischen Zucker, Mehl und Konservendosen. Im Regal mit den Tees war es genauso. Ameisen, unzählige Tierchen! Und dann sah er auch auf den Fußboden. Dort zog sich regelrecht eine Straße von der einen Seite des Raumes zur anderen hin.
Was nun?, dachte Andreas.
Die Zeit war gerade noch lang genug, um einen Tee zu kochen, sich in der Zwischenzeit seine Arbeitssachen anzuziehen und dann bei einer Zigarette, mehr oder weniger in Eile, den Tee zu trinken.
Gut, dachte sich Andreas, die Zigarette und den Tee werde ich mir trotzdem genehmigen.
Um die Krabbeltiere wollte er sich dann nach Feierabend kümmern.
So nahm er sich schnell einen Beutel aus dem Karton mit dem schwarzen Tee und machte alles so, wie er es jeden Morgen, mal abgesehen vom Wochenende, tat.
Es sollte aber noch etwas passieren.
Nach dem Teegenuss also noch schnell die Tasse in die Spülmaschine stellen, dessen Klappe Andreas immer einen Spalt offen ließ, um Luft an das Geschirr zu lassen, was sich bereits darin befand. Da er alleine lebte, brauchte die Maschine nur einmal pro Woche eingeschaltet werden. Aber von Hand spülen wollte er nicht, dazu war er zu faul.
Was er dann hinter der Klappe erblickte, machte ihn schon fast wütend. Selbst in der Maschine krabbelten jede Menge Ameisen umher und machten sich an den auf dem Geschirr befindlichen Essensresten zu schaffen.
»Euch werde ich es zeigen«, rief Andreas und holte aus dem Spülenunterschrank ein Reinigungs-Tab heraus.
»Ich werde euch alle killen, da könnt ihr sicher sein!«
Andreas bereitete die Spülmaschine samt Ameisen auf einen Spülgang vor und schaltete das Gerät ein.
Dann wurde es allmählich Zeit, sich zur Arbeit zu begeben. Er war mittlerweile schon ziemlich spät dran. Die Spülmaschine konnte ihre Dienste während Andreas’ Arbeitszeit verrichten.
Im Flur sah er noch den Sprung im Glas, das in die Haustür eingesetzt war. Er wollte es schon vor ein paar Tagen reparieren lassen, doch war er bisher nicht dazu gekommen. Bezahlen musste Andreas es noch nicht einmal selber, denn die Versicherung der Nachbarskinder, die ab und zu Fußball auf der großen Wiese vor den Reihenhäusern spielten, sollte dafür aufkommen. Einige Tage zuvor hatten sie einen Schuss so hart dagegen geknallt, dass das Glas gesprungen war.
Und so verließ er leicht säuerlich seine Wohnung, nachdem er alle Zimmertüren vorsichtshalber zu gemacht hatte, stieg in sein Auto und fuhr in den Nachbarort, in dem er eine Arbeitsstelle hatte.
***
Hinter dem kleinen Reihenhaus mit der Nummer 21c passierte unterdessen etwas sehr Merkwürdiges. Es wurde binnen Sekunden sehr kalt, die Luft schimmerte bläulich mit einem leichten Flimmern und plötzlich tauchten wie aus dem Nichts vier junge Leute auf. Sie standen nur da und sahen sich überrascht um.
»Wo sind wir denn hier gelandet?«, fragte Markus Becker. »Sieht ja aus wie eine Wohnsiedlung, in der ich aufgewachsen bin.«
»Ah, du meinst, wir sind hier in Deutschland? Bei uns sehen kleine Wohnhäuser zwar etwas anders aus«, erwiderte Dan Simon, »aber du hast recht, es scheint alles normal zu sein. Und wo Häuser sind, gibt es hoffentlich auch Menschen. Richtige Menschen, und nicht solche Zombies, von denen wir uns gerade verabschiedet haben.«
»Oh, Gott, erinnere mich nicht daran«, meldete sich da sofort Claire Bancroft zu Wort. Ihre Worte gingen in ein Stöhnen über, als sich bei der Erinnerung an ihr vergangenes Abenteuer auch gleich wieder die Schmerzen in ihrem gebrochenen Arm einstellten.
»Was werden wir nun tun?«, fragte Ken Okumoto gerade in dem Moment, als sie vor dem Haus ein bekanntes Geräusch wahrnahmen. Da startete ein Auto!
Die vier Studenten, die sich in das Abenteuer Zeitreise stürzten, ohne etwas von den Folgen einer Parallelweltodyssee zu ahnen, blickten wie auf ein Wort zur Hausecke, und sahen dem davonfahrenden Geländewagen nach.
