Sherlock Holmes taucht ab
Was haben ein halbes Dutzend Menschen gemeinsam, die im Herbst 1890 allesamt binnen kürzester Zeit in London ermordet werden? Selbst dem Meisterdetektiv Sherlock Holmes fällt es schwer, ein Verbrechensmuster zu erkennen. Bis er herausfindet, dass sämtliche Morde nur von einem Toten ablenken sollen: einem bekleideten Mann, der erwürgt in seiner Badewanne gefunden wurde.
Im Besitz des Toten finden Holmes und Watson jede Menge merkwürdiger Gegenstände, die scheinbar nicht viel miteinander zu tun haben: ein offenbar defekter Kompass; eine Landkarte, die angeblich das versunkene Atlantis zeigt und eine verschlüsselte Botschaft. Noch rätselhafter wird es, als Watson während der Obduktion seltsame Deformationen an den Organen des Toten feststellt.
Die entschlüsselte Botschaft führt die Ermittler zu einem geheimen Treffpunkt im Londoner Hafen, wo sie von Menschen in einem fremdländisch aussehenden Unterseeboot erwartet werden. Mit ihnen an Bord kennt das Boot nur einen Kurs – den nach Atlantis.
Geschichten um den und mit dem berühmten Sherlock Holmes sowie seinem eifrigen, manchmal etwas stupid wirkenden Partner Dr. Watson wurden zum größten Teil dadurch bekannt, dass die darin agierenden Charaktere real wirken und der Leser selbst zu den Tatorten reisen kann. Seit 1887 suchen in den Detektivgeschichten etliche Klienten, denen die Fähigkeiten des Meisterdetektivs bestens bekannt sind, die Baker Street 221b in London auf und bitten Holmes um Hilfe.
Eine schier unendliche Zahl an Autoren bediente und bedient sich der Figuren Holmes und Watson für weitere Romane und Geschichten. So auch Tobias Bachmann und Sören Prescher. Was sich zunächst wie ein ganz normaler Fall im Stile eines Arthur Conan Doyle liest und die in Sherlock Holmes taucht ab handelnden Hauptakteure durch das Autorenduo charakterisiert wurden, gewinnt die Story an Fahrt und entwickelt losgelöst von altbekannten Klischees vergangener Pastiche und Parodien ihren eigenen mystischen Charme.
Dass Bachmann und Prescher ihr schriftstellerisches Handwerk verstehen, liegt auf der Hand, da dem Roman neben versteckten Andeutungen auf Jules Verne eine tiefgründige Recherche zum sagenumworbenen Atlantis zugrunde liegt. Hinzukommt die Tatsache, dass sich Tobias und Sören als Autoren bereits exzellent auf phantastischem Terrain bewegen und sich durchaus mit Sherlock Holmes taucht ab bestens ergänzt haben.
»… dank ihrer Herrschaft flossen ihnen große Einkünfte von den auswärtigen Gebieten zu; das meiste indessen zum Lebensunterhalt lieferte die Insel selbst. Zunächst alles, was im Bergbau an harten und geschmolzenen Metallen geschürft wird, auch das, wovon wir heute nur noch den Namen kennen, das aber damals mehr als nur ein Name war, nämlich das Goldkupfererz, das man an vielen Orten schürfte und das nächst dem Golde unter den Menschen jener Zeit am höchsten geschätzt wurde.«
Platon: Kritias 114e
Es geht im Roman nicht vordergründig um das ominöse Oreichalkos, aus welchem unter anderem der Kompass besteht. Das Metall dient sicher lediglich als Einstieg in die sagenumwobene Welt von Atlantis. Dem Autorenduo scheint es darum zu gehen, sich vom altbekannten klassischen Schema zu trennen und Holmes und Watson in einer auch für sie ungewohnten Umgebung agieren zu lassen, ohne dabei auf Vertrautes zu verzichten.
Fazit:
Sherlock Holmes taucht ab ist eine äußerst skurrile Story, gewürzt mit prägnantem Wortwitz, brillanten Dialogen, feinster Ironie. Man spürt auf jeder Seite den Respekt der Autoren vor dem Original, ohne es zu kopieren. Es ist die phantastische Idee, Klassisches à la Arthur Conan Doyles mit Futurismus zu verbinden, was den Roman so lesenswert macht.
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