Die zerbrochene Puppe
Judith & Christian Vogt
Die zerbrochene Puppe
Steampunk, Taschenbuch, Feder&Schwert, Mannheim, September 2012, 400 Seiten, ISBN 9783867621564, Umschlaggestaltung: Oliver Graute
Der Roman wurde mit dem Deutschen Phantastik Preis 2013 in der Kategorie »Bester deutschsprachiger Roman« ausgezeichnet.
Die Physikerin Æmelie von Erlenhofen stellt auf einer Konferenz in Venedig den Prototypen einer Brennstoffzelle vor. Kurz darauf dringen wandelnde Tote in ihre Unterkunft ein und töten die Wissenschaftlerin, der es gerade noch gelingt, ihrem Mann Naðan die Flucht zu ermöglichen. Das Letzte, was sie ihm mit auf den Weg gibt, ist ihre alte Porzellanpuppe, die von nun an Naðans beste Freundin wird, da sie mit der Stimme seiner verstorbenen Frau spricht. Die sterblichen Überreste Æmelies indes verschleppen die wandelnden Kadaver.
Die Polizei kann der Spur bis nach Æsta, einer schwimmenden Stadt auf einem Eisberg, folgen, wo sie sich verliert. Naðan beschließt, weiter nach Æmelies Leiche zu suchen. Mittellos fahndet er zwischen Gewerkschaftlern, Huren und Opiumsüchtigen nach dem Täter.
Eine Odyssee beginnt, in deren Verlauf Naðan zahlreiche Irrungen und Wirrungen durchleben muss, ehe er einem schrecklichen Geheimnis auf die Schliche kommt.
»Steampunk ist für mich 20 000 Meilen unter dem Meer, Luftschiffe, Uhrwerke, schicke Messing-Armaturen, große Anzeigen, noch größere Hebel, Teslaspulen, Jugendstilkraftwerke, altmodische Physiksammlungen, seltsamen Gestalten in viktorianischer Kleidung mit blitzenden Plasmascheiben auf dem Rücken. Und das alles zu einer Zeit, als es jeden Tag neue unglaubliche Theorie gab, die mit kreativen, aber einfachen Methoden getestet werden konnten.«
(Christian Vogt in: Wat is’n Dampfmaschin?, geisterspiegel.de)
Wie in bisher erschienenen Steampunk-Romanen ist es auch für das Autorenpaar Judith und Christian Vogt ein Muss, die Storyline von Die zerbrochene Puppe in der viktorianischen Ära anzusiedeln. Der Begriff selbst wurde zum ersten Mal im Jahr 1851 in einem Architekturbuch erwähnt, doch der rasante Rhythmus der industriellen Revolution setzte lange vor 1837 ein. Mit der viktorianischen Ära, in welcher eine völlig neue Infrastruktur geschaffen wurde, die bis heute genutzt wird. Das Land wurde regelrecht mit Straßen, Eisenbahngleisen und Abwasserkanälen überzogen. Vielerorts wichen lieblich anzusehende Landschaften bedrohlich wirkenden Schornsteinen.
So kennen wir das viktorianische Zeitalter aus der Geschichte.
Das Autorenpaar jedoch führt den Leser mit Die zerbrochene Puppe in das Europa einer Alternativwelt, welches unter einer neuen Eiszeit leidet. Krasser geht es kaum, denn Judith und Christian Vogt kreieren in ihrem Roman eine eigene Weltgeschichte, in welcher es von Venedig aus zu den unterschiedlichsten Orten wie der Maschinenstadt Æsta, Friesland oder dem Harz geht. Dabei trifft der Protagonist Naðan von Erlenhofen auf die verschiedensten Figuren.
Obwohl mir die ersten Passagen etwas zu langatmig erschienen, ging die Fahrt nach dem Erreichen von Æsta richtig los. Es lag sicherlich nicht daran, dass sich die schwimmende Stadt am Rande des ewigen Eises befindet und ob der dortigen Eisglätte die Gefahr einer rasanten Rutschpartie allgegenwärtig ist. Vielmehr ist es das Vermögen von Judith und Christian Vogt, Bilder vor dem geistigen Auge entstehen zu lassen, welche das Gefühl erzeugen, zusammen mit Naðan von Erlenhofen eine Reise unternehmen zu können, die anschaulicher nicht sein kann. Dabei symbolisiert Naðan alles andere als einen starken Helden. Er zeigt Schwächen, ist zerbrochen aufgrund des Verlustes seiner geliebten Ehefrau, dem Wahnsinn nahe. Doch er wandelt sich im Verlaufe der Handlung, lernt dazu, nicht zuletzt mithilfe seiner Begleiterin Ynge, jener zerbrochenen Puppe, in welcher der Geist von Æmelie lebt.
Das Cover erzeugt einen sehr guten Eindruck, macht aufgrund des Kontrastes der gewählten Sepiatöne neugierig und setzt hervorragend die textliche Kreativität der Autoren bildhaft um.
Fazit:
Dem Autorenpaar Judith und Christian Vogt ist mit Die zerbrochene Puppe ein äußerst spannender Roman gelungen, welcher zum Nachdenken anregt. Es liegt vor allem daran, dass sie keinen archetypischen Helden agieren lassen. Selbst das Einbringen von skurrilen Elementen und schrägem Humor trägt dazu bei, wie vielfältig das Genres Steampunk sein kann. Es ist gerade die Kreativität der Autoren, das Spiel mit phantastischen Elementen, welche Die zerbrochene Puppe zu einem besonderen Roman macht.
(wb)