»Das Auto stand dort vorne auf dem Parkplatz. Vielleicht sind gerade die Bewohner dieses Hauses damit weggefahren und es ist womöglich niemand hier. Und wir brauchen dringend ein paar Dinge. Sollen wir es wagen?«
»Dan, wir können doch da nicht so einfach reinspazieren. Was, wenn die Leute gleich zurückkommen oder wenn noch jemand da drin ist?«, gab Claire zu bedenken. »Sollten wir nicht erst mal dort klingeln gehen?«
»Aber so wie wir im Moment aussehen, kommen wir keine 50 Meter weit, wenn wir Pech haben, nicht einmal nach vorne bis zur Haustür. Wir müssten um die anderen Häuser herum gehen, um da hinzukommen!«, antwortete Dan.
»Stimmt. Und was das Wichtigste ist, Claires Arm muss endlich richtig versorgt werden. Und wenn ich mich hier so umschaue, dann könnte ich fast meinen, dass das hier unsere Welt sein könnte. Ich weiß zwar nicht, wo wir uns befinden, aber es sieht doch alles recht zivilisiert aus, bis auf den Garten, der könnte mal ein bisschen Pflege vertragen.«
»Da stimme ich Ken vollkommen zu«, sagte Markus. »Lasst mich mal nachsehen, ob die Luft rein ist. Und dann mieten wir uns für eine halbe Stunde dieses Haus und hoffen, dass die Leute so schnell nicht wieder kommen.«
Da niemand eine bessere Idee hatte und sich alle nach ein wenig Sauberkeit an sich und frischer Wäsche sehnten, wurde Markus’ Vorschlag angenommen und in die Tat umgesetzt.
»Pass auf, dass dich keiner sieht!«, gab Ken ihm mit auf den Weg.
Markus lugte zuerst durch alle hinten liegenden Fenster und ging dann den Weg um die Häuser herum zum Vordereingang, immer darauf achtend, nicht entdeckt zu werden. Er spähte dort durch die Scheibe in der Haustür, ohne wirklich etwas durch das geriffelte und gesprungene Glas zu erkennen. Der Student überlegte kurz, doch zu klingeln, aber verwarf diesen Gedanken schnell wieder. Dann schlich er zurück zu den anderen.
Und Markus tat noch etwas, als er allein war. Er besah sich die Zeitmaschine. Diesen geheimnisvollen Glaszylinder, der für das Dilemma der Studenten verantwortlich war. Was er sah, gefiel ihm aber gar nicht. Die wenige Energie, die beim Verlassen der letzten Welt noch für einen Zeitsprung ausgereicht hatte, war nun vollends erloschen. Und der Physikstudent konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob sich die vollständig entleerten Energiezellen nun auch wieder selbstständig aufladen konnten. Dafür bedurfte es immer eines Fünkchens Restenergie, die diesen Prozess wie ein Schneeball ins Rollen brachte. Doch im Moment konnte und wollte Markus darüber nicht nachdenken, die Zeit würde zeigen, ob die Maschine noch funktionierte.
»Es scheint sich keiner hier drin zu befinden. Wollen wir es wagen?« Markus blickte nacheinander in die Gesichter der anderen drei Studenten und wartete auf deren zustimmendes Nicken. Keinem der Timetraveller war es einerlei, hier und jetzt in eine fremde Wohnung einzudringen, doch sie sahen keine andere Möglichkeit, wollten sie nicht sofort wie bunte Hunde auffallen.
Ein Fenster an der Rückseite des Hauses war nicht verschlossen, sondern angekippt. Das hatte Markus bei seinem Rundgang gesehen. Da wollten sie es versuchen.
Der Student steuerte schon darauf zu, als Ken sich ihm gleich anschloss.
»Wir versuchen, so wenig wie möglich zu zerstören. Meist lassen sich diese Fenster ganz einfach aufhebeln«, sagte er dabei.
»Schlaues Bürschchen! Und weißt du auch, wie man das macht?«, reagierte Markus leicht gereizt.
»Das werden wir gleich sehen«, antwortete der Japaner etwas verwundert.
Sie erreichten das geöffnete Fenster und es erwies sich als ein Leichtes, die Verankerung zu lösen.
»Wie kann man nur so leichtsinnig sein?«, sagte Ken zu sich selbst.
Markus winkte Dan und Claire heran, und da das Fenster gerade mal 80 cm über dem Erdboden lag, war es sehr einfach, in die Wohnung einzusteigen. Über etwaige Beobachter machten sich die Studenten zu diesem Zeitpunkt keine Gedanken, denn dafür wäre es mit Sicherheit schon zu spät gewesen. Aber sie wurden bisher nicht gesehen.
