Als E-Book erhältlich

Archive

Drachen! Drachen!

Drachen! Drachen!

Es geschah zu einer Zeit, da Drachen noch häufig waren und die Menschen regelmäßig in Angst und Schrecken versetzten, ihre Felder verwüsteten, ihr Vieh stahlen und sie ihrer Jungfrauen beraubten. Zu dieser Zeit gab es einen eigenen Berufsstand, der sich Drachentöter nannte. Es handelte sich dabei um fahrende Ritter, die sich auf das Beseitigen von lästig gewordenen Drachen spezialisiert hatten. Was der Kammerjäger für das etwas kleinere Ungeziefer ist, das war der Drachentöter für die Drachen.

Auch das Dorf Halenborg wurde seit einiger Zeit immer wieder von einem Drachen heimgesucht. Man schickte Boten in alle Teile des Landes, um einen Drachentöter herbeizurufen, aber trotz der großzügigen Belohnung war es gar nicht so einfach, einen zu finden. Das Beseitigen von Ungeziefer, das einen Mann mit einem einzigen Atemzug töten konnte, war eine gefährliche Sache. Viele, die es gewagt hatten, hatten dabei den Tod gefunden und diejenigen, die es überlebt hatten, ruhten sich auf ihrer Belohnung aus. Drachentöter schließen im Gegensatz zu Kammerjägern niemals eine Pensionsversicherung ab, da es äußerst unwahrscheinlich ist, dass sie das erforderliche Alter erreichen. Daher sind sie durchaus darauf bedacht, die Pausen zwischen ihren Aufträgen auszudehnen.

Schließlich fand sich doch ein mutiger Ritter. Kalobert hatte den Drachen von Hikenstad vor einem Jahr ins Schattenreich befördert. Wie sehr hatte er darauf gehofft, den Rest seines Lebens gemütlich in seiner Burg zu verbringen. Aber leider war seine entzückende Frau Gemahlin mit einem anderen durchgebrannt und hatte den größten Teil des Goldes mit sich genommen.

Also legte er wieder seine Rüstung an, nahm seinen mit Drachenschuppen bedeckten Schild, sein in magischem Feuer gehärtetes Schwert und die mit Zauberrunen bedeckte Lanze. Sein weißer Hengst trennte sich nur ungern von der hübschen, kleinen Stute, mit der er die letzten Monate auf einer mit Apfelbäumen bestandenen Weide verbracht hatte.

***

Im Dorf angekommen zögerte Kalobert nicht lange, ließ sich den Weg zur Drachenhöhle zeigen, stärkte sich mit einem Schluck Wein, gab dem Hengst auch etwas davon ab und machte sich auf den Weg. Die meiste Zeit ritt er im Wald. Er wusste diesen Vorteil zu schätzen, denn die goldglänzende Rüstung verwandelte sich in der prallen Sonne sehr schnell in einen Backofen.

Als er nach Stunden unbehelligten Reitens aus dem Wald herauskam, sah er bereits die Drachenhöhle vor sich. Rundum war alles mit Geröll übersät, nur ein Streifen, der direkt zur Höhle führte, war so glatt wie poliert. Diesen Streifen benutzte nun Kalobert, um zu der Höhle zu gelangen, denn zwischen den tückischen Steinen hätte sich der Hengst womöglich ein Bein gebrochen, und zu Fuß vor dem Drachen zu erscheinen, dünkte Kalobert äußerst unschicklich.

Er hatte etwa drei Viertel des Weges zurückgelegt, als plötzlich ein riesiger Schatten den Himmel verdunkelte. Kalobert packte seine Lanze fester, kam jedoch gar nicht dazu, sie zu benutzen. Ein plötzlicher Windstoß fegte ihn aus dem Sattel und er landete reichlich unsanft zwischen den Felsen. Ein sehr lautes, undefinierbares Geräusch ertönte – es hörte sich irgendwie an wie Plumps – und der Boden bebte.

Kalobert rappelte sich hoch, ungeachtet seines zerschlagenen Körpers und sah sich unversehens dem Drachen gegenüber. Entschlossen hob er die Lanze und zielte auf die purpurrote Kehle des Drachens, ständig darauf bedacht, sich vor einem Feuerstoß hinter seinem Schild in Sicherheit zu bringen. Doch der Drache reagierte nicht wie erwartet. Als er den Ritter mit seiner Lanze sah, kauerte er sich ängstlich zusammen, bedeckte die Augen mit den Klauen und jammerte: »Tu mir nichts, bitte tu mir nichts.«

Der Ritter zögerte. Es war nicht besonders rühmlich, so ein jämmerliches Geschöpf zu töten, andererseits sah ihm keiner zu. Also wusste auch niemand, dass der Drache dem Ritter keine angemessene Gegenwehr entgegengesetzt hatte. Vorsichtig blinzelte der Drache zwischen zweien seiner Klauenfinger hindurch.

»Bitte steck dieses grässliche, spitze Ding weg. Ich will noch nicht sterben. Ich tue doch niemandem etwas.«

»Warum hast du dann die Dorfbewohner tyrannisiert?« Kalobert richtete sich auf. »Warum hast du ihr Vieh getötet und ihre Felder verwüstet?«

Der Drache machte sich so klein, wie es bei seiner Körpergröße möglich war und seine schillernden Farben wurden blasser.

»Tut mir leid, das wollte ich nicht. Ich hatte doch bloß solchen Hunger.«

»Warum fliegst du nicht einfach zurück ins Drachenland?«, schlug Kalobert vor, während er sich auf seine Lanze stützte. Einen solch armseligen Drachen zu töten, schien ihm wahrhaftig eine Heldentat, auf die er problemlos verzichten konnte.

