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Adon und die Nächstenliebe

Adon und die Nächstenliebe

I

Prinz Adon war der zweitgeborene Sohn König Fasars, des Herrschers von Subon. Obwohl er alles hatte, was Geld kaufen konnte und außerdem mit schönem Gesicht und Körper sowie mit einigem Verstand gesegnet war, war er unzufrieden mit seinem Leben und neidisch auf seinen älteren Bruder Sofar, den von der Natur ausgewählten Nachfolger Fasars, der dann, wenn sein Vater starb, der Herrscher des mächtigen Reiches Subon sein würde, was Adon als das Schönste erschien, was man auf Erden haben konnte.

Adon grübelte oft darüber, wie böse es das Schicksal mit ihm gemeint hatte, obwohl es ihm viel besser ging und er ein weit schöneres Leben hatte, als die Untertanen seines Vaters, die oft sehr arm waren und hart für ihr tägliches Brot arbeiten mussten. Schließlich dachte Adon sogar darüber nach, seinen Bruder auf irgendeine Weise aus dem Weg zu schaffen. Nur die Gewissheit, dass die Polizei seines Vaters ihn als Mörder überführen werde, hielt ihn noch von einer solch schändlichen Tat ab.

In einer düsteren und regnerischen Herbstnacht, in welcher Adon als einziges Familienmitglied im Schloss seines Vaters weilte – Fasar war in der Provinz unterwegs und Sofar weilte am Hof des Nachbarlandes – dachte dieser erneut über seine Lage und seinen Bruder nach. Während er aber grübelte, braute sich draußen ein Gewitter zusammen und es blitzte, donnerte und regnete stark.

Da aber fuhr eine schwarze Kutsche vor, die von schwarzen Pferden gezogen und von einem ganz in Schwarz gekleideten Kutscher gelenkt wurde. In ihrem Inneren saß ein ebenfalls schwarz gekleideter Mann, der ein kleines, in schwarzes Leder gebundenes Büchlein in der Hand hielt. Als die Kutsche das Schlosstor erreicht hatte, hielt sie an. Der Mann mit dem Büchlein stieg aus und ließ sich vom Torwächter bei Adon anmelden.

Adon ließ den Mann zu sich führen. Als er ihn im blauen Salon empfing, lief ihm beim Anblick des Fremden ein kalter Schauer über den Rücken. Der Fremde war kahlköpfig, trug eine Augenklappe über dem rechten Auge, hatte eine etwa zehn Zentimeter lange Narbe auf der linken Wange, die ihn völlig entstellte und einen schiefen Mund. Als er diesen öffnete, sah Adon, dass ihm außerdem zwei Vorderzähne fehlten.

»Hallo, junger Prinz«, sagte der Fremde mit einer unangenehmen, hohen Stimme, »wie ich sehe, geht es Euch gut!«

»Ja!«, sagte Adon und begann, gegenüber dem Fremden eine gewisse Furcht zu entwickeln. »Was wollt Ihr von mir?«

»Ich will Euch Euren sehnlichsten Wunsch erfüllen«, erwiderte der Fremde. »Ihr wollt doch nach dem Tode Eures Vaters König werden, oder?«

»Und das könnt Ihr arrangieren?«, fragte Adon und sein Herz begann, schneller als zuvor zu klopfen.

»Ich kann!«, antwortete der Fremde und sein Mund verzog sich zu einem diabolischen Grinsen. »Ihr müsst nur hier in meinem Büchlein Eure Unterschrift leisten und abwarten, was geschieht. In Kürze werdet Ihr dann Herrscher dieses schönen Landes sein.«

Adon lächelte ungläubig. Wie sollte seine Unterschrift bewirken, dass er König wurde? Dann aber dachte er, er wolle es einmal ausprobieren. So eine Unterschrift kostete ihn ja nichts. Als der Fremde also eine leere Seite des Büchleins aufschlug, ergriff er eine Feder und unterschrieb. Im selben Moment erfüllte ein lauter Donnerschlag die Luft.

