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Holy Terror

Wir befinden uns in Empire City, einer alternativen Version von New York City, über die statt der Freiheitsstatue eine blinde Justizia wacht. Ein Vigilant namens »Der Richter« (im Original »Fixer«) patrouilliert durch die Stadt, stets auf der Suche nach kleinen Ganoven. Auch die maskieret Diebin »Die Katze« zieht ihre nächtlichen Kreise und beide treffen sich in einer Art S/M-Hassliebe über den Dächern der Stadt. Plötzlich finden beide mitten im Zentrum eines Schlachtfelds wieder. Willkürliche Bombenanschläge, ausgeführt von islamistischen Selbstmordattentätern, erschüttern die Stadt. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln schlägt der Richter zurück.

Es ist immer noch phänomenal, was Frank Miller in Sachen Dynamik alleine mit einem schwarzen Stift auf weißem Papier hinbekommt. Die Zeichnungen sind dabei oft wild und durcheinander und wesentlich weniger klar und flächig, als noch in Sin City. Teilweise bieten nur die kolorierten Schuhsohlen und Augen der Katze Orientierungspunkte in dem schwarz/weißen Durcheinander und man muss mehrmals genau hinschauen, um alle Einzelheiten zu erfassen. Dagegen stehen überlebensgroß-heroisch wirkende »Full-Page-Panels«, den Leser förmlich in das Heft hinein ziehen. Hier kommt das für Holy Terror gewählte Querformat auf grandiose Art zum Tragen.
Die Story ist eine nächtliche Tour de Force, vor allem für die beiden Vigilanten, die nach den Anschlägen einen erbarmungslosen Vergeltungskurs fahren. Nach dem ersten Anschlag herrscht nahezu ununterbrochen Action die nur durch kurze, sarkastische Szenen, in denen Barack Obama, Hillary Clinton und andere Personen der betroffenen Politik in ihrer Hilflosigkeit bloßgestellt werden. Eine Kurzvorstellung eventueller Kampfgefährten des Richters erweist sich als ebenso überflüssige wie …

Was das Storytelling angeht, schneidet Holy Terror dagegen äußerst schwach ab. Selbst die »Helden« werden nur ungenügend charakterisiert, von ihren gesichtslosen – da vermummten – Gegenspielern ganz zu schweigen. Auch bleiben einige Handlungsstränge einfach offen, was zu einem unbefriedigenden Abschluss führt. Möglicherweise ist das jedoch genau die Absicht, die Miller verfolgt, denn ein Ende des Terrors ist nicht abzusehen und die andauernde Angst vor der selbstmörderischen willkürlichen Bedrohung ist der wahre Terror, wie es in den letzten Panels anklingt. An mir jedenfalls ist die Handlung vorbei gerauscht, ohne dass mich die Figuren näher interessiert haben.
Geplant war Holy Terror zum 10-jährigen Gedenktag an 9/11. Dass das Buch etwas später erschien, ist verzeihlich, dass es sich um ein reaktionäres, eindimensionales Auge-um-Auge-Manifest handelt, nicht. Sollte die Geschichte ironisch gemeint sein, ist davon nichts zu erkennen.

Grafisch wie erzählerisch ist hier kein Platz für Grautöne. Alle Muslime sind potenzielle (Selbst-)Mörder oder Ränkeschmiede, die alle mit Brachialgewalt über den Jordan geschickt werden müssen. Verständlich, dass Holy Terror in USA nicht in einem großen Verlagshaus erschien.

Unschwer ist zu erkennen, dass Holy Terror ursprünglich eine Batman-Geschichte sein sollte, bis DC das Thema und die Umsetzung zu heiß wurden. Manche Panels, z. B. wenn sich Der Richter und Die Katze Seite an Seite zwischen den Gebäuden hindurch schwingen, wirken auch wie direkt aus Die Rückkehr des dunklen Ritters übernommen. Die Figur des Jim Gordon wurde grafisch überhaupt nicht verändert sondern bekam lediglich einen anderen Namen.

Damit wurde Holy Terror die erste Comicveröffentlichung von Legendary Entertainment, die als Filmproduktionsgesellschaft schon auf eine beeindruckende Reihe Blockbuster zurückblicken können (u.a. Batman, Inception, 300, Hangover).

Wo Frank Miller draufsteht, wird inzwischen nicht mehr gekleckert, sondern geklotzt: Holy Terror ist als querformatiger Hardcoverband erschienen und auf hochwertigem Glanzpapier gedruckt.

Fazit:
Ein heißes Eisen, das Frank Miller hier anpackt. Natürlich darf 9/11 nicht in Vergessenheit geraten, doch das eindimensionale Auge-um-Auge-Manifest, das Miller hier abliefert, ist moralisch mehr als fragwürdig. Grafische jedoch eine Wucht.

Copyright © 2013 by Elmar Huber

 

Frank Miller
Holy Terror
Frank Miller’s Holy Terror
USA, 2012
Hardcover, Querformat
Superhelden, Terror-Thriller
Paninicomics, Stuttgart
November 2012
124 Seiten, 29,95 Euro
ISBN: 9783862014132
Aus dem Amerikanischen
von Bernd Kronsbein
Covermotiv: Frank Miller

www.paninicomics.de
www.frankmillerink.com