»Ich kann nicht zurück. Es wird von jedem jungen Drachen erwartet, dass er sich in der Welt der Menschen beweist. Außerdem …« Er zögerte, wand sich, wollte offensichtlich eine unangenehme Wahrheit nicht aussprechen. »Außerdem haben sie mich hinausgeschmissen. Sie haben gesagt, ich sei zu tollpatschig für einen richtigen Drachen und bräuchte mich gar nicht mehr blicken lassen, solange ich mich nicht gebessert habe.«

Der Ritter legte die Hand an die Stirn und schüttelte den Kopf. Woran war er da bloß geraten.

»Wie wäre es, wenn ich mich verkrieche. Ich könnte die ganze Zeit schlafen, dann brauche ich nur einmal im Jahr etwas zu essen. Du vergisst die ganze Angelegenheit einfach und reitest dorthin zurück, wo du hergekommen bist.«

»Und womit soll ich reiten?«

Der Drache blinzelte und sah ihn verständnislos an.

»Ähm, mit deinem Pferd. Du bist doch mit einem Pferd gekommen.«

»Das ist durchaus richtig. Doch du liegst leider darauf.«

Nach einer kurzen Denkpause richtete sich der Drache auf und betrachtete nachdenklich den blutigen, schleimigen, mit einigen ehemals weißen Fellfetzen vermischten Fleck unter seinem Bauch. Es war ihm ganz offensichtlich entgangen, dass er bei seiner etwas unsanften Bauchlandung das Pferd zerdrückt hatte.

»Tut mir leid«, meinte er geknickt und begann sich das Blut vom Bauch zu lecken. Zufrieden schmatzend schien er den Ritter und sein Ungemach vergessen zu haben. Mit einem energischen Räuspern rief sich der Ritter dem Untier ins Gedächtnis.

»Also …?«

»Ich könnte dich ins Dorf bringen. Es sind bestenfalls fünf Flugminuten. Dort kannst du dir dann ein Pferd kaufen und nach Hause reiten.«

»Womit soll ich ein Pferd kaufen? Kannst du mir das verraten? Ich habe kein Geld und Belohnung bekomme ich auch keine, wenn ich dich nicht töte.«

»Ich könnte dich auch nach Hause fliegen.«

»Was soll ich dort? Ich bin ausgezogen, weil ich kein Geld mehr habe. Du denkst doch nicht etwa, ich würde zum Spaß mein trautes Heim und meinen geliebten Rosengarten verlassen.«

Nachdenklich stützte der Drache sein schuppiges Kinn auf eine Klaue und brummelte vor sich hin. Schließlich erhellte sich seine Miene.

»Ich könnte im Winter deine Burg heizen.«

»Und mich arm fressen. Tut mir sehr leid, aber ich habe keinerlei Verwendung für dich.«

Noch bevor er jedoch den Satz zu Ende gesprochen hatte, regte sich seine Eitelkeit. Was würden doch die Leute staunen, käme er auf einem Drachen geritten. Er schämte sich nicht einmal dafür, dass er den weißen Hengst, der ihm so viele Jahre lang treu gedient hatte, so einfach vergaß, als wäre er irgendein Pferd gewesen. In seinem Kopf war nur noch Platz für den Gedanken, welchen Ruhm es ihm einbrächte, wenn er den Leuten die gezähmte Bestie vorführen könnte. Im ganzen Land würde sein Name bekannt sein und die Menschen würden ihm Tribut zollen, damit sein Drache ihre Ländereien nicht verwüstete.

Der Drache wollte gerade die Unaufmerksamkeit des Ritters ausnützen und sich mit hängendem Schwanz in seine Höhle schleichen, als dieser rief: »Halt, warte!«

Das Ungetüm zuckte ängstlich zusammen, sah sich verzweifelt nach einem Versteck um, weil es einen Angriff des Menschen fürchtete. Aber ein Drache findet nun mal nicht so leicht eine Ritze, in die er sich verkriechen kann. Da haben es Mäuse wesentlich leichter.

»Ich will dir nichts tun«, beruhigte ihn der Ritter. «Mir ist nur eingefallen, dass ich vielleicht doch Verwendung für dich hätte.«

Die Miene des Drachen hellte sich auf.

»Da du für den Tod meines Pferdes verantwortlich bist«, erklärte der Ritter streng, »ist es nur recht und billig, wenn du seine Aufgaben übernimmst. Diese Aufgaben bestehen vor allem darin, mich zu jedem von mir gewünschten Ort zu bringen.«

Der Drache drehte sich sofort um und ging in Startposition.

»Befehlt mir, Herr. Ich bin Euer gehorsamer Diener.«

Er duckte sich ein wenig, damit der Ritter leichter seinen gepanzerten Rücken erklimmen konnte. Leider kam dabei ein kleiner Felsen ins Rollen und brachte den Drachen aus dem Gleichgewicht. Er suchte verzweifelt nach Halt, um nicht wieder eine unrühmliche Bauchlandung zu machen. Als zukünftiges Reittier eines berühmten Ritters galt es Haltung zu bewahren.

»Entschuldigung«, sagte er, als glücklicherweise die Balance wieder hergestellt war. Leider bekam er keine Antwort. Erstaunt sah er sich nach dem Ritter um und musste feststellen, dass dieser sich unter seinem linken Vorderbein befand. »Tut mir leid«, stammelte er und trat zur Seite. Auch diesmal bekam er keine Antwort, denn der stolze Ritter Kalobert hatte etwas unter dem Gewicht des Drachen gelitten. Seine Überreste in der einstmals goldglänzenden Rüstung erinnerten unangenehm an Gulasch in der Dose.

(bf)