So kletterten sie in das Zimmer, es war ein Schlafzimmer, was von der Einrichtung her auf eine einzelne Person hinwies. Claire ließ sich von Dan helfen, doch auch für die schlanke, junge Frau war der Einstieg trotz des verletzen Armes kein Problem.
Ken öffnete vorsichtig die Zimmertür, während Dan gleich den Schrank, der rechts neben dem Fenster stand, inspizierte.
Wäre noch jemand in der Wohnung gewesen, so hätte er die Eindringlinge nun spätestens wahrnehmen müssen, denn sowohl die Zimmertür als auch die Schranktür ließen sich nur mit einem fürchterlichen Quietschen öffnen.
Doch wie es aussah, hatten die Studenten Glück. Die Wohnung war leer.
Da meldete sich Dans praktische Veranlagung und er unterbreitete sofort den Vorschlag, dass sie alle nacheinander das Badezimmer benutzten und sich dann an dem Kleiderschrank bedienen sollten. Ken hatte flüchtig in alle Zimmer geschaut und festgestellt, dass diese Wohnung tatsächlich nur von einer Person bewohnt wurde. Und es deutete alles auf einen Mann hin. Zwei E-Gitarren, die liebevoll in ihren Ständern auf ihren nächsten Einsatz warteten, ein Computertisch, der vor neuester Technik zu platzen drohte, davor ein übervoller Aschenbecher und auf dem Tisch eine leere Pizzaschachtel und eine halb geleerte Colaflasche.
Markus war der Erste, der sich ins Bad begab. Danach folgten Claire, Dan und zum Schluss Ken. Und alle vier fühlten sich nach dem Gebrauch von Wasser, Seife und Shampoo wie neu geboren. Sie hatten sich beeilt, denn sie mussten immer mit der Rückkehr des Hausbewohners rechnen. Was sollten sie ihm sagen, wenn er sie erwischte?
Claire hatte es ein wenig schwer gehabt mit der Dusche, da sie durch den gebrochenen Arm doch sehr gehandicapt war, aber auch sie schaffte es schnell, sich zu reinigen, auch wenn der Verband dabei ein wenig nass wurde.
Der Kleiderschrank gab nicht gerade passende Sachen her, aber immerhin saubere. So fanden sich für alle Jeans, die ein wenig zu lang waren und Shirts, die zumindest den jungen Männern gut passten. Claire wählte ein Hemd aus, da sie dieses leichter über ihren gebrochenen Arm ziehen konnte. Auch für ausreichend Unterwäsche und Socken hatte der Bewohner der Wohnung unwissentlich gesorgt, sodass die Timetraveller binnen kurzer Zeit kaum wieder zu erkennen waren.
»Das fühlt sich an wie Weihnachten und Ostern auf einen Tag«, stellte Markus fest.
»Ja, das ist ein gutes Gefühl«, stimmte Ken zu.
Claire war noch nicht ganz zufrieden, sie musste noch den schmutzigen und mittlerweile durch das Duschen nassen Notverband ertragen.
»Kann mir mal einer helfen?«, fragte sie.
Ken und Dan erinnerten sich noch gut daran, als sie den Arm gerichtet und notversorgt hatten. Beiden war nicht wohl bei dem Gedanken, das nun noch einmal tun zu müssen. Aber Markus machte keinerlei Anstalten, der jungen Frau zu Hilfe zu eilen.
»Na, komm, ich mach das«, sagte Ken. Er dachte mit Grausen an die Wunde und hoffte, dass er den Anblick ein zweites Mal würde ertragen können.
Er konnte! Als Ken den alten Verband gelöst hatte, war er erstaunt, wie gut die Wunde in der kurzen Zeit schon verheilt war. Allerdings wusste ja keiner der Timetraveller genau, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Der Wunde nach zu schließen, mussten es aber mindestens 4 Tage sein. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn doch mal ein Arzt nach dem Arm sehen würde, aber wie sollten sie das anstellen? Das musste wohl oder übel noch warten.
»Dan! Markus! Schaut euch mal in der Bude um, ob ihr irgendwas findet, womit ich den Arm schienen kann,« rief Ken den beiden anderen Männern zu. »Und wenn ihr was findet, was uns nützlich sein kann, Geld oder Ausweise, dann bringt das gleich mit.«
Die Angesprochenen gingen daraufhin los und suchten nach diesen Dingen.
Dan fing in dem Raum an, in dem der Computer stand. Es musste das Wohnzimmer sein und Markus betrat die Küche.
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