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Joyland

Stephen King
Joyland

Krimi, Thriller, Hardcover, Heyne Verlag, Juni 2013, 352 Seiten, aus dem Amerikanischen von Hannes Riffel, 352 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 9783453268722

Devin Jones ist im Sommer 1973 an der Schwelle des amerikanischen Erwachsenwerdens: 21 Jahre alt, Student der Anglistik und verliebt in Wendy Keegan, eine Mitstudentin. Um sich das Studium zu finanzieren arbeitet er als Hilfskraft in der Mensa, als ihm eine Tageszeitung auf einem Tablett in die Hände fällt: Für die Sommermonate sucht der Vergnügungspark Joyland Aushilfen, um die Massen an Touristen zu bewirten und zu bespaßen. Einer Eingebung folgend bewirbt sich Devin, auch wenn das bedeutet, seine Freundin längere Zeit nicht zu sehen.
Die Arbeit im Park ist hart und anstrengend, aber der junge Mann findet bald Gefallen daran, das Riesenrad zu steuern, die Wagen der Geisterbahn zu putzen und vor allem als Hunde-Maskottchen die kleinsten Gäste mit Tanzeinlagen zu unterhalten. Das führt ihn das ein oder andere Mal kurz vor den Zusammenbruch, aber seine Team-Kollegen Tom und Erin, mit denen er auch zusammen in einer Pension wohnt, bringen ihn immer wieder auf die Beine.
Auch das Stammpersonal erkennt in Devin einen geborenen Menschen des fahrenden Volkes. Er lernt den Jargon schnell und kann sogar zwei Menschen wegen seiner Erste-Hilfe-Ausbildung retten. Doch dem strahlenden Helden geht es innerlich nicht gut: Seine Freundin trennt sich in seiner Abwesenheit von ihm und die düsteren Visionen der parkeigenen Wahrsagerin machen ihm zu schaffen.
Ein Geheimnis liegt auf der Geisterbahn des Parks: Dort wurde vor einigen Jahren ein Mädchen brutal ermordet und erst bei Fahrgeschäftsschluss mit aufgeschlitzter Kehle entdeckt. Devin lässt der Gedanke an die Frau, die noch im Gebäude spuken soll, nicht los. Nach dem Sommer geht er nicht wieder zur Uni, sondern arbeitet weiter im Park, während seine Kollegin Erin weiter recherchiert. Als Tom dann während einer Fahrt in der Bahn den Geist der Ermordeten erblickt und Devin sich mit dem behinderten Jungen Mike und dessen hübscher Mutter Annie anfreundet, scheinen ein paar Puzzleteile an ihren Platz zu fallen und das Geheimnis steht kurz davor, gelüftet zu werden.

Stephen Kings zweiter Beitrag für den amerikanischen Hard Case Crime Verlag (nach Colorado Kid von 2005) ist ein kompaktes Sammelsurium all seiner Stärken und Motive. Vordergründig ist es eine Coming-of-Age-Geschichte mit eher schwach ausgeprägten Krimielementen, die nach dem Whodunit-Prinzip gestaltet sind. Dabei schildert King den Kosmos des Freizeitparks im Stile einer Kleinstadt mit eigenen Machtgefügen und Regeln – sogar mit eigener Sprache. Dahinter steckt allerdings – wie so oft bei King – mehr. Klassische amerikanische Motive wie der Konflikt Arbeiterschaft vs. akademische Gesellschaft, das Verschwinden traditioneller Unterhaltungskultur wie Wanderzirkusse (Carnivals) und religiöser Extremismus (bei Annies Vater, der ein konservativer Radio-Prediger ist) verleihen der Geschichte einen typischen Subtext, den King sich im Laufe seiner langen Karriere immer mehr erarbeitet hat.
Der King-Fan erkennt Versatzstücke aus anderen Roman wieder: Der behinderte Junge (Duddits – Dreamcatcher), die Adoleszenz-Thematik (u.a. Es, Carrie), das Kleinstadtmilieu (Needful Things, Die Arena), die Schriftsteller-Ambitionen des Protagonisten (Stand by me bzw. Die Leiche – Sogar die Szene, in der die Hauptfigur im Wald einem Reh begegnet ist hier gespiegelt!) sowie religiöser Fanatismus (u.a. Der Nebel) finden sich hier wieder, ebenso wie Häuser am Strand (Wahn, Der Talisman). Es ist davon auszugehen, dass der Autor dies bewusst so gestaltet hat: Ein Best of seiner Leistungen über die Jahre hinweg. Und das, ohne die Splatter- und Blutorgien seines Frühwerks zu bemühen, sondern sich eher auf die stimmungsvollen Töne seiner späteren Romane (die ihm zu Unrecht oft als Zeilenschinderei angelastet werden – Wer Love für ein schlechtes Buch hält, hat bisher wohl nie Dolores oder Tommyknockers gelesen) zu verlassen.
Lediglich die finale Auflösung, bei wem es sich um den Mörder handelt sowie bei der abschließenden Konfrontation hätte King sich ein wenig mehr Zeit nehmen können und vielleicht nicht ganz so tief in die gestalterische Klischeekiste greifen sollen. Stichwort Wetter …

Fazit:
Dennoch, oder gerade deswegen ist Joyland ein wunderbarer, sehr King’scher, sehr amerikanischer Krimi-Roman, bei dem sich der erfolgreiche Autor in jeder Hinsicht von seiner Schokoladenseite zeigt. Wem die längeren Bücher von King nicht zusagen, der findet hier eine auf 350 Seiten komprimierte Story mit all dem, was ihn – vor allen seit der Jahrtausendwende – aus- und lesenswert macht. Joyland dürfte deswegen auch diejenigen davon überzeugen, dass Stephen King ein überaus einfühlsamer und genauer Chronist amerikanischer Gegenwartskultur ist, die bisher davon ausgingen, er sei ein reiner Horror-Autor. Dieses Stadium hat King bereits seit den 1980er Jahren weit hinter sich gelassen. Lesen!

Copyright © 2013 by Sascha Vennemann