»Danke, junger Herr!«, sprach der Fremde böse lächelnd. »Nun wartet ab! Ihr werdet schon bald König sein!«

Mit diesen Worten klappte er das Büchlein wieder zu, verabschiedete sich von Adon und verließ den Raum. Draußen stieg er dann in seine Kutsche und der Kutscher gab den Pferden die Peitsche.

II

Einige Wochen zogen ins Land. Inzwischen war König Fasar zu seinem Schloss zurückgekehrt. Nur sein Sohn Sofar war noch nicht aus dem Nachbarland zurück, sodass sich der König langsam um seinen Verbleib Sorgen machte.

Endlich trafen zwei der zehn Soldaten am Hof von Subon ein, die Sofar zum König des Nachbarlandes begleitet hatten. Sie berichteten ihrem König, sie seien auf dem Rückweg von einer Horde von Räubern überfallen worden. Sofar und die anderen Soldaten seien dabei getötet worden, sie allein hätten überlebt.

Als Fasar, der nicht mehr der Jüngste und auch noch sehr krank war, diese Hiobsbotschaft vernommen hatte, traf ihn der Schlag und er starb im selben Augenblick. Adon aber freute sich insgeheim diebisch über den Tod von Vater und Bruder. Nun stand seiner Herrschaft in Subon keiner mehr im Weg. Offiziell aber spielte er den trauernden Prinzen und ließ seinen Vater mit großem Pomp beerdigen. Anschließend erklärte er sich selber zum König des Landes und niemand machte ihm diesen Rang streitig.

III

Der neue König regierte künftig mit harter Hand. Er unterdrückte seine Untertanen, die von seinem Vater ein milderes Regiment gewöhnt waren. Er verlangte hohe Steuern, ließ foltern und häufig auch töten und führte manchmal Kriege mit Nachbarfürsten, ohne dass diese dabei eine Schuld traf. Mit der Kirche hatte er zu dieser Zeit nichts zu schaffen, obwohl er natürlich die Geistlichen seines Landes zwingen ließ, in seinem Sinne zu predigen. Er selbst aber ließ sich lange Zeit in keiner Kirche des Landes sehen.

Als Adon jedoch in die Jahre kam, begann er, sich um sein Seelenheil Gedanken zu machen, denn der Tag seines eigenen Todes rückte näher. Endlich ließ er sich in der Hauptkirche seiner Residenzstadt eine Loge einrichten, um den Gottesdienst zu besuchen.

Am ersten Sonntag, an dem er mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in der Kirche saß, konnte er die Lieder nicht mitsingen, die von der Gemeinde gesungen wurden. Auch konnte er die Gebete nicht mitsprechen, so sehr er sich auch bemühte. Schließlich wollte er am Abendmahl teilnehmen. Der Pfarrer reichte ihm die Hostie und den Wein. Als Adon jedoch diese Gaben herunterschlucken wollte, blieben sie ihm im Hals stecken und er erbrach sie im selben Augenblick. Ein Raunen ging durch die gesamte Kirche und die Gläubigen, die sämtlich ihren Landesherrn hassten, weil er so grausam und unbarmherzig war, verbreiteten anschließend in der ganzen Stadt, der Herr habe ihren Herrscher verstoßen.

IV

Als Adon die Gerüchte um seine Person, die im Volk umgingen, zu Ohren kamen, ließ er sich zunächst nicht entmutigen. Die Gnade des Herrn wurde jedem Sünder zuteil, also auch ihm. So suchte er weiter die Gottesdienste in seiner Kirche auf. Aber es erging ihm genauso wie zuvor. Er konnte die Kirchenlieder nicht mitsingen, die die Gemeinde anstimmte, die Gebete nicht sprechen und das Abendmahl nicht bei sich behalten. Endlich gab er es auf und nahm nicht mehr an den Gottesdiensten teil.

