Das Nachthaus
In der 77 Shadow Street steht das Pendleton. Ein luxuriöses Apartmenthaus mit einer bewegten Vergangenheit. Erbaut von Andrew North Pendleton brachte es ihm und seiner Familie kein Glück, denn im Jahr 1897 verschwanden er und seine Familie spurlos. Schließlich kehrte er allein zurück, während seine Frau und seine beiden Kinder bis heute verschollen sind. Seitdem kommt es alle 38 Jahre zu grauenhaften Massakern, denen beinahe alle Einwohner des Pendleton zum Opfer fallen. 2011 jährt sich das magische Datum erneut. Einige Bewohner haben Glück, weil sie im Krankenhaus liegen, auf Geschäftsreise sind oder einfach den Abend außer Haus verbringen. Doch für die übrigen Einwohner, unter ihnen eine bekannte Schriftstellerin mit ihrer autistischen Tochter, eine Songschreiberin mit ihrem Sohn, ein ehemaliger Marine-Soldat, ein pensionierter Anwalt, ein renommierter Wissenschaftler, zwei wohlhabende Witwen und ihre beiden Katzen, sowie die Angestellten des Pendelton, beginnt eine Nacht des Schreckens. Die Menschen sehen Schemen, die sich in den Schatten bewegen und in den Wänden verschwinden. Eine bizarre Kreatur erschreckt Sparkle Sykes, die Schriftstellerin, beinahe zu Tode, während ein unheimlicher Eindringling den ehemaligen Marine-Soldaten Bailey Hawks im hauseigenen Pool attackiert. Währenddessen untersucht der Sicherheitschef des Pendleton, Logan Spangler, das mysteriöse Verschwinden eines skandalumwitterten Senators. Als die Vorfälle immer bedrohlicher und gefährlicher werden, beschließen die Bewohner in der Gruppe zusammenzubleiben. Doch zunächst muss sichergestellt werden, dass niemand vergessen wurde, und so machen sich Bailey Hawks und der Wissenschaftler Dr. Kirby Ignis auf die Suche nach weiteren Menschen, während die alleinerziehenden Mütter mit ihren Kindern und den beiden Witwen allein bleiben. Und zu allem Überfluss macht auch noch ein psychopathischer Auftragskiller die Flure des Pendleton unsicher …
Eines muss man Dean Koontz lassen, seine Ideen sind wirklich brillant und schwer durchschaubar. Zugegeben, man benötigt ein gerüttelt Maß an Fantasie, um insbesondere den Plot des vorliegenden Buches zu akzeptieren, aber er ist gewiss nicht vorhersehbar und äußerst originell. Und wer einige Romane des Autors kennt, der weiß, dass er gerne eingetretene Genre-Pfade verlässt. In Das Nachthaus vermischt Koontz Thriller-Elemente mit Horror und würzt sein prosaisches Potpourri mit ein wenig Science-Fiction. Dass die komplette Story, bis auf ein paar unbedeutende Ausnahmen, ausschließlich im Pendleton spielt und gerade mal einen Zeitraum von ungefähr 24 Stunden abdeckt, macht die Geschichte nur umso interessanter. Zumal sich der Schriftsteller erneut als epischer Erzähler hervortut und nicht weniger als 570 Seiten mit seinen bizarren, surrealen Ideen gefüllt hat. Belebt wird das Ganze von einer Menge Charaktere, die ihm in ihren Grundzügen durchaus gelungen sind, obwohl die typischen Koontz-Stereotypen ebenfalls vertreten sind. Immerhin kommt dieses Mal kein Wunderhund in der Geschichte drin vor. Dafür aber zwei toughe alleinerziehende Mütter mit Kindern, die in jeglicher Hinsicht außergewöhnlich sind. Klein Winny wächst über sich selbst hinaus und wird zum Helden, ebenso wie seine Mutter Twyla Tahern. Selbstverständlich bahnt sich hier die unvermeidliche Romanze mit dem Ex-Marine Bailey an, der sein Geld mittlerweile an der Börse macht. Trotzdem ist er ein typisch amerikanischer, charakterfester Soldat, der in gefährlichen Situationen den Überblick behält. Sehr einfallsreich sind die Pogromiten, die xenomorphen Kreaturen, die das