Das Teufelsloch
Antonia Hodgson
Das Teufelsloch
Originaltitel: The Devil in the Marshalsea,
Hodder & Stoughton, London, 2014
Historischer Thriller, Hardcover, Knaur, München, August 2014, 496 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 9783426653456, aus dem Englischen von Katharina Volk
Tom Hawkins, wohlhabender Sohn eines Predigers, ist ein Spieler, Lebemann und Schürzenjäger, der sich in heruntergekommenen Kaffeehäusern Londons herumtreibt. Sein Vermögen schwindet dahin, doch Tom bekommt immer wieder die Kurve. Leider wendet sich sein Leben plötzlich zum Schlechten. Wegen Schulden wird er in das berüchtigte Gefängnis Marshalsea im Londoner Stadtteil Southwark geworfen. Tom soll herausfinden, ob im Gefängnis ein Mörder frei herumläuft. Verzweifelt arbeitet er daran, um ein Verbrechen aufzuklären, bevor sein Geld und sein Glück aufgebraucht sind und er auf die »Common Side« geworfen wird. Leider laufen die Dinge für Tom in der Marshalsea nicht einfach. Am Anfang teilt er sich ein Zimmer mit dem berüchtigtsten Einwohner des Gefängnisses: Samuel Fleet. Dieser ist exzentrisch, brillant und zugleich gefährlich. Mann verdächtigt ihn des Mordes an Kapitän Roberts. Im selben Raum mit einem möglichen Mörder zu schlafen, nicht ausgeraubt, geschlagen oder bestochen zu werden und Gefängnisfieber zu bekommen, arbeitet der arme Tom Hawkins für ihn. Zum Glück gelingt es ihm, sich einige ungleiche Verbündete zu verschaffen und seinen Kopf des Öfteren aus der Schlinge zu ziehen. Tom ist das blanke Chaos, trotz allem eine unwiderstehliche Figur, ein Schuft mit Herz und Ehrgefühl.
Antonia Hodgson versteht es ausgezeichnet, die Story sowohl mit Protagonisten und Antagonisten auszufüllen; Charaktere, die man hassen und zugleich lieben muss. Es sind Figuren, die die Autorin einfügt, welche sich dem ersten Anschein nach als gute Mithäftlinge darstellen. Zerschlägt man jedoch ihre dünne Schale, kommt ihre hässliche Wesensart zum Vorschein. Acton, Joseph Cross, Trim, Moll und Kitty sind solche Handlungsträger, die unvergesslich und geschickt durch Antonia Hodgson herausgearbeitet wurden und nicht vom eigentlichen Plot ablenken.
Während der berüchtigten 500-jährigen Geschichte befand sich das Marshalsea an zwei Stellen. Beide Standorte lagen an der heutigen Borough High Street in Southwark. In der georgianischen Zeit sein Leben in Gefangenschaft fristen zu müssen, stellte kein Zuckerschlecken dar. Die Autorin nimmt sich bei der Darstellung der Behandlung der Gefangenen durch ihre Kerkermeister keine Freiheiten heraus, sondern schildert das Ertragen der Leiden so, wie sie es bei ihren Recherchen herausgefunden hat. Während der georgianischen Periode war die Mehrheit der Insassen einfache Schuldner, arme Seelen, die jahrelang im Gefängnis schmachteten und versuchten, ihre Schulden zu tilgen. Die Gefängnisse des 18. Jahrhunderts waren keine staatlichen, so wie wir es kennen, sondern wurden privat geführt und waren auf Profit aus. Für Miete, Verpflegung und Kleidung mussten horrende Beträge gezahlt werden. Wohl dem, der in der Freiheit wohlhabende Familienangehörige oder Freunde hinter sich wusste und auf der »Master’s Side« bleiben zu können. Wer dies nicht hatte, versuchte Wege zu finden, um seine Schulden loszuwerden. Es war ein Teufelskreis, aus dem es kaum ein Entrinnen gab, meistens auf der »Common Side« endete, wo man dem Hunger und letztendlich dem Tod ausgeliefert war. Überfüllte schmutzige Gefängniszellen, Ratten und grassierende Krankheiten prägten die Szenerie jener Seite hinter der Hofmauer. Eine Statistik aus dem Jahr 1729 besagt, dass im Marshalsea aller 24 Stunden 8-10 Gefangene starben. Während in anderen europäischen Staaten Schuldner eine Galgenfrist von einem Jahr hatten, kannte man in England keine Gnade. Englische Schuldner sollten verrotten, bis ihre Schulden beglichen waren.
Vor diesem düsteren Hintergrund zeichnet die Autorin Antonia Hodgson ein lebendiges und faszinierendes Bild jener Zeit und bricht mit ihrem Roman eine Lanze für die Armen, welche ihrer Moral durch die georgianische Gesellschaft beraubt wurden.
Das Teufelsloch ist alles andere als langweilig. Bereits von der ersten Seite an taucht der Leser immer tiefer in die schäbige Schattenseite Londons während der Georgianischen Ära und fühlt sich aufgrund detaillierter und anschaulicher Beschreibungen ins Marshalsea versetzt. Nichts wirkt gezwungen oder aufgesetzt. Die Worte fließen nahtlos von Seite zu Seite, da es die Autorin mit ihrer natürlichen Begabung für das Schreiben meisterhaft gelingt, den Leser an den Plot regelrecht zu fesseln. Es ist die einfache Erzählweise, die den Roman so faszinierend macht.
Fazit:
Das Teufelsloch sticht aus der Masse der Mainstream-Romane besonders hervor, überzeugt durch eine schlichte Erzählweise. Historische Fakten werden dezent im Hintergrund gehalten. Leben und Tod im Marshalsea sind die tragenden Säulen des Romans. Das Verweben von Historie und Fiktion machen Das Teufelsloch zu einem wahren Lesegenuss und ist einer der besten Romane, die ich bisher gelesen habe. Er ist stilsicher und sehr gut geschrieben, obwohl etwas an atmosphärischer Dichte verblasst, wenn der Plot auf Hochtouren geht.
(wb)