Jahre später, als er alt und gebrechlich geworden war, dachte er mit Schrecken an seinen nahen Tod und daran, was er danach zu erwarten hatte. So schickte er nach einer alten Kräuterfrau, die schon seinem Vater gute Dienste geleistet und auch ihm mit ihrer Weisheit oft geholfen hatte. Als die Alte, die den Namen Masa trug, vor ihm stand, fragte er sie: »Meine liebe Masa! Ich wollte im Gottesdienst mitsingen, mitbeten und das Abendmahl zu mir nehmen, aber all dies war mir versagt. Ich bekam wiederholt keinen Ton heraus und erbrach die Hostie und den gesegneten Wein. Sag mir, hat mich der Herr verstoßen, wie es das Volk behauptet?«

»Lieber Herr«, gab die alte Frau zur Antwort, »Ihr seid König geworden, weil Euer Bruder getötet wurde und Euer Vater deshalb starb. Und Ihr habt Euer Leben lang mit eiserner Faust regiert. Sagt, hat Euch vielleicht vor dem Tod Eures Bruders ein unheimlicher Fremder aufgesucht und in einem Büchlein, das er mitbrachte, unterschreiben lassen?«

»So war es, Masa«, entgegnete König Adon. »Ich habe das bisher noch niemandem erzählt.«

»Dann kenne ich Euer Problem!«, sprach die Alte bestimmt. »Hört zu! – Der Fremde war der Bote des Teufels. Dieser fordert von allen bösen Herrschern der Welt die Unterschrift in seinem Buch. Durch diese Unterschrift verliert man seine Nächstenliebe, also seine Eintrittskarte ins Paradies. Nur dann, wenn Ihr wieder am Abendmahl teilnehmen, die Gebete sprechen und die Kirchenlieder mitsingen könnt, wird Euch der Herr verzeihen und wieder bei sich aufnehmen.«

»Und wie kann ich diese Fähigkeiten wiedererlangen?«, fragte der König voller Angst.

»Das, Herr, weiß ich leider auch nicht«, erwiderte die alte Frau und zuckte mit den Schultern.

Adon verabschiedete sich sehr nachdenklich von Masa. Ob es überhaupt auch nur einen einzigen Menschen in seinem ganzen Volk gab, der ihn nicht hasste?

V

Künftig nahm König Adon aus Verzweiflung wieder an den Gottesdiensten teil, konnte jedoch auch jetzt noch kein Abendmahl bei sich behalten, nicht beten und nicht eines der schönen Kirchenlieder mitsingen.

Im Jahre seines fünfundachtzigsten Geburtstages nahm er an jedem Gottesdienst teil, doch sein Schicksal blieb noch immer dasselbe. Endlich war der Heilige Abend gekommen. Schön herausgeputzt gingen der König, der nun schon ziemlich vergesslich und auch manchmal völlig verwirrt war und seine Familie zur Kirche. Sie nahmen in ihrer Loge Platz. Wieder saßen in der großen Kirche nur Leute, die den alten, zittrigen König aus irgendeinem Grunde hassten. Mit den letzten Besuchern des Gottesdienstes aber kam eine ältere Frau in die Kirche, die von ihren Geschwistern begleitet wurde und deren Mann vom König ungerechtfertigt hingerichtet worden war. Sie suchte seitdem bei der Kirche Trost und hasste den König unbekannterweise für das Verbrechen an ihrem Mann.

Als aber beim Weihnachtsgottesdienst das Abendmahl verteilt wurde, bekam sie zum ersten Mal den alten, nun sehr gebrechlichen König zu Gesicht. In dem Moment aber, in dem ihr Bruder ihr zuraunte, dass der Herrscher jetzt wieder Hostie und Wein erbrechen werde, empfand sie als einzige Teilnehmerin des Gottesdienstes Mitleid mit dem alten Mann.

Da aber konnte Adon Wein und Hostie bei sich behalten, beten und ein folgendes Lied mitsingen. Wieder ging ein Raunen durch die ganze Gemeinde ob dieser Wendung. Als aber das letzte Lied des Gottesdienstes verklang, fiel der König Adon in seinen Stuhl zurück und verstarb mit einem gelösten Lächeln im Gesicht.

(hb)