Pendleton unsicher machen und deren pseudowissenschaftlicher Hintergrund recht überzeugend ist. Auch Mickey Dime, der Auftragskiller, sorgt für spannende Momente. Der paranoide Weltuntergangsprophet Udell ist ein kongeniales Musterbeispiel für einen schizophrenen Psychotiker. Alles in allem hält der Autor also sämtliche Zutaten für einen spannungsgeladenen Bestseller in Händen. Dummerweise steht sich Koontz mit seinem obligatorischen Gutmensch-Gefasel selbst im Wege. Das führt nämlich unweigerlich zu blasser Schwarz-Weiß-Malerei, die er in früheren Romanen besser zu kaschieren wusste. Selbst Baileys radikale Maßnahme am Ende des Buches kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ex-Marine immer das Richtige zur richtigen Zeit tut. Auch die Frauen Sparkle Sykes und Twyla Tahern sind absolut erhaben über jede menschliche Schwäche, es sei denn, es handelt sich durch diverse Traumata unverschuldet erworbene Handicaps, die aber durch Mut und Entschlossenheit überwunden werden. Dem entgegen stehen zwielichtige Gestalten wie der Senator, der verschlagene Sicherheits-Angestellte Vernon Klick und natürlich Mickey Dime. Letzterer ist dabei noch am vielschichtigsten, weil Koontz ihm ein entsprechendes Profil verleiht, nebst dominanter Mutter und psychischer Misshandlungen in der Kindheit. Darüber hinaus hätte Das Nachthaus ein echter Pageturner werden können, wenn Autor, Lektor oder Übersetzerin ein- bis zweihundert Seiten rigoros gekürzt hätten. Da schwebt Klein-Winny in Lebensgefahr und wird von echt fiesen Monstern bedroht und er macht sich Sorgen, dass er kein Held sein könnte oder im Angesicht der Gefahr falsch reagieren könnte. Mal ehrlich, so ein differenziertes Denken ist absolut unglaubwürdig. Panisches Handeln ist für die ausersehenen Helden der Geschichte einfach nicht vorgesehen. Und hier liegt die Krux des Schriftstellers, vor allem bei seinen neueren Werken. In seinem grenzenlosen Optimismus und seinem unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen übersieht er vollkommen die Realitäten. Anhänger des unvermeidlichen Happy Ends werden daher bei Dean Koontz immer auf ihre Kosten kommen. Egal wie hanebüchen es auch sein mag. Beginnt Das Nachthaus auf den ersten Seiten so spannend und rasant wie viele seiner früheren Werke, so verläuft es sich später in immer langatmigeren Gedankenspiralen der Protagonisten. Dadurch wird auch das Tempo des Finales gedrosselt, welches zwar schlüssig und auch zufriedenstellend ist, aber nichtsdestotrotz durch eine übertrieben Heile-Welt-Stimmung die Atmosphäre kaputt macht. Fans des Schriftstellers und seiner Werke können bedenkenlos zugreifen, denn schlecht ist der Roman sicherlich nicht. Für einen richtig guten Thriller ist er allerdings deutlich zu lang und die zu scharf polarisierten Charaktere trüben die Stimmung.
Das Cover ist minimalistisch und auffallend, obwohl der Scherenschnitt des Hauses wenig mit der Beschreibung des luxuriösen Pendleton gemein hat. Schriftbild und Satz sind von gewohnt hoher Heyne-Qualität.
Fazit:
Epischer Horror-Thriller mit Science-Fiction-Elementen und einem originellen Plot. Der Roman beginnt so spannend und rasant wie viele Frühwerke des Autors, krankt aber letztendlich an der Unglaubwürdigkeit der Protagonisten, insbesondere des Wunderkindes Winny.
Copyright © 2013 by Florian Hilleberg
Dean Koontz
Das Nachthaus
77 Shadow Street, USA 2011
Heyne-Verlag, München
November 2012
Taschenbuch
Thriller, Horror, Science Fiction
590 Seiten, 9,99 Euro
ISBN: 9783453436978
Aus dem Amerikanischen von
Ursula Gnade
Titelgestaltung von
Hauptmann und Kompanie
München-Zürich